Mitten in der heftigen Krise nach dem Ersten Weltkrieg, am Ende der Spanischen Grippe, nur einen Monat nach dem Kapp-Putsch, in einer Zeit, als Berlins, ja Deutschlands Zukunft völlig unklar war, entstand auf Beschluss der preußischen Landesversammlung zum 1. Oktober 1920 die „neue Stadtgemeinde Berlin“ (Groß-Berlin-Gesetz vom 27. April 1920). Das war eines der wichtigsten Ereignisse in der über 800-jährigen Geschichte Berlins, Ergebnis eines Jahrzehnte währenden Streits zwischen den einzelnen Kommunen des Großraums sowie zwischen Berlin und Preußen.
Als Groß-Berlin 1920 politisch geschaffen wurde, war es sozial, wirtschaftlich und baulich freilich längst vorhanden. Die seit den 1880er Jahren verstärkte Randwanderung der Industrie, des Militärs und der Wohngebiete der Wohlhabenden hatte längst die Grenzen der alten Stadt Berlin gesprengt. Siemens ließ in Spandau arbeiten, Borsig in Tegel, die AEG in Hennigsdorf und Oberschöneweide.
Und auch das Militär marschierte ins Umland, etwa nach Döberitz, Jüterbog, Kummersdorf und Wünsdorf. Neue herrschaftliche Wohngebiete entstanden im Westen (Westend), Norden (Frohnau), Osten (Karlshorst) und vor allem im Südwesten (vom Grunewald bis zum Wannsee). In der Innenstadt verblieb die große Schicht der ungelernten Arbeiter, besonders in Moabit, im Wedding, in Friedrichshain, Kreuzberg und Neukölln. Die Altstadt wandelte sich zur Stadtmitte, zur City. Zusammengehalten wurde der neue Großstadtraum durch die Schienen der Vorortbahnen, die natürlichen wie künstlichen Wasserstraßen und die großen Ausfallstraßen.
Gustav Böß, Oberbürgermeister 1919–1929 Berlin von heute. Stadtverwaltung und Wirtschaft. Berlin 1929
Kurz vor Groß-Berlin:
Spanische Grippe 1918 – 1920
Spanische Grippe: Diagramm der Sterblichkeit in New York, London, Paris und Berlin zwischen Juni 1918 und März 1919. Lange Zeit war sie vergessen, erst in Zeiten der Corona-Krise erinnert man sich wieder an die Spanische Grippe, die weltweit mehr Menschen tötete als der Erste Weltkrieg. Bei drei Wellen dieser Krankheit in der Zeit vom Frühjahr 1918 bis 1920 verloren zwischen 27 und 50 Millionen Menschen ihr Leben, im Groß-Berliner Raum mehr als 40.000 Personen. Die Kommunen wie der preußische Staat erwiesen sich damals als unfähig, Maßnahmen zur Eindämmung der Pandemie zu treffen. Die Grafik zeigt den Höhepunkt der Pandemie im Herbst 1918. Allerdings fehlen kontinuierliche Angaben aus Berlin.
Kapp-Putsch im März 1920
„Kapp-Putsch Berlin“, Gemälde von Else Hertzer. Mitte März 1920, gut einen Monat vor dem Beschluss zu Groß-Berlin, schien die junge deutsche Demokratie bereits gescheitert. Aus Döberitz marschierte die „Brigade Ehrhardt“ über die Heerstraße nach Berlin. Die Soldaten trugen ein weißes Hakenkreuz auf ihrem Helm. Die Reichsregierung konnte nach Dresden und schließlich Stuttgart flüchten. Wolfgang Kapp, ein ostpreußischer Verwaltungsbeamter, ernannte sich selbst zum neuen Reichskanzler. Der anschließende Generalstreik, der größte in der deutschen Geschichte, zwang die Putschisten zur Aufgabe. Das Gemälde zeigt eine nächtliche Straße mit Soldaten in Berlin, das aggressiv-diffuse Licht der Scheinwerfer des Fahrzeugs verbreitet Angst.
Groß-Berlin Kaum der Meldung wert
Die Geburt von Groß-Berlin war kein glänzendes Ereignis, das die Titelseiten der Zeitungen beherrschte. Weder am 27. April, als die Preußische Landesversammlung mit hauchdünner Mehrheit den Zusammenschluss befürwortete, noch am 1. Oktober, als Groß-Berlin Wirklichkeit wurde. Im Gegenteil: Die Entscheidung für Groß-Berlin war nur eine dürre Nachricht wert, die sich von Zeitung zu Zeitung kaum unterschied. Die Schlagzeilen lieferten andere Ereignisse, etwa die Folgen des Kapp-Putsches und die internationale Lage.
Vorkämpfer für Groß-Berlin
Groß-Berlin fiel nicht vom Himmel. Um zähe Widerstände zu überwinden, bedurfte es großer Anstrengungen – und großer Persönlichkeiten. Erstaunlich ist, dass entscheidende Protagonisten in Vergessenheit gerieten: Oberbürgermeister Martin Kirschner als großer Förderer von Groß-Berlin und Vorsitzender des Preisgerichts zum städtebaulichen Wettbewerb Groß-Berlin von 1910, Oberbürgermeister Adolf Wermuth, ohne dessen strategisches Geschick Groß-Berlin nicht entstanden wäre, und Oberbürgermeister Gustav Böß, der in den schwierigen 1920er Jahren die Geschicke der Riesenstadt lenkte.
Weithin vergessen: Oberbürgermeister Martin Kirschner
Als Oberbürgermeister (1899 – 1912) während der stürmischen Wachstumsperiode Berlins setzte sich Martin Kirschner für die Schaffung von Groß-Berlin ein. Auf den Wettbewerb Groß-Berlin 1908 – 1910 nahm er als Vorsitzender des Preisgerichts Einfluss. Doch damals scheiterte Groß-Berlin als Einheitsgemeinde, 1912 konnte nur ein Zweckverband eingerichtet werden.
Weithin vergessen: Oberbürgermeister Adolf Wermuth
Als Oberbürgermeister Berlins (1912 – 1920) kämpfte Adolf Wermuth vehement für die Gründung Groß-Berlins als Einheitsgemeinde. Wermuths strategischem Geschick ist es zu verdanken, dass Berlin den Umfang und die zweistufige Verwaltungsorganisation hat, die wir auch heute noch kennen.
Weithin vergessen: Oberbürgermeister Gustav Böß
Nach der Gründung von Groß-Berlin wurde Gustav Böß, Kommunalpolitiker der Deutschen Demokratischen Partei (DDP) und Kämmerer der Stadt Berlin, 1921 zum Oberbürgermeister gewählt. Er war der entscheidende Steuermann eines kommunalwirtschaftlichen Städtebaus für die Einheitsgemeinde während der Weimarer Republik bis 1929.
Renée Sintenis: Ein kleines Bärchen für Groß-Berlin
Das neue, große Berlin benötigte auch ein neues Wappentier, das sich vom Bären des alten Berlin unterscheiden sollte. Ein Tier der Weimarer Republik, das auf Distanz zum Kaiserreich ging. Das berühmteste Berliner Bärchen schuf Renée Sintenis 1932: einen kleinen, tolpatschigen Zauselbär, alles andere als Ehrfurcht heischend, aber liebenswert. In einer leicht veränderten Version mit zwei erhobenen Tatzen aus dem Jahr 1956 dient er seit 1960 als Berlinale-Bär.
So viele Rathäuser überall
Noch heute künden zahllose mehr oder weniger prächtige Rathäuser im gesamten Stadtgebiet davon, dass Groß-Berlin aus dem Zusammenschluss vieler Städte und Gemeinden entstanden ist. Sie waren 1920 meist noch relativ jung, Kinder der Kaiserzeit. So viele Rathäuser finden sich in keiner anderen europäischen Großstadt. Sie zeugen von der überwundenen kommunalen Zersplitterung, aber auch vom Verlust kommunaler Selbstständigkeit.
Groß-Berlin war eine Schöpfung der Eisenbahn. Erst der Schienenschnellverkehr ermöglichte den Bau von Vororten. Die Bildung von Groß-Berlin führte zu einer grundsätzlichen Reform des öffentlichen Verkehrs: 1928 wurde eine einheitliche kommunale Verkehrsgesellschaft geschaffen, die Berliner Verkehrs- AG (BVG). Die Reform betraf nicht nur Busse und U-Bahn, sondern vor allem die Straßenbahn, das wichtigste Verkehrsmittel dieser Zeit. Nach dem Zweiten Weltkrieg wurde das Netz des öffentlichen Schienennahverkehrs weitgehend getrennt, die Straßenbahn wurde im Westen stillgelegt, die U-Bahn in beiden Stadthälften ausgebaut. Zur Umgehung von West-Berlin wurde ein äußerer Eisenbahnring angelegt. Nach der Wiedervereinigung entstand ein neues System der Bahnhöfe, das die Hauptbahnhöfe der geteilten Stadt – Zoologischer Garten und Ostbahnhof – entwertete. Zugleich wurde das Jahrhundertprojekt einer Verbindung von Nord- und Südbahnhof verwirklicht.
Gustav Böß, Oberbürgermeister 1919–1929 Berlin von heute. Stadtverwaltung und Wirtschaft. Berlin 1929
Lagerkörper der Hochbahn
Dreirollen-Lagerkörper aus der Hochbahntrasse am Schlesischen Tor, 2020. Die doppelte Entkopplung von Fahrwegen und Stützkonstruktion schützt die Hochbahntrasse – bis heute – vor Materialermüdung.
Groß-Berlin: Ein Kind der Eisenbahn
Ein weitreichendes Schnellbahnsystem war die Voraussetzung für die Transformation des Zentrums wie für das rasche Wachstum des Großraums Berlin bereits vor dem Ersten Weltkrieg. Die beiden „Bahnhofsstraßen“ (Leipziger und Friedrichstraße), die von wichtigen Bahnhöfen zur Stadtmitte strebten, wurden zu den bedeutendsten Hauptstraßen des Zentrums. Das Schnellbahnsystem ermöglichte auch den rasanten Aufstieg des Zentrums des Neuen Westens am Bahnhof Zoologischer Garten sowie die Ausbreitung der Villenkolonien im Südwesten Berlins und anderswo. Es förderte zudem die weitere Randwanderung der Industrie. Dirigent der schienengesteuerten Ausbreitung Berlins vor allem ab den 1880er Jahren war die Preußische Eisenbahndirektion. Das radiale Schienennetz führte zur Entstehung des sogenannten Siedlungssterns, einer relativ nachhaltigen Grundform der Metropole, die heute noch erfahrbar ist.
Netz der Ringbahn, Stadtbahn und Vorortbahnen
Karte der Vorortbahnen, 1920. Die Bahnen endeten alle außerhalb der Stadtgrenzen von Groß-Berlin. Etwa die Hälfte der Strecken war eingleisig, einige waren zugleich Fernbahnstrecken.
Bahnhöfe der Vorortbahnen
Grafik Aufschließung des Vorortgeländes
Dynamisches Konzept der radialen Stadterweiterung, 1911. Der von Richard Petersen präsentierte Siedlungsstern fasst die wünschenswerte moderne Großstadtentwicklung zusammen: Das Wachstum vollzieht sich entlang der Siedlungsstrahlen, deren tragendes Gerüst die Vorortbahnlinien bilden. Der Wachstumskorridor verdichtet sich jeweils an den Bahnhöfen. Die Dichte der Bebauung ist – ausgehend vom zentralen Kern – abstufend nach außen gestaffelt. Zwischen den Siedlungsstrahlen erstrecken sich Freiräume, die bis zum zentralen Kern reichen. Petersen hatte als Verkehrsplaner zusammen mit Rudolf Eberstadt und Bruno Möhring mit einem Schema der radialen Stadterweiterung den dritten Preis im Wettbewerb Groß-Berlin 1908 – 1910 gewonnen.
Lange Suche nach einem Hauptbahnhof
Das Fehlen eines Hauptbahnhofs wurde schon beim Wettbewerb Groß-Berlin 1908 – 1910 als gravierender Mangel empfunden. Zahlreiche Wettbewerbsvorschläge zielten auf zwei Zentralbahnhöfe, die unterirdisch in Nord-Süd-Richtung miteinander verbunden wurden. Als geeigneter Standort des Nord-Zentralbahnhofs wurde das Gelände des Lehrter Bahnhofs auserkoren, für den Süd-Zentralbahnhof das Gelände des heutigen Technikmuseums. In der Weimarer Republik wurden die Pläne für einen richtigen Hauptbahnhof konkretisiert – wieder im Bereich des alten Lehrter Bahnhofs. Während der NS-Zeit rückten die Planer den nördlichen Zentralbahnhof weiter nach Norden in Richtung Gesundbrunnen. In den Zeiten der Teilung der Stadt verfiel das Gelände des Lehrter Bahnhofs zu einer Randlage – für West- wie Ost-Berlin. Erst 2006 wurde an diesem Standort der neue Hauptbahnhof eröffnet – nach gut 100 Jahren Vorplanung.
