Thomas Stellmach Planning and Architecture / fabulism GbR Standort: Berlin / Berlin www.tspa.eu www.fabulismoffice.com Team: TSPA: Filippo Imberti / Anke Parson / Alessandra Sammartino / Aurelija Matulevičiūtė / Isabell Enssle Landschaftsplanung: Lysann Schmidt Landschaftsarchitektur Fachplanung weiterer Disziplinen: Melissa Gómez (Beraterin für nachhaltige Mobilität und urbane Innovation), Marcus Andreas (Berater für Nachhaltigkeit), Florian Strenge (Berater für Urbanismus & Design-Prozesse)
TEILRAUM 1: „SCHNITTPUNKT STADT ORANIENBURG“
Vorhandene Restflächen, die offene Bauweise in der Innenstadt und die integrierte Landschaft eignen sich für eine Nachverdichtung. Mit Bezug auf die drei Entwicklungsszenarien „sichere Gesellschaft“, „globale Gesellschaft“ und „neoökologische Gesellschaft“ werden geeignete Standorte bestimmt, die auch verschiedenste kulturelle Einrichtungen aufnehmen können und eine ökologische Entwicklung zulassen. Dabei steht die Integration ökologischer Korridore eines städtischen Wassermanagements im Mittelpunkt der Planung. Südlich des S-Bahnhofs wird ein neues Stadtquartier mit ausgedehnten Freizeiteinrichtungen vorgesehen. Im nördlichen Innenstadtbereich werden Gewerbeflächen verdichtet und ein „Biopark“ angegliedert. Kleinere Projekte wie ein Flussbad, ein Wasser-Hub zur Energiegewinnung an der Schleusenanlage oder ein schwimmendes Theater in der Havel sowie viele andere kleine Eingriffe werten die Wasserlandschaft auf und machen Oranienburg attraktiver. Dies wird nicht nur neue Bewohner anziehen, sondern auch Gewerbe, Dienstleistungsunternehmen und Produktionsstätten, die sich in den Maßstab der Stadt und in die Landschaft integrieren sollen.
Der Landkreis Teltow-Fläming gilt als außerordentlich produktiver Standort für landwirtschaftliche Erzeugnisse im Metropolenraum. Die flächendeckende Landwirtschaft führt zwangsläufig zu Umweltbelastungen, die durch den umweltbewussten Umbau der Produktionen in einen Regionalpark münden könnten, der Bestandteil übergeordneter ökologischer Korridore wird. Grundlage muss der Schutz der vorhandenen Biosysteme sein. Die Landschaft und die Gewässer müssen in einen unbelasteten Zustand zurückgeführt werden, um die Nahrungsmittelproduktion kontrolliert kleinteiliger zu organisieren. Wasser ist ein hohes Gut, dass einer permanenten Pflege bedarf. Wasserspeicherung, -infiltration, -reinigung und -verteilung sind Bestandteile eines Kreislaufs, der zur Eigenversorgung des Metropolenraums beiträgt. Regionalparks wie in Trebbin sollen weiterhin Gewerbe- und Dienstleistungsstandorte wie auch industrielle Produktionsstätten aufnehmen, sie sollten jedoch das biologische Gleichgewicht fördern und nicht belasten.
TEILRAUM 3: „KREUZBERGER KONFETTI“
Das Entwurfskonzept soll verdeutlichen, dass selbst Quartiere, die mit einer herausgehobenen Kiez-Kultur aufwarten, durch Nachverdichtung und Bearbeitung der Grünflächen vorbildhafte Funktionen für andere Quartiere haben können. Ausgehend von der Rekultivierung und Renaturierung des ehemaligen Luisenstädtischen Kanals werden die vorhandenen Grünräume in Beziehung gesetzt. Böcklerpark, Waldeckpark und Mariannenplatz werden über intensiv begrünte Wegenetze mit dem Landschaftspark am Kanal verbunden. Die vorgeschlagenen baulichen Ergänzungen tragen dazu bei, dass die Straßenräume gefasst werden und ihre Blockwirkung gestärkt wird. Belastete Durchgangsstraßen wie die Linden- und die Skalitzer Straße bleiben erhalten; andere wie die Heinrich-Heine-Straße und die Oranienstraße werden mit gesicherten Spuren für Fußgänger, Fahrräder und Pkw ausgebildet. Grundsätzlich gilt aber, dass der Verkehr aus dem Inneren der Blöcke herausgenommen wird.
Erläuterungen der Verfasser
Landschaften der Unterschiede – Es ist vergebens, die politischen, kulturellen oder wirtschaftlichen Entwicklungen der nächsten 50 Jahre vorherzusagen. Um dies zu erkennen, genügt ein Blick in die Vergangenheit. Es gibt jedoch Herausforderungen, von denen wir wissen, dass sie weit über 2070 hinausreichen werden. Wir wissen, dass sich das Klima verändern und dass Brandenburg im Schnitt wärmer und trockener werden wird. Wir wissen, dass dies Folgen für die Nahrungsmittelproduktion und die Biodiversität haben wird und dass sich die Strukturen in Industrie, Land- und Energiewirtschaft an-passen werden müssen. Auch Landschafts-, Wasser- und Biosysteme werden sich wandeln. Diese Transformation wird Jahrzehnte dauern. Sie kann auf den Stärken von Berlin-Brandenburgs Landschaft aufbauen: den Seen und Flüssen als Rückgrat einer Kulturlandschaft, die sich durch Heterogenität und Polyzentralität auszeichnet. Wir schlagen vor, einen langfristigen Transformationsprozess dieser Systeme anzustoßen, um eine widerstandsfähige und produktive Zukunft Brandenburgs und Berlins sicherzustellen. Diese Transformation schafft den Rahmen, in dem sich das Leben der Bürger in seinen gesellschaftlichen und ökonomischen Facetten frei und zukunftssicher entfalten kann. Beginnend mit den Ökosystemen Brandenburgs bildet sie die Grundlage für systemischen und nachhaltigen Wandel. Dieser Transformationsprozess schlägt sich in vier Landschaften nieder.
1) Wasserlandschaft: Die Wasserlandschaft prägt und verbindet Brandenburg und Berlin in Hinsicht auf Industrie, Biodiversität, Landwirtschaft, Energie und Verkehr sowie was den Charakter der Kulturlandschaft, ihrer Seen und Flüsse betrifft. Zugleich weist das Einzugsgebiet der Elbe, in dem Brandenburg weit-gehend liegt, die zweitgeringste Wasserverfügbarkeit pro Kopf in Europa auf. Der Klimawandel wird dies verschärfen: Durch verringerte Niederschläge und erhöhte Verdunstung im Sommer wird Brandenburg noch trockener werden, unterbrochen von vermehrt auftretenden Starkregenereignissen, was wiederum Gewässer und Böden belastet. Daher denken wir die Struktur Berlin-Brandenburgs als Netz von Wasserkreisläufen und rücken das tägliche Leben mit dem Wasser in den Vordergrund. Ein System von Grünkorridoren geschützter Lebensräume für die Tier- und Pflanzenwelt erhöht die Biodiversität. Es werden Gewässer und Moorlandschaft noch weitergehender geschützt; monokulturelle großflächige Landwirtschaftsflächen werden zu klimafesten Landwirtschaftsbetrieben gewandelt. Dies sind die Elemente einer Kreislaufwirtschaft für eine nachhaltige, respektvolle und profitable Nutzung des Landes.
2) Stadtlandschaft: Berlins Hauptverkehrsstränge haben die sternförmige Siedlungsstruktur der Stadt bedingt, was Freiräume erhalten und durch die Verdichtung entlang der ÖPNV-Achsen dem Verkehrskollaps vorgebeugt hat. Doch der Siedlungsstern allein wird dem vielfältigen Charakter der Berliner und Brandenburger Region nicht gerecht. Es braucht eine flexiblere, vielfältigere Struktur. Daher durchdringt und stützt das Netz der Wasserlandschaft den Siedlungsstern des 19. und 20. Jahrhunderts. Es entstehen Schnittpunkte, an denen neue starke Zentren entstehen, die zu Netzen zusammenwachsen: Berlin und Brandenburg, Natur und Stadt werden zu einer Landschaft der Unterschiede natürlicher und menschengemachter Räume verknüpft. Der Zersiedelung wird ein Ende gemacht, und die bestehende Siedlungsstruktur wird gezielt an existierenden und neuen Knotenpunkten verdichtet und transformiert: Dies sind die Zentren von morgen – keine Außenstädte, sondern Mittelpunkte mit einzigartiger Lebensqualität, urbaner Lebendigkeit, in der Natur und am Wasser.