Vorschläge des Wettbewerbs Groß-Berlin
Vorschläge in der Weimarer Republik
Planung von zwei neuen Großbahnhöfen in der NS-Zeit
Hauptbahnhöfe in der geteilten Stadt: Ost-Berlin
Hauptbahnhöfe in der geteilten Stadt: West-Berlin
Der neue Hauptbahnhof
BVG: Ein Kind von Gross-Berlin
Eine einheitliche Verkehrsgesellschaft mit einem einheitlichen Fahrpreissystem erscheint heute als selbstverständlich, ist es aber nicht. Erst in den Jahren Groß-Berlins konnte die Konkurrenz vieler privater und öffentlicher Verkehrsgesellschaften überwunden werden. Die Krönung dieses Prozesses bildeten die Einführung eines Einheitstarifs von 20 Pfennig mit Umsteigberechtigung 1927 und die Gründung der kommunal geführten Berliner Verkehrs-Aktiengesellschaft (BVG) im Jahr 1928 – des größten Verkehrsbetriebs der Welt. Einer der Protagonisten dieser Entwicklung war Verkehrsstadtrat Ernst Reuter.
Netz der Straßenbahn und U-Bahn
In Groß-Berlin wurde das Schienennetz weiter ausgebaut. Der Anteil der Straßenbahn am öffentlichen Gesamtverkehr betrug 1928 50 Prozent, der Anteil der Hoch- und Untergrundbahn 15 Prozent. Nach 1945 galt die Straßenbahn in West-Berlin als veraltet und wurde abgeschafft.
BVG-Betriebswohnanlagen
Eine besondere Schöpfung Groß-Berlins waren Betriebsstraßenbahnhöfe kombiniert mit Wohnbauten für Straßenbahnangestellte, die durch eine eigene Wohnungsbaugesellschaft, die Gemeinnützige Heimstättenbau-Gesellschaft, errichtet wurden. Ein herausragender, wenngleich heute weithin vergessener Architekt dieser Anlagen war Jean Krämer.
Nach 1990: Renaissance der Schiene
Nach der Wiedervereinigung Deutschlands wurde auch das Eisenbahnsystem in Berlin neu geordnet. In atemberaubend kurzer Zeit wurde eine neue Struktur entwickelt, abgestimmt, entschieden und umgesetzt. Strukturierend für Berlin ist seither das 1992 durch das Bundesverkehrsministerium bestätigte „Pilzkonzept“, das zwei Jahrhundertträume Wirklichkeit werden lässt: die Bestimmung eines Hauptbahnhofs, und zwar dort, wo er auch schon vor 100 Jahren angedacht war, und die unterirdische Fernbahnverbindung in Nord-Süd-Richtung, die einen weiteren wichtigen neuen Großbahnhof mit sich brachte, den Bahnhof Südkreuz. Mit etwas Verzögerung wird auch am Ausbau des Straßenbahnsystems gearbeitet, vor allem an der Wiedereinführung der Straßenbahn im Westteil der Stadt. Doch damit nicht genug: Die wachsende Metropole erfordert – vor dem Hintergrund der notwendigen Verkehrswende – einen raschen Ausbau des Vorort- und Regionalverkehrs. Hierfür liegen mit dem Verkehrsprojekt i2030 erste Pläne vor.
Atemberaubend schnell: Der Eisenbahnpilz
Nach der Wiedervereinigung war es keineswegs klar, wie das vereinigte Eisenbahnsystem neu geordnet werden sollte. Vor allem das Pilzmodell und das Ringmodell waren im Gespräch.
Am Anfang fast übersehen: neuer Bahnhof Südkreuz
Der Bahnhof Südkreuz wuchs fast unbemerkt in versteckter Lage heran. Auch die städtebaulichen Entwicklungschancen, die so ein bedeutender Bahnhof eröffnet, wurden lange Zeit übersehen.
Äußerer Eisenbahnring: ein vergessener Schatz?
Für Ost-Berliner bekannt, für West-Berliner eher nicht: Der äußere Eisenbahnring verbindet die Radialstrecken des Vorortverkehrs. Nach der Vereinigung wurde er zunächst zurückgefahren. Seine Potenziale sind erst noch zu entdecken.
Straßenbahnausbau
Die Renaissance der Straßenbahn ist unübersehbar. Heute wird nicht nur die Rückkehr der Straßenbahn in den Westteil der Stadt forciert, sondern generell ein massiver Ausbau geplant. Allerdings bleibt weiter zu klären, wie die Straßenbahn etwa im Zentrum stadtverträglich in den öffentlichen Raum integriert werden kann.
Große Pläne: i2030
Im Projekt i2030 planen die Länder Berlin und Brandenburg gemeinsam mit der Deutschen Bahn und dem VBB in mehreren Teilprojekten, wie sich die Infrastruktur in den kommenden Jahren an die gestiegenen Anforderungen anpassen muss. Für die weitere Zukunft wird zu prüfen sein, ob der äußere Eisenbahnring – eine Schöpfung der DDR, um West-Berlin umfahren zu können – auch künftig eine wichtige Rolle spielen kann.
Groß-Berlin war zuerst eine Schienenmetropole, dann mehr und mehr eine Autometropole. Erste planerische Grundlagen dafür wurden 1910 im Wettbewerb Groß-Berlin angedacht und in der Weimarer Republik geschaffen. Sie wurden in der NS-Zeit weiterentwickelt und fanden in der Planung und dem teilweisen Bau des äußeren Autobahnrings einen ersten Höhepunkt. Nach dem Zweiten Weltkrieg wurde der autogerechte Ausbau in Ostwie West-Berlin extrem forciert. Wesentliche städtebauliche Folge dieser Entwicklung war – neben dem Bau eines inneren Autobahnteilrings in West- Berlin – die Transformation der großen Ausfallstraßen. Verlierer des kostenträchtigen Stadtumbaus waren das Großstadtgrün, die Fußwege und damit die Fußgänger, aber auch Straßenbahnen und Radfahrer. Aus Stadtstraßen und Stadtplätzen wurden Autotrassen und Verkehrsknoten.
Gustav Böß, Oberbürgermeister 1919–1929 Berlin von heute. Stadtverwaltung und Wirtschaft. Berlin 1929
Vorfahrt für das Automobil!
Die Faszination für das Auto begann sehr früh. Bereits im Wettbewerb Groß-Berlin schlug Hermann Jansen, Preisträger an erster Stelle, regelrechte Autoradialstraßen vor, damit sich das Automobil, so seine Worte, besser „austoben“ kann. Im Jahr 1913 begannen die Vorbereitungen für den Bau der ersten ausschließlich Autos vorbehaltenen Schnellstraße der Welt, der fast genau ein Jahr nach der Bildung von Groß-Berlin eröffneten AVUS, eines 19 Kilometer langen, kostenpflichtigen Rundkurses für schnelles Fahren. Während in der späten Weimarer Republik die autogerechte Stadt vorbereitet wurde, nahm sie in der NS-Zeit mit dem partiellen Bau des Berliner Autobahnrings erste Formen an. Nach dem Zweiten Weltkrieg begann dann der Siegeszug der autogerechten Stadt – in West- wie in Ost-Berlin. In beiden Teilstädten zunächst ohne besonders großen Autoverkehr.
Um 1910: das Auto im Wettbewerb Groß-Berlin
Eine erste autogerechte Planung für Groß-Berlin: Hermann Jansen, einer der Preisträger des Wettbewerbs Groß-Berlin, sah fünf kreuzungsfreie Hauptausfallstraßen vor, 1910.
Automobil-Verkehrs- und Übungsstraße (AVUS)
Die Automobil-Verkehrs- und Übungsstraße, kurz AVUS genannt, war weltberühmt – durch Autorennen, Geschwindigkeitsrekorde, aber auch durch tödliche Unfälle. Im Jahr 1940 wurde die Privatstraße zu einer öffentlichen Zubringerstraße zum äußeren Autobahnring.
Bau des äußeren Autobahnrings in der NS-Zeit
Der äußere Autobahnring gehört zu den einschneidendsten Hinterlassenschaften des nationalsozialistischen Städtebaus. Sein Bau verdeutlichte für alle sichtbar den Start in die Ära der autogerechten Stadt.
Bau des inneren Autobahn(teil)rings ab den 1950er Jahren
In Ost- wie West-Berlin wurde in den 1950er Jahren intensiv an der Planung eines Autobahnnetzes für die Innenstadt gearbeitet. Realisiert wurde ein Teilring auf West-Berliner Gebiet.
Un-Plätze der Bundesstraße 1
Die Bundesstraße 1, ehemals Reichsstraße 1, ist eine der bedeutendsten überregionalen Straßen Deutschlands, die früher Königsberg mit Aachen verknüpfte. Nach der Schaffung von Groß-Berlin war sie die bedeutendste Straße der Großstadt: Sie verband die beiden ehemaligen Residenzen der Hohenzollern in Berlin-Mitte und Potsdam, verlief in der Stadtmitte entlang der wichtigsten Geschäftsstraßen und durchquerte eine ausgedehnte herrschaftliche Wohnlandschaft im Südwesten. Der autogerechte Ausbau der Metropole hat diesen berühmten Straßenzug zwar weitgehend als urbane Radialstraße erhalten, an einigen Stellen aber erheblich beschädigt. Zu den Störungen gehören neben der Stadtwüste am Molkenmarkt die nicht minder abschreckende Wüste am Innsbrucker Platz und die namenlose Platzfläche vor dem Parkhaus des Steglitzer Kreisels.
„Molkenmarkt“
Molkenmarkt? Welcher Berliner weiß, dass damit der Mittelpunkt des ältesten Teils Berlins gemeint ist? Heute erstreckt sich dort eine riesige Stadtwüste, die ausschließlich dem Auto huldigt: mit vielspurigen Fahrbahnen und Parkplätzen. Diese Fläche gehört zur Negativbilanz von Groß-Berlin.
Innsbrucker „Platz“
Der Innsbrucker Platz, ursprünglich ein Stadtplatz, ist seit den 1970er Jahren ein ausufernder, durch das Auto beherrschter Verkehrsknoten, an dem sich Ringbahn, U-Bahn und Stadtautobahn kreuzen. Dazu kommen einige Straßen, darunter die Bundesstraße 1, die hier aber jeden Halt verliert.
„Platz” im Süden des Steglitzer Kreisels
Kaum bekannt ist, dass dort, wo sich jetzt das Hochhaus des Steglitzer Kreisels erhebt, noch bis in die 1960er Jahre das Dorf Steglitz stand. Südlich des Hochhauses, vor dem Parkhaus, erstreckt sich seither eine riesige namenlose Fläche, die der Verteilung des Autoverkehrs dient, den vor allem die Autobahn Westtangente bringt.
Mühsame Suche nach Straßen und Plätzen von morgen
Der Rückbau der autogerechten Stadt ist ein unausweichlicher Schritt in Richtung nachhaltige Metropole. Einigkeit besteht darüber, dass der öffentliche Personenverkehr ausgebaut werden soll. Dass der private Autoverkehr in der überkommenen Form in einer Großstadt eingeschränkt werden muss, ist auch unbestritten. Das neue Berliner Mobilitätsgesetz stärkt Fahrradfahrer und Fußgänger, jedenfalls im Grundsatz. Der Spielraum der Berliner Politik ist aber begrenzt und muss immer Brandenburg mitberücksichtigen. Offen bleibt die Frage: Wie sollen die Straßen und Plätze der Zukunft konkret aussehen, wie soll dort eine neue Balance der Verkehrsteilnehmer erreicht werden? Die Verkehrswende erfordert viele neue Ideen, viel Überzeugungsarbeit, viel Kraft bei der Umsetzung, über Verkündungen und Gesetze hinaus. Sie findet in einer noch nicht erkennbaren neuen, nachhaltigen Form der Hauptstraßen ihre Krönung.
Nach der Gründung von Groß-Berlin veränderte sich das System der Zentren grundlegend: Neben dem unbestrittenen Hauptzentrum zwischen Alexanderplatz und Reichstag gewann das aufstrebende Zentrum des Neuen Westens um die Kaiser-Wilhelm- Gedächtnis-Kirche an Bedeutung. Nach 1933 plante die nationalsozialistische Diktatur ein völlig neues Hauptzentrum westlich der Stadtmitte. Und im Zuge der Spaltung Berlins wurden zwei rivalisierende Hauptzentren ausgebaut: um den Alexanderplatz und um den Breitscheidplatz. Im Großraum Berlin gab es seit dem Ende des 19. Jahrhunderts aber auch außerordentlich viele mittlere, kleine und kleinste Zentren, zum Teil von hoher städtebaulicher Qualität. Etwa die Zentren von Lichterfelde West, Frohnau und Weißensee. Dazu kamen später weitere markante Zentren wie etwa am Hermannplatz, Fehrbelliner Platz und in Marzahn. Wie kaum eine andere Metropole Europas besitzt Berlin eine Vielfalt an Zentren.
Gustav Böß, Oberbürgermeister 1919–1929 Berlin von heute. Stadtverwaltung und Wirtschaft. Berlin 1929
“Altes und neues Berlin”
Mittelteil der Großbronze „Altes und neues Berlin“ mit Marienkirche, Fernsehturm und Alexanderplatz, Evelyn Hartnick-Geismeier, 1978. Ehemals am Berolinahaus befestigt, jetzt magaziniert.
Abstieg der Altstadt, Aufstieg des Neuen Westens
Während der Weimarer Republik veränderte sich die historische Mitte nur wenig: Neubauten waren selten, der Citybereich westlich des Schlosses hielt sich, die Altstadt östlich des Schlosses blieb aus der Sicht der Verantwortlichen ein Problem: Dort fanden sich enge Gassen, kleine Häuser und arme Einwohner – Verhältnisse also, die einer Weltstadt unwürdig schienen. Dagegen stieg ein Neuling unter den Zentren des Neuen Berlin auf, obwohl sich baulich dort auch nicht viel veränderte: das Zentrum des Neuen Westens. Dies alarmierte Unternehmer, Politiker und Stadtplaner: Durch einen Durchbruch breiter Straßen mit flächenhafter Kahlschlagsanierung sollte der weitere Abstieg der Altstadt gebremst werden. Die Neuordnung der Altstadt war das wichtigste Zentrumsprojekt von Groß-Berlin. Sie scheiterte jedoch, jedenfalls in der Weimarer Republik.
Glänzender Neuer Westen
Der Neue Westen war ein Gewinner- Standort von Groß-Berlin: Um die neoromanische Kaiser-Wilhelm- Gedächtnis-Kirche konsolidierte sich ein elegantes Laden- und Vergnügungsgebiet, das weiterhin auch ein – wenngleich teures – Wohngebiet blieb.
Stagnierende Altstadt
Die Altstadt, so die zeitgenössische Wahrnehmung, befand sich im Niedergang. Die Antwort darauf war das größte Zentrumsprojekt Groß- Berlins: die radikale Neuordnung der südlichen Altstadt. Der Umbau des Alexanderplatzes war Teil und Höhepunkt dieses Projekts.
Neue Zentren für Hitler und Stalin
Den nationalsozialistischen Machthabern erschien die historische Mitte zu armselig. Daher wurde eine neue Mitte geplant, außerhalb der alten Mitte. Diese Entscheidung ist bemerkenswert: Mussolini und Stalin ließen in den 1930er Jahren ihr neues Zentrum für Rom und Moskau innerhalb des alten Zentrums entwerfen. Alle drei Diktaturen planten aber einen dominanten Bau für ihr neues Zentrum, als städtebaulichen Taktstock der Hauptstadt, ja der gesamten Nation. Keines dieser Gebäude wurde realisiert. Nach dem Krieg sollte in Ost-Berlin in Anlehnung an die Moskauer Planung der 1930er Jahre ein sozialistisches Zentrum entstehen, ohne Schloss, aber mit einer weitgehenden Rekonstruktion der absolutistischen Bauten an der östlichen Allee Unter den Linden, vor allem aber mit einem alles beherrschenden Hochhaus für Partei- und Staatsorgane in der Altstadt. Auch dieser Bau wurde nicht verwirklicht.
Ein neues Zentrum im Westen der historischen Stadtmitte
Das künftige Zentrum der Reichshauptstadt musste monumental und völlig neu sein. Es war als Kernstück der Nord-Süd-Achse geplant, die sich westlich der historischen Mitte zwischen einem Nord- und einem Südbahnhof erstrecken sollte.
Ein neues Zentrum in der historischen Stadtmitte
Nach der Spaltung Berlins rückte die historische Mitte an den Stadtrand des sowjetischen Sektors. Dennoch wurde sie als Zentrum auch einer sozialistischen Metropole bestätigt – betont durch ein Zentrales Hochhaus wie in Moskau geplant und in Warschau realisiert.
Zentrumsumbau im Kalten Krieg
Die sich bald nach Kriegsende abzeichnende und durch den Bau der Mauer betonierte Spaltung von Berlin führte zur Bildung von zwei Großstadtzentren, die sich in zwei zentralen Plätzen bündelten: im Alexanderplatz, dem Zentrum des Ostens, und im Breitscheidplatz, dem Zentrum des Westens. Beide waren Schaufenster ihrer Teilstädte, ihrer Systeme. In beiden Fällen war die Gestalt der Plätze zunächst noch nicht ganz klar, außer in einem Punkt: Sie sollte sich jeweils von der Gestalt vor dem Krieg radikal unterscheiden. Beide Plätze sind bedeutende Zeugnisse der autogerechten Stadt – Planungen fast aus einem Guss.
Alexanderplatz: Zentrum von Berlin, Hauptstadt der DDR
Der Alexanderplatz hatte sich durch den Umbau in der Weimarer Republik stark verändert. Nach den Zerstörungen des Zweiten Weltkriegs erhielt er wiederum eine neue Gestalt, die aber die beiden von Peter Behrens 1929 entworfenen Neubauten Alexanderhaus und Berolinahaus integrierte.
Breitscheidplatz: Zentrum von Berlin (West)
Das Zentrum des Neuen Westens, nun zum Zentrum West-Berlins aufgestiegen, erhielt ebenfalls eine völlig neue Gestalt. An das alte Romanische Forum erinnert neben dem Kaisereck nur noch die Ruine der Kaiser-Wilhelm-Gedächtnis-Kirche.
Zwei zentrale Plätze im Strudel der Wende
Unmittelbar nach der Wiedervereinigung Berlins rückte der Alexanderplatz ins Scheinwerferlicht, der Breitscheidplatz in den Schatten der Aufmerksamkeit. Für beide Plätze wurden Hochhausgruppen geplant, die sich über die vorhandene Bebauung hinwegsetzten, aber nur sehr zögerlich realisiert wurden. Beide Plätze leben weiterhin von ihren wichtigen Bahnhöfen, in deren Nachbarschaft sich ausgedehnte Freiräume befinden, über deren Gestaltung seit den 1990er Jahren gerungen wird.
Alexanderplatz: Zentrum des Ostens
Nach dem Umbau gegen Ende der Weimarer Republik und dem Neubau in der DDR-Zeit wurde nach der Wiedervereinigung eine dritte, wiederum völlig neue bauliche Vision des Alexanderplatzes beschlossen.
Breitscheidplatz: Zentrum des Westens
Nach dem Bau des Romanischen Forums in der Kaiserzeit und dem Neubau des West-Berliner Zentrums in den 1950er Jahren erhält die sogenannte City West derzeit eine dritte städtebauliche Form. Hier werden nun Hochhäuser gebaut, auf die am Alexanderplatz immer noch gewartet wird.
Seit der Kaiserzeit: Vielfalt an Zentren
Groß-Berlin war bis 1920 keine einheitliche Stadt, sondern eine Ansammlung von vielen Städten und Gemeinden. Jede dieser Kommunen hatte ihr eigenes Zentrum mitgebracht, einige sogar mehrere. Dieses Erbe ist heute unbezahlbar, eröffnet es doch die Chance für eine gewisse Dezentralisierung und damit eine nachhaltige Entwicklung. Nach 1920 wurde dieser Reichtum an Zentren weiter vermehrt – nicht immer mit langfristigem Erfolg. Einige dieser Zentren können internationale Aufmerksamkeit beanspruchen, finden aber in Berlin nicht die gebührende Wertschätzung.
Zentrum Lichterfelde West: Urmodell eines suburbanen Zentrums
Der Platz vor dem Bahnhof Lichterfelde West ist vielleicht das erste planmäßig angelegte suburbane Nahversorgungszentrum dieser Art überhaupt, älter als das weit berühmtere Zentrum in Lake Forest nördlich von Chicago. Er funktioniert noch heute und erweist sich in Zeiten des Abschieds von der autogerechten Stadt als zukunftsweisend.
Gartenstadt Frohnau: Gartenstadt-Mustermitte
Groß-Berlin besitzt einige suburbane Zentren an Vorortbahnhöfen von Rang. Neben dem Bahnhofsvorplatz von Lichterfelde West und dem Mexikoplatz zählt auch der Doppelplatz in Frohnau dazu, der hinsichtlich städtebaulicher Qualität zu den bedeutendsten suburbanen Zentren gerechnet werden muss.
Kommunales Forum Weißensee: Ein kleiner See als Ortsmitte
Noch weniger bekannt ist ein weiterer Höhepunkt des Vorort- Zentrumsbaus im Großraum Berlin: das um 1910 um ein kleines Gewässer (Kreuzpfuhl) angelegte Kommunale Forum in Weißensee, das – allerdings letztlich vergebens – den Anspruch auf Stadtwerdung des Vorortes unterstreichen sollte.
Hermannplatz: „Zentrum des Südens“ (Karstadt)
Auch in der dicht bebauten Hobrecht- Stadt entstanden auffällige neue Quartierzentren, so der Hermannplatz mit dem gewaltigen, von Philipp Schaefer entworfenen und 1927 bis 1929 errichteten Karstadt- Gebäude, einem in seiner Zeit international beachteten Warenhausbau.
Fehrbelliner Platz: Verwaltungszentrum des Südwestens
Durch die einseitige Aufmerksamkeit auf das neue, lediglich gezeichnete Zentrum der Reichshauptstadt geriet die reale Bautätigkeit der nationalsozialistischen Diktatur oft aus dem Blickfeld – etwa der streng gestaltete Fehrbelliner Platz, das bedeutendste auch realisierte neue großstädtische Zentrum der NS-Zeit.
Marzahner Promenade: Stolz des fernen Ostens
Weit im Osten Berlins, für viele Bewohner des westlichen Teils der Stadt immer noch wenig bekannt, entfaltet sich parallel zur Landsberger Allee, früher Leninallee, das vielleicht ambitionierteste Zentrum einer Großsiedlung aus der DDR-Zeit: die Marzahner Promenade.
Groß-Berlin war von Anfang an ein Experimentierfeld unterschiedlichster Wohnungs- und Städtebaupolitiken, eine Bühne des Kampfes gegen die größte Mietkasernenstadt der Welt. Wohnungselend und Wohnungsknappheit begleiteten die gesamte Geschichte von Groß-Berlin. Von den 1880er bis zu den 1910er Jahren war im Rahmen privater und kommunaler Konkurrenz ein harter Gegensatz zwischen den übervölkerten Arbeiterquartieren auf der einen und den attraktiven Oberschichtsvierteln auf der anderen Seite entstanden. Nach 1920 legte sich eine weitere Schicht an Wohnungsbau neben das Berlin der Kaiserzeit: eine in sich wiederum äußerst widersprüchliche soziale Siedlungslandschaft unterschiedlichster Form und Trägerschaft, Ergebnis einer langen Periode öffentlich regulierten Wohnungsbaus. Nach dem Fall der Mauer gewann der private Wohnungsbau wieder an Gewicht – erstmals seit der Kaiserzeit.
Gustav Böß, Oberbürgermeister 1919–1929 Berlin von heute. Stadtverwaltung und Wirtschaft. Berlin 1929
Weg mit der „Mietkasernenstadt“!
Platz frei für das Neue Berlin! Das war über Jahrzehnte die Losung von Stadtplanern, Architekten und Politikern aller Couleur, ein Programm, das die Wohnungslandschaft von Groß-Berlin grundlegend verändert hat. Ziel war die Beseitigung der dichten Innenstadt mit ihren Hinterhöfen, die nach Plänen von James Hobrecht aus dem Jahr 1862 und nach Regeln unterschiedlicher Bauordnungen um die alte Stadt angelegt worden war. Doch extreme Wohnungsknappheit und fehlende öffentliche Subventionen verhinderten zunächst Abrisse. Der Zweite Weltkrieg schuf erste Lücken. Schließlich war es 1963 in West-Berlin so weit: Das „Erste Stadterneuerungsprogramm“ konnte mit Geldern aus Bonn gestartet werden. Ein erstes Modellprojekt betraf das Gebiet um die Weddinger Brunnenstraße. Auf der anderen Seite der Mauer, im Ost-Berliner Bezirk Mitte, dauerte es noch ein wenig länger: Dort wurde ab 1970 das Gebiet um den Arkonaplatz erneuert oder rekonstruiert, wie das in Ost-Berlin hieß.
Rekonstruktionsgebiet Arkonaplatz
Das Rekonstruktionsgebiet Arkonaplatz lag unmittelbar auf der anderen Seite der Mauer im Ost-Berliner Bezirk Mitte. Als es von 1970 bis 1984 erneuert wurde, war die Abkehr von der Kahlschlagsanierung bereits westost- übergreifend im Gange.
Antworten auf die Mietkasernenstadt: Großsiedlungen
Große Wohngebiete eines sozial orientierten Wohnungsbaus prägen jede Metropole. Berlin ist berühmt für diesen Wohnungsbau, der seit der Schaffung von Groß-Berlin bis zum Ende der Teilung der Stadt vorherrschte. Allerdings gab es hier auch sehr große Unterschiede – in der städtebaulichen und baulichen Gestalt, in der Trägerschaft, in der Finanzierung, in der Produktion, in der Lage im Stadtraum, in der Belegung und damit auch in der Frage, wer denn solche Wohnungen beziehen darf. Denn sozialer Wohnungsbau bedeutete keineswegs immer: Wohnungsbau für „Minderbemittelte”.
Weimarer Republik: Siedlung Neu-Tempelhof
Neu-Tempelhof war die erste große neue Siedlung der Weimarer Republik in Berlin. Ihr Bau wurde mit öffentlichen Mitteln unterstützt. Die vorstädtische idyllische, isolierte Siedlung war allerdings nicht für Bedürftige, sondern für Besserverdienende bestimmt.
Weimarer Republik: Wohnviertel um den Laubenheimer Platz
Eines der größten Neubaugebiete der Weimarer Republik in Berlin mit über 1.700 Wohnungen ist zugleich eines der am wenigsten bekannten: die Fortsetzung des Rheinischen Viertels auf der Südseite des Südwestkorso in Wilmersdorf.
Weimarer Republik: Großsiedlung Britz
Die wohl bekannteste neue Siedlung der Weimarer Republik ist die „Großsiedlung Britz“. Auch diese öffentlich geförderten 2.900 Wohnungen waren für ungelernte Arbeiter unerschwinglich, sie dienten vor allem Angestellten und anderen Mittelschichten.