3) Energielandschaft: Die Dezentralisierung findet auch energetisch statt: Energie wird effizient aus Wind, Sonne und Wasser gewonnen. Sonnenkollektoren und Windturbinen werden gezielt in die Landschaft integriert, wo Windgeschwindigkeit, Bodenbeschaffenheit, Topografie und Siedlungsstruktur dies am sinnvollsten erscheinen lassen; nicht mehr funktionale Industriegebiete dienen der dezentralen Speicherung der Energie als Wasserstoff, Wasserwärme oder in Pumpspeichern. Kurze Wege vermeiden Transportverluste, Dezentralität erhöht die Resilienz, Überschüsse werden ins Netz eingespeist, Öl und Gas spielen keine Rolle mehr, CO2-Neutralität ist Normalität. Bürgerstrom und Energiegemeinschaften auf Grundlage eines intelligenten Netzsystems machen Energieproduktion allen zugänglich.
4) Mobilitätslandschaft: Die heutige Durchschnittsgeschwindigkeit motorisierten Verkehrs in Berlin liegt bei 20 km/h. Das schafft man auch mit dem (E-)Fahrrad. Berliner Haushalte besitzen im Schnitt weniger Pkw als Haushalte anderer deutscher Städte. Wir sind auf dem richtigen Weg. Die leeren Straßen der Coronakrise haben erahnen lassen, was möglich sein kann: Straßen, die Spiel und Sport Raum geben, mehr Ruhe. Aber: Die technische Entwicklung ist unklar. Wir wissen nicht, welche Lösungen sich durchsetzen werden. Klar ist, dass sich Mobilität wandeln wird, dass das Auto und der Individualverkehr nicht mehr die Hauptrolle spielen werden, dass autonomes Fahren zu-nehmen wird. Daher schaffen wir die Voraussetzungen für eine nachhaltigere Mobilität. Das heißt: das Radwegenetz weiter ausbauen und auch für schnelle E-Mobilität zueignen, Raum für Intermodalitätspunkte zum Umsteigen zwischen Verkehrsmodi (gemeinschaftlich, öffentlich, individuell) schaffen, den motorisierten Individualverkehr einschränken, Schwerverkehr gezielt auf Transportachsen und Wasserwege leiten und dadurch gewonnene Flächen als öffentliche Räume umnutzen sowie Straßenräume als Shared Surfaces für verschiedene Mobilitätsmodi der Zukunft ertüchtigen.
Fokusgebiete – 1) Schnittpunkt Oranienburg: Oranienburg ist typisch für die Komplexität der Region: Es begegnen sich unterschiedliche urbane Strukturen, aktive und stillgelegte Industrieanlagen sowie eine vielfältige, von Wasser durchdrungene Landschaft. Am Schnittpunkt von Siedlungsstern und Landschaftsnetz entsteht ein Zentrum von morgen. Ökosysteme werden gestärkt und nachhaltigere Stadtstrukturen entstehen. Um das landschaftliche Netz entlang Lehnitzsee, Havel und Havelkanal verdichtet sich die Stadt. Über nachhaltiges Wassermanagement werden Niederschläge gesammelt und recycelt, gepuffert, infiltriert und bei Starkregen abgeführt. So wird die Stadt in heißen Sommern gekühlt und Bodennährstoffe bleiben erhalten. Das intermodale Verkehrskonzept setzt auf eine Kombination von regionalen ÖPNV-Verbindungen mit hoher Taktung und einem dichten Netz von (E-)Fahrradstrecken. An der Sachsenhausener Straße entsteht ein produktiver Park, der urbane Landwirtschaft, nachhaltige Produktion und urbanes Wohnen vereint. Am südlichen Ende des Lehnitzsees wird das ehemalige Industriegelände saniert und die Böden werden organisch gereinigt. Ein Teil des Gebiets wird in einen städtischen Park mit Freizeitangeboten umgewandelt, ein weiterer Teil zu einem gemischten Wohngebiet zwischen Park und Wasser entwickelt. Im nördlichen Grüngebiet Richtung Kuhbrücke entsteht ein Energiepark, in dem die in der Umgebung erzeugte Energie in Wasserstoff umgewandelt und gespeichert wird. Östlich der Lehnitzschleuse entsteht ein Forschungszentrum für Wasserwirtschaft.