Auf dem Schöneberger Südgelände war in der Weimarer Republik die größte Neubausiedlung geplant. Das 1927 vorgestellte privatwirtschaftliche Riesenprojekt für 15.000 Wohnungen scheiterte an vielfältigen Widerständen, nicht zuletzt an der lokalen Bauwirtschaft.
NS-Diktatur: Megaprojekt Südstadt
Während der nationalsozialistischen Diktatur wurde durch Generalbauinspektor Albert Speer eine gigantische Erweiterung Berlins geplant, die bis zum äußeren Autobahnring reichen und etwa 1,5 Millionen Einwohnern Raum geben sollte. Die Südstadt war Teil dieses Projekts.
West-Berlin: Großsiedlung Märkisches Viertel
Das von 1963 bis 1974 gebaute Märkische Viertel (MV) war die ambitionierteste Großsiedlung West-Berlins. Viele Bewohner kamen aus den Sanierungsgebieten der Innenstadt. Ihre Miete stieg nach Umzug in die komfortableren Neubauwohnungen um das Zwei- bis Dreifache.
Ost-Berlin: Siedlung Fennpfuhl
Der von 1970 bis 1980 errichtete Wohnkomplex Fennpfuhl gilt als erste komplex ausgestattete Großsiedlung Ost-Berlins. Für das Wohngebiet mussten Kleingartengebiete weichen. In Ost-Berlin waren die Großsiedlungen stärker sozial gemischt als in West-Berlin.
Wohnungsbau im Kalten Krieg
Der erste Kalte Krieg im Städtebau zwischen Ost- und West-Berlin fand auf dem Gebiet des Wohnungsbaus statt. Er war heftig, aber doch ein wenig anders als gern geschildert. Denn Ost-Berlin hatte zunächst die Nase vorn – was bis heute zumeist verdrängt wird: An der neuen Stalinallee, heute Karl-Marx-Allee, wurden ab 1951 Wohnpaläste nach Moskauer Vorbild in „nationaler Bautradition“ errichtet. In dieser Zeit war West-Berlin noch nicht voll handlungsfähig. Als Antwort wurde im Bezirk Wedding zunächst 1954 / 55 die bescheidene Ernst-Reuter-Siedlung gebaut und mit großem protokollarischem Aufwand eröffnet. Zur Einweihung kam sogar Bundespräsident Theodor Heuss. Erst 1957 war das Hansaviertel vorzeigbar, das heute gern als Parallelprojekt zur Stalinallee bezeichnet wird. In einem weiteren Schritt – nach der Wende in der Baupolitik in Moskau – errichtete Ost-Berlin von 1959 bis 1965 den zweiten Bauabschnitt der Karl-Marx-Allee. Ein städtebauliches Pingpong über viele Jahre!
Stalinallee
Das Ost-Berliner Prestige-Projekt Stalinallee vom Strausberger Platz aus gesehen, errichtet ab 1951.
Ernst-Reuter-Siedlung
Als Antwort auf die Ost-Berliner Stalinallee realisierte West-Berlin 1954 / 55 die Ernst- Reuter-Siedlung nahe der Sektorengrenze im Bezirk Wedding.
Hansaviertel
Das 1957 realisierte Interbau-Vorhaben Hansaviertel wird vielfach als Antwort auf die Stalinallee angesehen.
Karl-Marx-Allee II
Zweiter Bauabschnitt der Karl-Marx-Allee, um 1964. Links die Mokka-Milch-Eisbar, rechts das Café „Moskau“. Zu dieser Zeit hatten sich die städtebaulichen Formen ost-west-übergreifend bereits stark angenähert.
Nach 1990: Von Kasernen zu Wohnstätten
Nach der Wiedervereinigung Deutschlands waren die Erwartungen hoch: Berlin, so die Prognose, ja die Gewissheit, würde gewaltig wachsen. Daher wurden sehr viele Wohnungen in und außerhalb Berlins gebaut – zu viele, wie bald spürbar wurde, denn der große Einwohnerzuwachs blieb aus. 2002 wurde der Leerstand von vermietbaren Wohnungen in Berlin auf rund 120.000 geschätzt. Das ist heute schon wieder vergessen. Ebenso wie die großen Leistungen zur Instandsetzung und Verbesserung sowohl der Altbauquartiere wie der Großsiedlungen in Ost-Berlin in den frühen 1990er Jahren. Ab etwa 2007 stieg die Zahl der Einwohner wieder, zum Teil sehr stark. Wohnungen wurden wieder knapp, zunächst vor allem in der Innenstadt. Die „Mietkasernenviertel“, die Krieg und Kahlschlagsanierung überstanden hatten, sind heute äußerst beliebt. Mieten und Wohnungspreise dieser höchst flexiblen Wohnungstypen explodieren auf breiter Front. Neue große Quartiere entstehen nur zögerlich – vor allem auf ehemaligen Gewerbe-, Eisenbahn- und nicht zuletzt Militärflächen. Kasernen werden so zu Wohnstätten – etwa in der sowjetischen Militärstadt in Karlshorst und in der US-amerikanischen Militärstadt in Zehlendorf.
Gartenstadt Karlshorst
Karlshorst war der wichtigste Standort der Roten Armee in Ost-Berlin. Das in nationalsozialistischer Zeit geschaffene Militärgebiet wurde nach dem Abzug des russischen Militärs 1994 nach längerer Unsicherheit in ein attraktives großes Wohngebiet verwandelt.
The Metropolitan Gardens
Das von 1936 bis 1938 erbaute nationalsozialistische Luftgaukommando III in Dahlem war bis 1994 das Hauptquartier der US-amerikanischen Armee in Berlin. Das Kasernenareal wurde ab 2010 zu einem Wohnquartier, den „Metropolitan Gardens“, umgebaut.
Wie kann die ständig wachsende Großstadt gesund bleiben? Durch Straßenbäume und viel, viel Grün! Die erste große Tat zum Schutz der Grünflächen war 1915 der Dauerwaldvertrag. Er reservierte umfangreiche Waldflächen für die Naherholung. Die Bildung von Groß-Berlin ermöglichte – oft durch private finanzielle Unterstützung – weitere Volksparks, die der Erholung, der Kultur und dem Sport dienten. Über die Grenzen Berlins hinaus bekannt wurde das Strandbad Wannsee. In der Zeit des Nationalsozialismus entstand mit dem Reichssportgelände ein riesiger Sportpark, während der DDR-Zeit wurden weitere Parks ausgebaut oder geschaffen. Im späten West-Berlin konnte die lange Tradition der Gartendenkmalpflege zu einem neuen Höhepunkt geführt werden. Nach dem Fall der Mauer wurden neue große Parks in Berlin angelegt und Regionalparks im Umland geplant. Die bedeutendste historische Parklandschaft wurde zudem sorgfältig rekonstruiert: die Schlösser und Parks von Potsdam und Berlin, eine Welterbestätte.
Gustav Böß, Oberbürgermeister 1919–1929 Berlin von heute. Stadtverwaltung und Wirtschaft. Berlin 1929
Ein Zögling der Großstadt: Der ordentliche Straßenbaum
In den Straßen der früheren Städte und Dörfer standen selten Bäume. Erst in der Ära des Absolutismus wurden einige städtische Alleen angelegt, etwa die Allee Unter den Linden. In Paris setzte sich die baumbestandene Großstadtstraße im 19. Jahrhundert durch und wurde zum Vorbild für weitere Großstädte – auch für den Großraum Berlin. Die großen Radial- und Ringstraßen erhielten ihre charakteristischen Bäume: vor allem Linden, Ahorn, Eichen, Platanen und Kastanien. Das Foto zeigt Straßenbäume in der Frankfurter Allee Ecke Ruschestraße im Jahr 1928. Während des autogerechten Stadtumbaus dezimiert, hat der Straßenbaum heute wieder eine große Zukunft vor sich: als Botschafter der Verkehrswende, als positiver Beitrag in Zeiten des Klimawandels, zur Freude für den Fußgänger.
Volksparks aller Art
Volksparks sind eine Groß-Berliner Spezialität – schon vor 1920. Sie sollen der Freizeit und Erholung der Großstadtbewohner dienen und umfassen nicht nur schön gestaltete Freiflächen für das Auge, sondern auch Spiel- und Sportplätze, ja sogar Kultureinrichtungen. Die Idee solcher Volksparks kam aus den USA, vor allem aus Chicago, konnte sich aber auch auf eine eigene Berliner Tradition stützen. Während der Weimarer Republik wurden in Berlin Volksparks in großem Umfang neu geschaffen – auch auf direkte Initiative von Oberbürgermeister Böß, dem es gelang, über eine Stiftung private Gelder zu diesem Zweck einzusammeln. Auch die größte öffentliche Freizeiteinrichtung Berlins, das Strandbad Wannsee, ist baulich ein Kind von Groß-Berlin. Nach 1933 wurden weitere Parks neu geplant, angelegt und weiterentwickelt – bis heute.
Volkspark Rehberge
Volksparks – eine kommunale Errungenschaft – sollten vor allem den Bewohnern der dicht bebauten Viertel zur Erholung, zum Spielen und zur sportlichen Betätigung dienen. Der Volkspark Rehberge ist ein Musterbeispiel eines solchen Volksparks im Arbeiterbezirk Wedding.
Strandbad Wannsee
Das Strandbad Wannsee gehört zu den berühmtesten Errungenschaften von Groß-Berlin. Das heutige große Bad geht auf Planungen von Stadtbaurat Martin Wagner aus dem Jahr 1927 zurück, der ein modernes „Weltbad“ bauen wollte.
Reichssportgelände
Die nationalsozialistische Sportstadt präsentierte sich wie ein riesiger Volkspark, mit unterschiedlichen Sportstätten, Aufenthaltsflächen und einer Kulturstätte. Sie war ein bis ins Detail gestaltetes propagandistisches Manifest des Staates, nicht der Kommune.
Neuer Grunewald
Die „Umgestaltung“ des Grunewalds war ein wichtiger Teil der Neugestaltung Berlins unter Generalbauinspektor Albert Speer. Sie ging auf Pläne von Willi Schelkes zurück. 1938 begannen die Arbeiten.
Volks- und Waldpark Wuhlheide
Der Park Wuhlheide wurde ab 1924 nach Plänen des Treptower Gartendirektors Ernst Harrich mehrmals umgestaltet. In der DDR-Zeit entstand 1950 weiter östlich der populäre Pionierpark „Ernst Thälmann“, 1979 wurde der von Günter Stahn entworfene Pionierpalast „Ernst Thälmann“ eröffnet.
Kleingärten für Groß-Berlin
Der Laubenpieper ist eine typische Großstadtpflanze, ganz besonders von Groß-Berlin. Mit etwa 2.900 Hektar belegen die Berliner Kleingärten immerhin drei Prozent der gesamten Stadtfläche. Von dieser Fläche sind etwa drei Viertel Eigentum des Landes. Kleingärten können einen Beitrag zum Stadtklima leisten, haben aber vor allem eine soziale Funktion: Sie bieten Gärten und grüne Heime auch für weniger bemittelte Schichten, in Krisenzeiten sogar (unerlaubten) Dauerwohnraum und Nahrungsquellen. Dennoch sind sie immer wieder Gegenstand von Bau-Begehrlichkeiten, insbesondere in Zeiten der Wohnungsknappheit wie heute.
Es geht auch anders: Grüne Plätze
Vor dem autogerechten Umbau fanden sich in Groß- Berlin schön gestaltete Straßen und Plätze, die reich von Straßenbäumen und ausgewählten Pflanzen, Parkbänken und Spielplätzen gesäumt wurden. So schmückten in der Kaiserzeit – heute kaum mehr zu glauben – Blumenbeete den Mittelstreifen der Bismarckstraße. Vor dem Ersten Weltkrieg schufen vor allem Terraingesellschaften schöne Straßen und Plätze, etwa den Rüdesheimer Platz, den Viktoria-Luise-Platz, den Bayerischen Platz, den Mexikoplatz, den Ludolfinger- und Zeltinger Platz. In der Weimarer Republik wurden stadtweit Plätze zunehmend nutzbarer gestaltet – durch bekannte Gartenarchitekten wie Erwin Barth, der neben vielen anderen Plätzen den Oranienplatz und den Boxhagener Platz zu Mini-Volksparks machte. Epochenübergreifend ist auch das Werk des Wilmersdorfer Gartenarchitekten Richard Thieme, der die Straßen und Plätze um die Kaiserallee, heute Bundesallee, modernisierte.
Pläne für grüne Plätze von Erwin Barth
In den 1920er Jahren wurden viele Plätze in Groß-Berlin grün umgestaltet – nicht zugunsten des Autos, sondern der Einwohnerschaft. Sie erhielten Spiel- und Schmuckanlagen. Verantwortlich dafür waren kommunale Gartenarchitekten, an erster Stelle Erwin Barth, Stadtgartendirektor von Groß-Berlin von 1926 bis 1929.
Grüngestaltung der „Carstenn-Figur“ durch Richard Thieme
Die durch eine nahezu symmetrische Straßen- und Platzkomposition gebildete „Carstenn-Figur“ ist eine der auffälligsten geometrischen Stadtraumformen von Groß-Berlin. Sie entfaltet sich über knapp vier Kilometer auf beiden Seiten der Bundesallee, früher Kaiserallee, und wird vom Volkspark Wilmersdorf gequert. Ihr Mittelpunkt ist der Bundesplatz, früher Kaiserplatz.