2) Trebbiner Wasserlandschaft: Der Landkreis Teltow-Fläming ist geprägt von Flussläufen und künstlichen Kanälen, Landwirtschaft, schrumpfenden Dörfern, belasteten Gewässern, Monokulturwäldern und Verlust an Biodiversität. Er ist zudem der landwirtschaftlich produktivste Landkreis der brandenburgischen Region. Dies bringt Umweltbelastungen mit sich. Wir stellen dar, wie die räumlichen und funktionalen Systeme des Gebiets nachhaltig zu Systemen der Kreislaufwirtschaft transformiert werden können. Der Regionalpark ist Teil der übergeordneten ökologischen Korridore. Er schützt und nutzt Landschaft, Biosysteme und Gewässer produktiv für Energie, Freizeit und Nahrungsmittelproduktion – eine neue Kulturlandschaft, die nicht bukolisch, sondern effizient und performativ ist. Kleinteilige Biolandwirtschaft löst Monokulturen ab, durch ein System aus Wasserspeicherung, -infiltration, -reinigung und -wiederverwertung wird Trinkwasserqualität erreicht und die Wasserversorgung saisonal ausgeglichen. Ein grünes Energiesystem produziert Wind- und Solarenergie und vernetzt Produktionsstandorte mit dezentralen Energiespeichern. Energie-kooperativen für günstiges und dezentrales Energiemanagement entstehen.
3) Kreuzberger Konfetti: In der nördlichen Luisenstadt und der südlichen Friedrichstadt ist die heterogene Baugeschichte Berlins nicht zu übersehen. Unser Konzept steigert die Kreuzberger Mischung zum Supermix, zeigt, dass urbane Dichte und Leben im Grünen keine Widersprüche sind, bereitet die Mobilitätsinfrastruktur für die Verkehrswende vor und schafft eine wasser- und klimabewusste Stadtlandschaft. Wir beschränken den Durchgangsverkehr auf Achsen wie die Skalitzer und die Lindenstraße, bilden Straßen wie die Heinrich-Heine- und die Oranienstraße als Shared Spaces aus. Dies schafft autofreie Superblöcke, die attraktiv durch Fußgänger- und (E-)Fahrradinfrastruktur erschlossen sind. Die hinzugewonnenen Flächen werden in Grünräume umgewandelt. Mobilität wird multimodal, Umsteigen leicht gemacht und Sharing-Modelle nehmen zu. Lennés Luisenstädtischer Kanal wird wieder geöffnet und erweitert; Mariannenplatz, Waldeckpark und Böcklerpark weiten sich zu einem Parksystem aus. Niederschläge werden intelligent gelenkt und kühlen die Stadt: Überflutungsereignisse werden durch dezentrale Versickerung in Parkflächen, Mulden, Baumrigolen und Retentionsräumen abgepuffert. Die attraktiven Grünräume laden zu Sport und Spiel ein, die Luftqualität ist exzellent. Es wird ohne weitere Bodenversiegelung gezielt verdichtet, auf-gestockt, umgenutzt und im Erdgeschoss belebt, Siebzigerjahre-Riegel, IBA- und Gründerzeitstrukturen werden vermittelt, ohne ihren Charakter zu verlie-ren. Die funktionale Mischung wird verstärkt, die Wege werden noch kürzer.