Musterhaft: Gartendenkmalpflege
Seit den 1980er Jahren genießt die Berliner und Brandenburger Gartendenkmalpflege Weltruf. Vor allem die Rekonstruktion der großen, zusammenhängenden Parklandschaft des Berliner Südwestens und Potsdams gilt als vorbildlich und ist heute als Weltkulturerbe anerkannt. Damit ist nicht nur eine großartige Erholungslandschaft zurückgewonnen, sondern auch ein touristisches Ziel von internationalem Rang gesichert worden. Andere Parks wie der Tiergarten und der Körnerpark verdanken ebenfalls ihre Wiederherstellung der Gartendenkmalpflege. Aber nicht nur große und kleine Parkanlagen, sondern auch einige viel bewunderte Stadtplätze sind das Ergebnis gartendenkmalpflegerischer Initiative, für die sich nicht zuletzt Klaus-Henning von Krosigk, Gartenbaudirektor von 1978 bis 2011, unermüdlich eingesetzt hat.
Schlösser und Gärten von Potsdam und Berlin
Zu den Reichtümern des Großraums Berlin zählen die preußischen Schlösser und Gärten, die 1990 durch die UNESCO als Weltkulturerbe ausgezeichnet worden sind. Dazu gehören die Anlagen in Potsdam und Glienicke.
Gartendenkmal-Plätze
Nach dem autogerechten Umbau der 1950er und 1960er Jahre erfuhren einige Plätze in den 1980er und 1990er Jahren eine fußgängerfreundliche Rekonstruktion durch die Gartendenkmalpflege. Seither gab es keine großen Platzprogramme mehr.
Nach 1990: Lust auf neue Parks
Nach der Wiedervereinigung – das wird leicht übersehen – brach ein regelrechtes Parkfieber aus: Historische Parks wurden rekonstruiert, neue wurden geschaffen, weitere geplant. Dazu gehörten überregionale Veranstaltungen wie die Internationale Gartenausstellung (IGA) in Marzahn 2017, aber auch lokale Groß-Berliner Sprösslinge wie der Mauerpark und das Grüne Band. Geplant wurden zudem – zur Stärkung und Bereicherung des „Siedlungssterns” – großzügige Regionalparks.
Mauerpark
Zu den typischen neuen Berliner Parks gehört der Mauerpark, der an dieser Stelle die Idee eines Grünzugs anstelle der Mauer aus der Zeit der Öffnung der Mauer aufgreift. Er verbindet heute die ehemaligen Bezirke Wedding und Prenzlauer Berg und wird intensiv genutzt.
IGA-Gelände
Die Internationale Gartenausstellung (IGA) 2017 hat einen bereits während der DDR-Zeit angelegten großen Park in Marzahn weiter ausgebaut und ausgestattet. Bekannt sind dort vor allem die Gärten der Welt.
Mauergrünzug „Grünes Band“
Das „Grüne Band“ ist ein im Werden begriffener eindrucksvoller neuer Park für Fußgänger und Radfahrer, der nach seiner Fertigstellung über 13 Kilometer entlang des ehemaligen Grenzverlaufs vom Nordbahnhof bis zum nördlichen Stadtrand verlaufen soll.
Große Pläne pflastern den Weg von Groß-Berlin. Den Auftakt bildete der Wettbewerb Groß-Berlin 1908 – 1910. Es folgten die Bemühungen um einen Generalsiedlungsplan für Berlin und einen Entwicklungsplan für Brandenburg-Mitte in der Weimarer Republik, dann die Arbeiten am Generalbebauungsplan unter der Leitung von Albert Speer, unmittelbar nach dem Krieg die Pläne des Planungskollektivs um Hans Scharoun und schließlich die großen Pläne für die geteilte Stadt. Nach dem Fall der Mauer entstanden länderübergreifende großräumige Pläne, der aktuelle folgt dem traditionellen Leitbild des Siedlungssterns. All diese großen Pläne dienten ganz unterschiedlichen Zielen – der Mobilisierung von Aufmerksamkeit, der Verpflichtung von Behörden, der Orientierung privater Investoren, aber auch der Demonstration gesellschaftspolitischer Ziele. Heute muss ein großer Plan all diesen Anforderungen genügen.
Gustav Böß, Oberbürgermeister 1919–1929 Berlin von heute. Stadtverwaltung und Wirtschaft. Berlin 1929
Wettbewerb Groß-Berlin 1908–1910
Gesamtplan von Hermann Jansen, mit einem ersten Preis ausgezeichnet, 1910. Der internationale Wettbewerb „Groß-Berlin“, der 1910 entschieden wurde, setzte sich erstmals umfassend mit der Planung eines neuen Phänomens, der permanent wachsenden Riesenstadt, auseinander. Der integrierte Plan enthielt Aussagen zum Wohnen, zum Verkehr, zum Grün und zu den Zentren. Die Initiative für den Wettbewerb kam von der Vereinigung Berliner Architekten und vom Architekten-Verein zu Berlin (heute Architekten- und Ingenieurverein zu Berlin-Brandenburg). Erwartet wurden Vorschläge vom Riesenmaßstab bis zum städtebaulichen Detail. Der Wettbewerb band viele gesellschaftliche Akteure ein – aus Politik, Wirtschaft, Kunst und Fachwelt. Sein Ziel war es auch, überhaupt erst einmal darauf aufmerksam zu machen, dass eine Planung dieser Art sinnvoll ist. Und dass dafür eine neue politische Form der Großstadt geschaffen werden muss, eben Groß-Berlin.
Gründung von Groß-Berlin 1920
Übersichtsplan nach dem Groß-Berlin-Gesetz vom 27. April 1920 mit den 20 Verwaltungsbezirken und Dauerwaldflächen. Am 1. Oktober 1920 wurde Groß-Berlin Wirklichkeit. Die Provinz Brandenburg wurde erheblich verkleinert und die neue Stadtgemeinde in 20 Bezirke aufgeteilt. Vorausgegangen waren jahre-, ja jahrzehntelange Streitigkeiten für und wider Groß-Berlin. Unklar war auch, wie weit die Grenzen für Groß-Berlin gezogen werden sollen. Nach dem Wettbewerb Groß-Berlin wurde 1912 ein Zweckverband Groß-Berlin ins Leben gerufen, der aber begrenzte Kompetenzen hatte und daher wenig erfolgreich war. Dieser Zweckverband umfasste eine viel größere Fläche als das spätere Groß-Berlin, er wurde 1920 aufgelöst. Noch Jahre nach der Schaffung von Groß-Berlin versuchten einige Ortsteile, wieder auszutreten – ohne Erfolg.
Teilpläne der Weimarer Republik
Liegenschaftsplan der Stadt Berlin, Stand 1. Januar 1929. Nach der Schaffung von Groß-Berlin 1920 begann eine neue Ära der Planung. Während vor dem Ersten Weltkrieg der Einfluss privater Akteure auf den Städtebau sehr groß war, wurde nun der Einfluss der neuen Kommune prägend – im Wohnungsbau, in der Grünversorgung, in der Energieversorgung und in der Neuorganisation des Verkehrs. Deutlich wurde das nicht zuletzt auch an der eindrucksvollen Bodenvorratspolitik – Folge wie Voraussetzung kommunalwirtschaftlichen Städtebaus. Neue umfassende Pläne wurden geschmiedet. 1925 trat der Bauzonenplan in Kraft, 1929 wurde der Generalfreiflächenplan veröffentlicht, im gleichen Jahr wurde ein autogerechter Straßenplan vorgelegt. Allerdings gelang es trotz großer Anstrengungen nicht, einen umfassenden Generalsiedlungsplan zu erarbeiten.
Auftritt des Landesplanungsverbandes Brandenburg-Mitte 1935
Übersichtskarte zum Wirtschaftsplan Berlin- Brandenburg- Mitte, Gustav Langen, 1935. Die Schaffung von Groß-Berlin bedeutete zugleich: Schrumpfung der Provinz Brandenburg. Die Provinz hatte nun weniger Bewohner als Groß-Berlin, und Groß-Berlin gehörte nicht zum Provinzialverband. Als Antwort auf die – erfolglosen – Bestrebungen Groß-Berlins im Jahr 1928, weitere Flächen des Umlands einzugemeinden, entstand 1929 der „Landesplanungsverband Brandenburg-Mitte“, der bis 1937 existierte. Für den Verband erarbeitete der international renommierte Raumplaner Gustav Langen einen differenzierten Gesamtplan (Generalsiedlungsplan), der zu Unrecht bis heute kaum beachtet wird. Dieser sah im Umland Ausgleichs- oder Versorgungsgebiete für die Ernährung Berlins vor. Zugleich enthielt er bereits das später weiterverfolgte System der Autobahn- und Eisenbahntrassen um Berlin.
Generalbebauungsplan des Generalbauinspektors 1937 – 1942
Generalbebauungsplan (Gesamtplan), Albert Speer, 1942. Am 30. Januar 1937 wurde die Institution des „Generalbauinspektors für die Reichshauptstadt“ (GBI) geschaffen, die einen „Gesamtbauplan für die Reichshauptstadt Berlin“ erarbeiten sollte. Nicht mehr die Ämter der Einheitsgemeinde, sondern eine staatliche Behörde mit Albert Speer an der Spitze war nun für die Planung des Großraums Berlin zuständig. Die kommunalen Grenzen hatten ihre Bedeutung verloren. Damit war ein neues System staatswirtschaftlichen Städtebaus begründet. Formales Grundgerüst der erweiterten Reichshauptstadt sollte ein Hauptstraßensystem aus Achsen und Ringen werden. Dass dieser Plan nur durch die Verfolgung der Juden, den Raub von Ressourcen und den Einsatz von Zwangsarbeitern ansatzweise umgesetzt werden konnte, wurde lange verdrängt. Sitz der neuen Behörde war ab 1938 das Palais am Pariser Platz 4, aus dem zuvor die Akademie der Künste in das Kronprinzenpalais verdrängt worden war.
Aufteilung Berlins in Besatzungszonen 1945
Berliner Besatzungszonen, 1945. Nach der bedingungslosen Kapitulation im Mai 1945 herrschten die Alliierten über Berlin, zunächst nur die sowjetische, ab Juli auch die US-amerikanische, britische und französische Besatzungsmacht. Groß-Berlin wurde, wie schon 1944 beschlossen, mit Blick auf die durch das Groß-Berlin-Gesetz bestimmten Stadt- und Bezirksgrenzen in Sektoren (zunächst ohne französischen Sektor) aufgeteilt. Der Magistrat von Groß-Berlin, das war die offizielle, von den Alliierten verfügte Begrifflichkeit, war weiterhin keine Einrichtung der Selbstverwaltung, sondern eine Institution unter dem Befehl der Alliierten, die auch über Fragen der Instandsetzung von Wohnungen und Infrastruktur sowie ganz allgemein des Städtebaus entschieden. Als gemeinsame, wenngleich zunehmend sich streitende neue Stadtregierung wurde die Alliierte Kommandantur eingerichtet, die ihren Sitz in Zehlendorf in der Kaiserswerther Straße 16 – 18 hatte.
Kollektivplan 1945/1946
Strukturplan des Raumes Berlin, 1945 / 46. Der Kollektivplan war der erste offizielle Planentwurf, der nach der bedingungslosen Kapitulation erarbeitet und nach der Genehmigung durch die Besatzungsmächte der Öffentlichkeit vom 22. August bis zum 15. Oktober 1946 in der Ruine des Berliner Schlosses präsentiert wurde. Der unter der Leitung des Stadtrats für Bau- und Wohnungswesen, Hans Scharoun, entstandene Plan verkörpert ohne Rücksicht auf Überkommenes die Vision einer neuen, autogerechten und funktionsgetrennten Stadtlandschaft, die sich in einem streifenartigen, ost-westgerichteten Band entlang der Spree im Urstromtal erstrecken sollte. Im Außenbereich sind Ansätze des traditionellen Radialkonzepts sichtbar. Nach den ersten freien Wahlen am 20. Oktober 1946 musste Scharoun gehen. Dennoch hatte der Plan eine große Wirkung. In einer Zeit höchster Unsicherheit war allein das Nachdenken über eine mögliche Zukunft ein Akt der Hoffnung.
Ost-Berlin: Raumordnungsplan 1953
Raumordnungsplan für Ost-Berlin, 1953. Im Raumordnungsplan aus dem Jahr 1953 ist – auf Grundlage der staatlich beschlossenen „16 Grundsätze des Städtebaus” – Berlin mit Umland noch ohne Abschottung zwischen Ost und West dargestellt. Hervorgehoben sind die Eisenbahntrassen, auch der äußere Eisenbahnring, während der äußere Autobahnring kaum auffällt. Dennoch spielte die Schnellstraßenplanung eine Schlüsselrolle. Betont wurde die Hierarchie der baulichen Dichte, vor allem aber die Vielfalt der Zentren. Neben dem Flughafen Tempelhof ist – kleiner – der Flughafen Schönefeld verzeichnet. Der Plan reicht im Norden bis Oranienburg und Eberswalde, im Osten bis Fürstenwalde, im Süden bis Zossen und im Westen bis Nauen. Der Kreis markiert einen Radius von 30 Kilometern um das Stadtzentrum. Im Vergleich zum Kollektivplan respektierte der Plan von 1953 die überkommene Großstadt und verzichtete auf radikale Neustadtvisionen.
West-Berlin: Flächennutzungsplan 1965
Flächennutzungsplan für West-Berlin, 1965 (verabschiedet 1970). Der einige Jahre nach dem Bau der Mauer fertiggestellte Flächennutzungsplan (FNP) von West-Berlin aus dem Jahr 1965 hat der Stadt langfristig mehr zugesetzt als alle anderen großen Pläne seit 1945. Er hatte ein klares Konzept: die Modernisierung der westlichen Teilstadt in öffentlicher Initiative. Der FNP umfasste den Bau von Großsiedlungen, die Kahlschlagsanierung von Teilen der Innenstadt und den Bau eines Stadtautobahnnetzes, aber auch den Ausbau der U-Bahn. Da zur Umsetzung des Plans umfangreiche Bundesmittel bereitstanden, war er auch relativ wirksam. Dies wiederum bildete den Hintergrund für eine breite Protestbewegung, die ab Ende der 1960er Jahre zentrale Projekte des Plans infrage stellte.
Ost-Berlin: Generalbebauungsplan 1969
Generalbebauungsplan 1969: Plan der Struktur und der Komposition. Kurz nach dem West- Berliner Flächennutzungsplan wurde in Ost-Berlin durch den Magistrat von Groß-Berlin der Generalbebauungsplan zusammen mit dem Generalverkehrsplan vorgelegt. Auch dieser Plan orientierte auf einen umfassenden Umbau der Stadt mit dem Ziel, „ein für die Metropole des ersten deutschen Arbeiter- und Bauern-Staates typisches Stadtbild zu schaffen“. Vorgesehen war eine „kompakte“ Stadt mit klarem Zentrum und enger Verflechtung von Arbeiten, Wohnen und Erholen, erschlossen durch ein System öffentlichen Nahverkehrs einschließlich Straßenbahn und durch ein Radialringstraßensystem. Im Zentrum waren auch zahlreiche Wohnhochhäuser und -scheiben vorgesehen, im Außenbereich war eine Zersiedelung ausgeschlossen. Damit unterschied sich das Konzept deutlich von Plänen westlicher Großstädte.
West-Berlin: Flächennutzungsplan 1984
Flächennutzungsplan 1984. Der West-Berliner Flächennutzungsplan von 1984 bringt den grundlegenden Perspektivwechsel im Städtebau zum Ausdruck, der sich im Rahmen massiver gesellschaftlicher Konflikte während der 1970er und frühen 1980er Jahre vollzogen hatte. Der Ausbau der Stadtautobahn mit dem Tangentensystem wurde aufgegeben, die Kahlschlagsanierung durch die behutsame Stadterneuerung ersetzt und der Bau von Großsiedlungen am Stadtrand eingestellt. Die Werte der alten Stadt wurden wiederentdeckt. Eine Internationale Bauausstellung (IBA 1984) vermittelte diesen Wechsel. Der Plan war nach der Unterzeichnung des Grundlagenvertrags von 1972, der die Anerkennung der DDR brachte, auch kein Mittel des Kalten Krieges mehr. In Kraft trat der Plan erst 1988. Seine Wirkzeit war daher kurz. Seine Grundhaltungen überdauerten aber die Wiedervereinigung der Stadt.
Ost-Berlin: Schema der Generalbebauungsplanung 1987
Schema der Generalbebauungsplanung, 1987. Auch in Ost-Berlin hatten sich die Zielsetzungen grundsätzlich geändert. Vor dem Hintergrund der 750-Jahr-Feier Berlins 1987 erhielt die alte Stadt einen völlig neuen, positiven Stellenwert, der nicht zuletzt im Bau des Nikolaiviertels und in den Projekten für die Friedrichstadt zum Ausdruck kam. Zugleich wurde am Stadtrand der erst in den 1970er Jahren begonnene Bau von Großsiedlungen fortgesetzt. Besonders auffällig ist auch die großräumige Orientierung: Das Schema der Generalbebauungsplanung zeigt eine sternenförmige Siedlungsplanung mit Grünkeilen, allerdings nur für eine Hälfte des Großraums Berlin. Potsdam erschien nicht auf dem Plan und war auch ganz abgelegen. Die Wirkzeit des Generalbebauungsplans von Ost-Berlin war noch kürzer als die des Flächennutzungsplans 1984, der Plan erhielt nicht einmal mehr Rechtskraft.
Plan des Provisorischen Regionalausschusses 1990
Plan des Provisorischen Regionalausschusses, Planungsgruppe Potsdam, 1990. Nur drei Jahre nach der Vorstellung des Schemas der Generalbebauungsplanung hatten sich die Verhältnisse dramatisch verändert: Die Mauer war gefallen, und die räumlichen Perspektiven wurden revolutioniert. Noch vor der Wiedervereinigung traf sich eine Gruppe von Fachleuten aus Ost und West, aus Berlin und dem Umland: die Planungsgruppe Potsdam des Provisorischen Regionalausschusses. Nach ihren Empfehlungen sollte eine Zersiedelung des Umlands verhindert, Freiflächen sollten gesichert, vorhandene Zentren gestärkt, die städtebaulichen Kulturwerte der Region erhalten, gleichwertige Lebensbedingungen erstrebt und der öffentliche Verkehr verbessert werden – und dies alles ökologisch und sozial verträglich. Räumlich sollte die Metropole entlang der in mehr als 100 Jahren entstandenen radialen Siedlungsstrukturen entwickelt werden. Diese Ideen beeinflussen das stadtregionale Denken bis heute.
Landesentwicklungsplan 2019
Landesentwicklungsplan Hauptstadtregion Berlin-Brandenburg (LEP HR), 2019. Am 1. Juli 2019 ist der neue Landesentwicklungsplan in Kraft getreten. Er ist das Ergebnis der fachlichen Arbeit der „Gemeinsamen Landesplanungsabteilung“, einer seit 1996 existierenden Behörde, die von den Ländern Berlin und Brandenburg getragen wird. Als übergreifendes Leitbild wird der Siedlungsstern proklamiert, eine stadtregionale Form, die sich seit den 1880er Jahren allmählich herausgebildet hat. Entlang der Linien der Vorortbahnen und großen Ausfallstraßen soll die Metropole wachsen, verstärkt durch einen Ausbau des öffentlichen Verkehrs. Zwischen diesen Strahlen sollen Freiräume erhalten werden. Der Plan baut auf den Besonderheiten und Stärken der Stadtregion auf – ein im Grundsatz nachhaltiges Konzept.
Während große Pläne die erwünschten Ziele andeuten, prägen Großprojekte den Raum der Großstädte unmittelbar. In Berlin waren das zunächst Industrieanlagen, Häfen, Truppenübungsplätze, Zentren der Wissenschaft und Krankenhausanlagen, später auch Riesenkraftwerke, Flughäfen, ein Messegelände und – jenseits der Grenzen Berlins – eine Filmstadt. All diese großen Projekte förderten oder behinderten die Entwicklung ihrer Umgebung. Es handelt sich um Sonderzonen, die meist nicht oder nur sehr eingeschränkt öffentlich zugänglich sind. Sie sind daher auch, wie Militärgebiete, oft unsichtbar – selbst auf Plänen. Durch die aktuelle Neuorganisation des Systems der Flughäfen werden die Gewichte der Metropole neu verteilt. In Siemensstadt und Grünheide festigen sich neue industrielle Kerne. Militärzonen werden zu Wohngebieten. Güterverkehrszentren im Umland verweisen auf die räumlichen Folgen des digitalen Zeitalters. Berlin und Brandenburg, so zeigt sich, sind vollständig voneinander abhängig.
Gustav Böß, Oberbürgermeister 1919–1929 Berlin von heute. Stadtverwaltung und Wirtschaft. Berlin 1929
Technische Universität Berlin
Die Groß-Berliner Wissenschaftslandschaft ist weltberühmt, schon in der Kaiserzeit. Die Friedrich-Wilhelms-Universität (heute: Humboldt- Universität), die Technische Hochschule zu Berlin (heute: Technische Universität Berlin), die Kaiser- Wilhelm-Institute (heute: Max-Planck-Institute) und die Forschungseinrichtungen auf dem Telegraphenberg (heute: Wissenschaftspark Albert Einstein), vier herausragende Wissenschaftszentren, sind in und um Berlin verteilt: in der Berliner Mitte, in Charlottenburg, in Dahlem und in Potsdam. Die Technische Hochschule Berlin förderte den legendären Aufstieg des Neuen Westens. Als das Hauptgebäude 1884 eröffnet wurde, erhob es sich noch in einer verschlafenen Peripherie. Als Groß-Berlin 1920 geschaffen wurde, war das umliegende Gebiet bereits weitgehend geschlossen bebaut und hatte sich den Titel „Industriegebiet der Intelligenz“ verdient. Nach dem Zweiten Weltkrieg setzte ein gewaltiges Wachstum der Technischen Universität Berlin ein, das mit dem Ideenwettbewerb von 1968 einen planerischen Höhepunkt erreichte. Doch diese Pläne blieben – zum Glück – Papier.
Truppenübungsplatz Döberitz
Der Truppenübungsplatz Döberitz westlich von Spandau ist in besonderer Weise mit der Geschichte Groß-Berlins verbunden. Er wurde 1895 in Anwesenheit von Kaiser Wilhelm II. als riesiger Truppenübungs- und Paradeplatz eingeweiht. Zuvor hatten Wälder und Einwohner weichen müssen. Um den neuen Platz besser an Berlin anzubinden, wurde 1911 die neue Heerstraße eröffnet. Damit entstand eine der Hauptachsen von Groß-Berlin: die Westachse, die am Stadtschloss ihren Ausgang nahm. Im März 1920, während des Kapp-Putsches, marschierte die in Döberitz stationierte Freikorps-Brigade Ehrhardt in Berlin ein – ein Ereignis, das die Berliner den zeitgenössischen Presseberichten zufolge mehr bewegte als die Gründung von Groß-Berlin. In der NS-Zeit wurde das Gelände groß ausgebaut, außerdem wurde dort das Olympische Dorf angelegt. 1947 richtete sich die sowjetische Armee auf dem Platz ein – und blieb bis 1992. Seither wird das Gebiet unterschiedlich genutzt – ein Teil durch die Bundeswehr, aber auch Pflanzen, Tiere und Bewohner sind zurückgekehrt.
Siemensstadt
Kaum ein Unternehmen hat die ehemals größte Industriestadt des Kontinents so geprägt wie Siemens, vor allem in Zeiten Groß-Berlins. Mit dem Kauf eines ausgedehnten Gebiets am Nonnendamm im Jahr 1897 begann die Geschichte eines einzigartigen Industriestadtteils – der Siemensstadt in Spandau. Nach der Bildung von Groß-Berlin wurde der Stadtteil unter Federführung des Architekten Hans C. Hertlein beträchtlich ausgebaut. Damals entstand auch die Großsiedlung Siemensstadt nach einem städtebaulichen Konzept von Hans Scharoun – heute Weltkulturerbe. Während der NS-Zeit konnte Siemens seine Produktion auch mithilfe von Zwangsarbeitern ausbauen. Wegen der Berlin-Blockade zog das Unternehmen 1949 nach München. Heute plant das Weltunternehmen im Bereich der alten Siemensstadt eine modellhafte „neue Siemensstadt“. Auch die stillgelegte Siemensbahn soll reaktiviert werden.
Gesundheitsstandort Buch
Das weltweit berühmte Kaiser-Wilhelm-Institut für Hirnforschung mit Direktorenwohnhaus und Mitarbeiterwohnhaus in Buch, erbaut von 1929 bis 1931. In dem erhaltenen Ensemble von Carl Sattler im Stil der Neuen Sachlichkeit wurde bedeutende Grundlagenforschung betrieben. Im Nordosten von Berlin war von 1898 bis zum Ersten Weltkrieg eine prächtige Heil-Stadt mit Gartenanlagen und Bauplastiken entstanden. Die Pläne für Lungensanatorien, ein Altersheim, damals sogenannte Irrenanstalten und Betriebsgebäude entwarf Ludwig Hoffmann, der Berliner Baustadtrat für Hochbau in den Jahren von 1896 bis 1924. Über einen Vorortbahnhof war Buch mit Berlin verbunden. Während der Weimarer Republik wurde der Standort, nun Teil von Groß-Berlin, weiter ausgebaut. In nationalsozialistischer Zeit wurde Buch zu einem Ort der Zwangssterilisation und des Massenmords. Zu DDR-Zeiten war es ein Gesundheitszentrum von nationaler Bedeutung und erhielt weitere Bauten, etwa für das Robert-Rössle- Institut. Heute gehört der Campus Berlin-Buch wieder zu den großen internationalen Gesundheitszentren, nicht zuletzt durch die Gründung des Max-Delbrück-Centrums für Molekulare Medizin im Jahr 1992.
Flughafen Tempelhof
Der Flughafen Tempelhof war der erste bedeutende Flughafen im Berliner Großraum. Das stürmische Wachstum der Großstadt verdrängte das Militär von dem dortigen Truppenübungsplatz und umschloss den riesigen Freiraum innerhalb der Ringbahn. Der Flughafen wurde 1923 eröffnet. Träger der 1924 gegründeten Berliner Flughafen- Gesellschaft war neben Preußen und dem Reich auch Groß-Berlin. Der seit 1927 mit der U-Bahn erreichbare, extrem zentrumsnah gelegene Flughafen wurde rasch zur wichtigsten Luftdrehscheibe Europas. Ab 1936 entstand dort nach Plänen von Ernst Sagebiel das damals größte Bauwerk der Welt. Während des Zweiten Weltkriegs war das Gelände ein riesiges Zwangsarbeiterlager. 1948 / 49 erlangte es internationale Berühmtheit – als Ort der Luftbrücke für das eingeschlossene West-Berlin. Der 1951 wiederaufgenommene zivile Flugverkehr wurde nach der Inbetriebnahme des Flughafens Tegel 1975 eingestellt, 1981 erneut aufgenommen und nach der Wiedervereinigung der Stadt 2008 endgültig eingestellt.
Westhafen
Im Jahr 1923 wurde eines der wichtigsten kommunalwirtschaftlichen Projekte Groß-Berlins eröffnet: der Westhafen, lange Zeit der zweitgrößte Binnenhafen Deutschlands. Als Träger des Hafens wurde auf städtische Initiative und mit städtischer Beteiligung die Berliner Hafen- und Lagerhaus AG (BEHALA) gegründet. Der Hafen ist über den Hohenzollernkanal, den Berlin-Spandauer Schifffahrtskanal und den Westhafenkanal mit Elbe und Oder verbunden. Der Bau der Hafenstadt startete bereits 1914, die Fertigstellung des ersten Abschnitts verzögerte sich aber bis 1923. Die gesamte Anlage mit dem turmbekrönten Verwaltungsgebäude als Mittelpunkt wurde durch den Berliner Stadtbaurat für Tiefbau Friedrich Krause geplant. Viele Bauten der ersten Phase entwarfen die Architekten Richard Wolffenstein und Wilhelm Cremer. Der Westhafen verlor in den letzten Jahrzehnten seine Schlüsselrolle als Güterverkehrsknotenpunkt Berlins. Aber weiterhin beherrschen die mächtigen Verwaltungs- und Speichergebäude die Hafenlandschaft, Zeugen des industriegeschichtlichen Erbes von Groß-Berlin.
Messegelände
Auch die Messe ist eine Schöpfung von Groß-Berlin. Auf ihrem jetzigen Standort startete sie 1924 mit der Ersten Großen Deutschen Funkausstellung. Der fast 150 Meter hohe, nach Plänen des Architekten Heinrich Straumer errichtete Funkturm wurde 1926 zur Dritten Großen Deutschen Funkausstellung in Betrieb genommen. Ein umfassendes Gestaltungskonzept für die Messe von Hans Poelzig und Martin Wagner aus den Jahren 1929 / 30 konnte nur fragmentarisch umgesetzt werden. Die 1931 eröffnete Bauausstellung war die wichtigste Werbeausstellung des Bauwesens in Berlin und bildete zugleich den Auftakt für die überregional beachteten Bauausstellungen in Berlin. Nach einem Brand im Jahr 1935 erhielt das Areal mit den Bauten von Richard Ermisch bis 1937 seine markante Gestalt. Heute präsentiert sich das im Jahr 1979 um das Internationale Congress Centrum (ICC) bereicherte Gelände als Ansammlung von Hallen, tangiert von Schnellstraßen. Der Vorteil einer innerstädtischen Messe ist zwar noch erhalten, ihre städtebauliche Schönheit ist aber mehr als angegriffen. Eine umfassende Aufwertung des Messegeländes einschließlich einer neuen Nutzung des ICC und einer neuen Gestaltung des Westkreuzes ist eine der großen Aufgaben der Zukunft.
Hochschulstadt
Die Hochschulstadt war eines der größten Projekte der nationalsozialistischen Diktatur in Berlin. Als ausschreibende Institution fungierte der Generalbauinspektor der Reichshauptstadt, Albert Speer. Ziel des Wettbewerbs war die Zusammenfassung sämtlicher Berliner Hochschulen zu einer neuen „Berliner Reichsuniversität“, die das „repräsentative westliche Einfahrtstor der Reichshauptstadt“ bilden sollte. An dem Wettbewerb nahmen 700 Architekten aus aller Welt teil, Preisträger wurden jedoch nie ermittelt. Kurz vor dem Wettbewerb wurde der Grundstein zur Wehrtechnischen Fakultät der Technischen Hochschule Berlin gelegt – als Auftakt zum Bau der Hochschulstadt, ja zur Neugestaltung der Reichshauptstadt überhaupt. Die Arbeiten wurden bis 1944 fortgeführt und dann eingestellt. Nach dem Krieg wurde über dem Rohbau gut 20 Jahre lang der Schutt kriegszerstörter Häuser aufgetürmt. Das Ergebnis ist der höchste Berg Berlins, der 114 Meter hohe Teufelsberg.
Filmstadt Babelsberg
Angestachelt vom Vorbild der 1937 eröffneten Cinecittà in Rom, war in Babelsberg mit Unterstützung von Joseph Goebbels eine Propagandastadt geplant, die Filmstadt Babelsberg, das „Filmzentrum Europas“, das sich bis Drewitz erstreckt hätte. Das Projekt wurde in die Planungen des Generalbauinspektors Albert Speer integriert. Die Bauarbeiten begannen 1938, blieben aber bald liegen. Der auffälligste Neubau war das von 1938 bis 1943 errichtete Präsidialgebäude des Deutschen Roten Kreuzes, ein kriegsrelevantes Projekt, heute ein Universitätsgebäude. Im Krieg verwandelte sich das Gelände in eine Stadt der Lager. Nach dem Krieg diente das mächtige DRK-Gebäude der Sowjetischen Militäradministration in Deutschland und ab 1952 als Eliteschule für Staats- und Rechtswissenschaften der DDR.
Flughafen Schönefeld/BER
Der neue Flughafen Berlin Brandenburg BER von Südwesten, September 2019. Zwischen dem ersten Spatenstich im September 2006 und der Eröffnung im Oktober 2020 vergingen 14 Jahre. Wenn auch ursprünglich nicht so geplant, wird der neue Flughafen Berlin Brandenburg BER im 100. Jahr der Gründung von Groß-Berlin eröffnet werden! Das passt aber auch, denn kein städtebauliches Projekt wird die Gewichte der Metropole so stark verändern wie der neue Großflughafen. Innerhalb Berlins ist bereits ein neuer Entwicklungskorridor erkennbar, der den östlichen Spreeraum nach vorne rückt. Das Gleiche gilt für das Land Brandenburg, das mit Schönefeld einen neuen Boom-Raum erhält. Historisch ist der Flughafen – wie viele andere Orte der Metropole auch – Spiegel der wechselvollen deutschen Geschichte des 20. Jahrhunderts. Er startete 1934 als Werksflughafen der Henschel- Werke im Dienst der nationalsozialistischen Luftwaffe. 1947 wurde der Werksflughafen auf Befehl der Sowjetischen Militäradministration in Deutschland zum zivilen Hauptflughafen der DDR ausgebaut. BER soll nun die Flughäfen Schönefeld und Tegel ablösen.
Flughafen Tegel
Der Flughafen Tegel war eine Antwort auf die sowjetische Blockade der Versorgung der Westsektoren im Jahr 1948. Damals wurde durch die französische Besatzungsmacht ein neuer Flughafen eingerichtet, der den Flughafen Tempelhof bei der Luftbrücke entlasten sollte. Vor dem Ersten Weltkrieg hatte das Gelände bereits der Erprobung der Luftschifffahrt gedient. 1930 wurde es als Raketenschießplatz genutzt. Der zivile Luftverkehr begann 1960, der charakteristische Flughafenbau wurde von 1965 bis 1975 errichtet. Die zunächst für 2012 geplante Einstellung des Flugbetriebs verzögerte sich freilich um etliche Jahre, aber 2020 ist es schließlich so weit – coronabedingt ohne angemessene Abschiedsfeier. Dann beginnt eine neue Phase mit einem Projekt der Tegel Projekt GmbH, das einen neuen Stadtteil mit bunter Mischung aus Wohnen, Lernen, Arbeiten und Forschen zum Ziel hat. Auch die Beuth-Hochschule soll dort eine weitere Heimstatt finden. Zusammen mit der neuen Siemensstadt wird die „Urban Tech Republic“ Tegel den Nordwesten Berlins stark verändern.
Güterverkehrszentren
Die Versorgung einer Metropole ist eine große Herausforderung, die vor 100 Jahren nicht zuletzt mit der Anlage des Westhafens erfolgreich bewältigt wurde. Ohne Umschlagplätze zur Verteilung der Güter kann keine Metropole überleben. Auch in dieser Frage ist Berlin auf Brandenburg angewiesen. Neben dem immer noch wichtigen Westhafen tragen im Umland Berlins vier große Güterverkehrszentren (GVZ) zur Sicherung der Versorgung bei: Wustermark (West), Großbeeren (Süd), Freienbrink (Ost) und Schönefelder Kreuz. Sie gehören zu den jüngsten Großbausteinen der Metropole. In den Zentren werden die Waren umgeladen: zwischen Schiene und Straße, im besten Fall auch noch vom Wasserweg und aus der Luft. Dort arbeiten Unternehmen unterschiedlicher Branchen zusammen. Attraktiv sind die Zentren von außen nicht, ihre Arbeitsabläufe aber faszinierend.
EUREF-Campus Berlin
Der EUREF-Campus (Europäisches Energieforum) gehört ebenfalls zu den jüngeren großen Projekten Berlins von überregionaler Bedeutung. Er ist das Werk privatwirtschaftlicher Initiative des Architekten Reinhard Müller und hat das Ziel, Lösungen für die Stadt der Zukunft zu finden, die Energiewende zu fördern und auf dem Gelände auch selbst umfassend vorzuführen. 2007 begründet, hat sich der Campus auf einem weit älteren Gelände eingenistet, das ab 1871 der Gasversorgung diente. Das Leitbauwerk des Campus ist daher ein 1910 errichteter Gasometer. Daneben gibt es weitere bemerkenswerte sanierte historische Bauten, etwa des bedeutenden Architekten Alfred Messel. Auf dem Gelände wirken heute zahlreiche Unternehmen sowie Lehr- und Forschungseinrichtungen, die sich nachhaltiger Entwicklung verschrieben haben, darunter auch die Technische Universität Berlin. Seit 2017 ist der Campus Referenzort der Smart-City-Strategie des Landes Berlin.
Tesla Gigafactory
Das gerodete Areal der zukünftigen Tesla Gigafactory bei Grünheide, Februar 2020. Tesla Gigafactory Berlin-Brandenburg in der märkischen Gemeinde Grünheide ist ein Wunschprojekt mit hochtrabendem Namen, das neueste Großprojekt, das das Gesicht der Metropole prägen könnte. Laut Plan sollen hier bereits Ende 2021 Elektro-Autos produziert werden. Noch gibt es keine Baugenehmigung, aber es wurden schon vorbereitende Arbeiten durchgeführt. Der Standort ist markant: gleich hinter Erkner, ganz in der Nähe des Güterverkehrszentrums Freienbrink, in Sichtweite des äußeren Autobahnrings und in unmittelbarer Nachbarschaft des Flughafens BER. Ein Erfolg der Region im weltweiten Wettbewerb um Zukunftstechnologien! Allerdings verzögerte das Coronavirus das Bauvorhaben: Die gesetzlich vorgeschriebene Bürgeranhörung konnte zunächst nicht wie geplant stattfinden. Auffällig ist, dass sich alle beteiligten Stellen der öffentlichen Hand bemühen, das große Industrieprojekt gemeinsam und rasch voranzubringen – ein gutes Signal.
Die städtebauliche Entwicklung der Metropole wurde immer wieder von heftigen Auseinandersetzungen begleitet, an denen sich nicht nur Fachwelt, Politik und Verwaltung, sondern auch Wirtschaft und Zivilgesellschaft beteiligten. Dabei ging es um Ziele, Instrumente, Institutionen und Geld. Damit auch um mehr oder weniger einflussreiche Interessen. Schon Groß-Berlin selbst war umstritten. Nach 1920 entstanden neue Konfliktfronten: Bezirke gegen Magistrat (Senat), Groß-Berlin gegen Brandenburg. In den 1970er und 1980er Jahren erreichten die städtischen Konflikte einen Höhepunkt. Auch nach dem Fall der Mauer begehrte das Volk auf. Berlin heißt auch: Protest! Heute steht noch immer die Ordnung des Verhältnisses zwischen Bezirken und Senat sowie zwischen Berlin und Brandenburg beziehungsweise bisweilen sogar zwischen Berlin und Bund auf der Tagesordnung. Und die Schaffung von Behörden, Plänen und Plattformen, die das Wachstum steuern sollen – immer im Dialog mit zivilgesellschaftlichen und wirtschaftlichen Akteuren. Eine sich langsam wieder stabilisierende administrative Handlungsfähigkeit muss ausgebaut werden.
Gustav Böß, Oberbürgermeister 1919–1929 Berlin von heute. Stadtverwaltung und Wirtschaft. Berlin 1929
Städtebau und Herrschaft
Groß-Berlin hat eine harte Zickzack-Karriere im Städtebau hinter sich. Die Entstehung der Großstadt während der Kaiserzeit wurde maßgeblich durch einen privatwirtschaftlichen Städtebau gesteuert: durch große Terraingesellschaften, private Verkehrsgesellschaften und – als deren finanzielles Rückgrat – die Großbanken. Die öffentliche Hand setzte nur Grundregeln – durch den Hobrecht-Plan 1862, das Preußische Fluchtliniengesetz von 1875 und die immer wieder korrigierten Bauordnungen für Berlin und das Umland. Im Groß-Berlin der Weimarer Republik änderte sich alles: Die Kommune wurde nun zum federführenden Akteur des Städtebaus – des Wohnungsbaus wie des Baus von Infrastruktur (Verkehr, Energieversorgung und Großstadtgrün). Sie stützte sich dabei auf eigene oder kontrollierte Unternehmen. In der NS-Zeit wurde die führende Rolle der Kommune ausgeschaltet, der Zentralstaat übernahm den Taktstock im Städtebau. Der staatlich gesteuerte Städtebau wurde nach dem Zweiten Weltkrieg im Grundsatz fortgeführt, wenngleich in einer komplizierten Form: Der Einfluss der Alliierten, des jeweiligen Zentralstaates und der Kommune variierte über die Jahrzehnte der Teilung, beide Stadthälften hingen aber immer am Tropf ihres Staates. Erst nach der Wiedervereinigung gewann der privatwirtschaftliche Städtebau wieder an Boden.
Privatwirtschaftlicher Städtebau
Georg Haberland an seinem 70. Geburtstag am 14. August 1931. Als Direktor einer der einflussreichsten Terraingesellschaften Berlins, der Berlinischen Boden-Gesellschaft (BBG), entwickelte Haberland ganze Stadtteile wie das Bayerische und das Rheinische Viertel. Er war als Unternehmer, Politiker und Autor zweifellos der wichtigste Vertreter des privatwirtschaftlichen Städtebaus in Berlin. Wenig bekannt ist, dass er auch nach dem Ersten Weltkrieg in kommunalwirtschaftlicher Zeit in großem Umfang weiter tätig war, jetzt aber nur im Auftrag anderer, etwa bei der Anlage der Siedlung Neu-Tempelhof, beim Bau des großen Wohnquartiers südlich des Südwestkorso, bei der Errichtung des Karstadt-Gebäudes am Hermannplatz und des St. Joseph-Krankenhauses in Tempelhof sowie bei der Anlage von Straßenbahnhöfen der BVG. Nach dem Tod Georg Haberlands Ende 1933 wurde dessen Unternehmen schrittweise „arisiert“, sein Sohn Kurt aus dem Vorstand verdrängt, 1941 verhaftet und 1942 im KZ Mauthausen ermordet.
Kommunalwirtschaftlicher Städtebau
Martin Wagner, um 1930. Nicht erst als Stadtbaurat von Berlin ab 1926 war Wagner ein leidenschaftlicher Vertreter des kommunalwirtschaftlichen Städtebaus, der auch private Investoren einzubinden versuchte. Sein Engagement etwa für einen neuen Wohnungsbau, eine autogerechte Stadt, den Ausbau des Strandbades Wannsee und einen radikalen Umbau der Berliner Altstadt war jedoch nur partiell von Erfolg gekrönt. Vor allem gegen Ende der Weimarer Republik sah er – nicht nur wegen der Weltwirtschaftskrise – sein Werk scheitern. Nach 1933 versuchte er sich an die neuen Verhältnisse eines zunehmend staatswirtschaftlichen Städtebaus anzupassen. So forderte er in der „Deutschen Bauzeitung“ 1934 unter einem Pseudonym die Einsetzung eines „Staatskommissars für die Sanierung der City von Berlin“, eines „Führers der City von Berlin“. Im Jahr 1935 verließ Martin Wagner Deutschland.
Staatswirtschaftlicher Städtebau
Albert Speer, um 1938. Als Generalbauinspektor (GBI) für die Reichshauptstadt war Speer während der NS-Diktatur von 1937 bis 1945 für die Planung des Großraums Berlin verantwortlich. Er verfügte über Sondervollmachten wie Sonderfinanzen und konnte sich über die Wünsche der Kommunen, auch der Reichshauptstadt, hinwegsetzen. Die Grenzen von Groß-Berlin waren für ihn unerheblich. Seine Pläne reichten bis zum äußeren Autobahnring. Berüchtigt sind die Projekte des GBI für das neue Zentrum Berlins. Weniger bekannt ist das größte Projekt im Außenbereich, die sogenannte Südstadt entlang der Südachse. Wie keine andere führende Person der NS-Diktatur verkörperte er den staatswirtschaftlichen Städtebau, der die Ausschaltung kommunaler Autonomie und die umstandslose Enteignung privaten Eigentums zur Voraussetzung hatte. Mit seinen Planungen war er Mitverantwortlicher der Verbrechen im Nationalsozialismus.
Widersprüche von Groß-Berlin
Von Anfang an war es offensichtlich: Das Verhältnis zwischen Magistrat und den Bezirken war durch das Groß-Berlin-Gesetz von 1920 nicht zureichend geregelt, erst recht nicht das Verhältnis zwischen Groß-Berlin und der Provinz Brandenburg. Diese beiden Geburtsfehler Groß-Berlins belasten Politik und Verwaltung bis heute. Für die Steuerung einer wachsenden Metropole sind sie besonders hinderlich. Die Vorschläge der Expertenkommission zur „Verbesserung der gesamtstädtischen Verwaltungssteuerung“, die im Sommer 2018 ihren Schlussbericht vorlegte, müssen wieder ans Licht geholt und um politische Reformen ergänzt werden! Der Vorschlag für einen Regionalrat, der von der Stiftung Zukunft Berlin angestoßen worden ist, verdient ebenfalls Aufmerksamkeit. Ohne eine Überwindung der beiden Geburtsfehler Groß-Berlins verlaufen alle gut gemeinten städtebaulichen Strategien für die Metropole im institutionellen Sande.
Bezirke versus Magistrat/Senat
Karte von Groß-Berlin, veröffentlicht 1931. Die Riesenstadt wurde von Anfang an aufgeteilt – in 20 Bezirke, die die politisch-räumlichen Entwicklungen vor 1920 spiegelten. Dazu gehörten auch die sechs inneren Bezirke, in die Alt-Berlin aufgeteilt wurde. Während die inneren Grenzen säuberlich gezogen wurden, waren die Kompetenzgrenzen zwischen Magistrat und Bezirken im Laufe der Schlussverhandlungen zur Sicherung einer Mehrheit in der Preußischen Landesversammlung nicht klar geklärt worden – ein Problem bis heute.
Große Kämpfe um den Städtebau
Groß-Berlin war von Anfang eine Hauptstadt des Protestes, ein Zentrum gesellschaftspolitischer Kämpfe um den richtigen Städtebau. Viele dieser Kämpfe sind heute vergessen. Das gilt etwa für den großen Streit über die Bebauung des westlichen Tempelhofer Feldes um 1910. Schon immer ging es auch um bezahlbare Wohnungen, nicht nur in der Weimarer Republik. Einen Höhepunkt erreichten die Kämpfe um die Stadt in den 1970er und 1980er Jahren. Damals rückte die Kahlschlagsanierung in Ost und West ins Visier, mehr und mehr auch schon der Autoverkehr. Nach der Wiedervereinigung wurde weiter gestritten – mit Bürger- und Volksentscheiden, etwa gegen Mediaspree und die Bebauung des Tempelhofer Feldes. Gesellschaftlicher Streit ist notwendig, gut für die Metropole ist er aber nur, wenn er konstruktiv über den besten Weg in eine nachhaltige Zukunft geführt wird.
Gegen eine dichte Bebauung des Tempelhofer Feldes!
Plan von Hermann Jansen für das Tempelhofer Feld, Beitrag zum Wettbewerb Groß-Berlin 1908 – 1910. Hinter diesem suggestiven Plan verbirgt sich ein erbitterter Streit, der damals um die Bebauung des westlichen Tempelhofer Feldes ausgefochten wurde. Kontrahenten waren vor allem der Militärfiskus als Eigentümer des Truppenübungsplatzes, die Stadt Berlin, die Gemeinde Tempelhof, der Kreis Teltow, die Provinz Brandenburg, einige Großbanken und Terraingesellschaften. Gegenstand des Streits war nicht nur die Frage, wer hier zum Zuge kommen, sondern auch, wie dicht die neue Bebauung sein sollte. Daher war das Projekt auch Teil der Auseinandersetzungen um den Kurs des Städtebaus für Groß-Berlin. Die Durchsetzung einer hohen Bebauungsdichte durch den Militärfiskus, der so 1910 einen hohen Verkaufserlös erzielen konnte, war freilich ein Pyrrhussieg, denn nach dem Ersten Weltkrieg wurde ein suburbanes Bebauungskonzept verfolgt.
Für Groß-Berlin!
Plakat mit einer Zeichnung von Käthe Kollwitz, 1912. Groß-Berlin selbst war bereits lange vor dem Ersten Weltkrieg Gegenstand eines erbitterten Streits. Einer der Beteiligten war der „Propaganda- Ausschuss für Gross-Berlin“. Das Plakat des Ausschusses kündigt eine Versammlung gegen die grassierende Wohnungsnot in Berlin an. Wegen des anklagenden Motivs ließ es der Polizeipräsident entfernen.
Gegen steigende Mieten!
Mietstreik in der Köpenicker Straße, 23. September 1932. Die Mieter kämpften unter der Parole „Erst das Essen, dann die Miete“. Sie hängten Fahnen mit Hammer und Sichel, aber auch mit dem Hakenkreuz aus ihren Hinterhoffenstern. Ende 1932 streikte die gesamte Kösliner Straße im Wedding, die röteste Straße im rötesten Stadtteil. Der letztlich wenig erfolgreiche Mietstreik gegen Ende der Weimarer Republik war die größte derartige Protestaktion in der Geschichte Berlins.
Gegen Kahlschlagsanierung! West-Berlin
Plakat „Selbsthilfe in Kreuzberg SO 36“. Die Kahlschlagsanierungen der 1970er und 1980er Jahre bedrohten im Wedding und in anderen Stadtteilen West-Berlins nicht nur die Altbauten, sondern vor allem auch die Lebensverhältnisse der Bewohner. Als immer mehr Straßenzüge dem Abriss zum Opfer fielen, erhob sich ein beispielloser Protest, der von einer breiten Allianz aus Betroffenen, politischen Initiativen und Intellektuellen unterstützt wurde. Zugleich gründeten sich zahlreiche Initiativen, auch Selbsthilfeprojekte, die die bedrohten Bauten mit neuem Leben füllten.
Gegen Kahlschlagsanierung! Ost-Berlin und Potsdam
Plakat zur Ausstellung „Suchet der Stadt Bestes“, 1989. In Ost-Berlin und anderen Städten der DDR, etwa in Potsdam, verstärkte sich der Protest gegen den Verfall und drohenden Abriss von Altbauten in den 1980er Jahren. Er erreichte 1989 einen Höhepunkt und trug wesentlich dazu bei, dass die DDR zusammenbrach. Die Ausstellung in Potsdam prangerte im Sommer 1989 den Verfall und drohenden Abriss der zweiten barocken Stadterweiterung an. Sie wurde 2019 im Stadtmuseum Potsdam – nach 30 Jahren – erneut gezeigt, fand aber in Berlin nicht die gebührende Aufmerksamkeit.
Gegen die autogerechte Stadt! Bürgerinitiative Westtangente
Bürgerinitiative WesttangenteDemonstration des Bürgerkomitees Verkehrspolitik (seit 1974 Bürgerinitiative Westtangente) in West-Berlin am Kurfürstendamm, Juli 1972. Der Protest richtete sich erstmals in größerer Breite gegen die Stadtzerstörung im Rahmen der Planungen für ein autogerechtes Berlin. Im Mittelpunkt stand der Kampf gegen weitere Stadtautobahnen, vor allem gegen die Westtangente.
Mediaspree versenken!
Protestaktion „Investorenbejubeln“, Juli 2008. Auch nach der Wiedervereinigung Berlins kam es zu Protesten. Sie richteten sich mehr und mehr gegen Verdrängung durch steigende Mieten, aber auch gegen die autogerechte Stadt. Ein erster, höchst professioneller und die weiteren gesellschaftlichen Auseinandersetzungen beeinflussender Protest betraf eines der bedeutendsten Entwicklungsgebiete des neuen Berlin während der 1990er Jahre: den östlichen Spreeraum. Der dort tätige Initiativkreis „Mediaspree versenken“ stellte sich gegen verschiedene Investorenprojekte zur Bebauung des Spreeufers. Doch trotz eines erfolgreichen Bürgerentscheids 2008 wurden die Forderungen nur fragmentarisch umgesetzt.
Im Namen des Volkes: 100% Tempelhofer Feld!
Plakate der Demokratischen Initiative „100 % Tempelhofer Feld“, 2014. Nach der Schließung des Tempelhofer Flughafens 2008 hatte der Senat kein überzeugendes Konzept für die weitere Entwicklung vorzuweisen. Nach heftigen Konflikten über eine Teilbebauung am Rande des riesigen Tempelhofer Feldes setzte eine 2012 gegründete Bürgerinitiative mit Partnern in Politik und Gesellschaft durch einen erfolgreichen Volksentscheid überraschend klar eine „innerstädtische Offenlandschaft“ durch.
Für bessere Straßen und Plätze!
Straßenfest am Bundesplatz, dem Herzstück der Bundesallee, initiiert von der Initiative Bundesplatz mit Unterstützung des Council for European Urbanism Deutschland, Oktober 2015. Die Bundesallee ist nicht irgendeine Straße, der Bundesplatz nicht irgendein Platz. Beide fallen schon durch ihren besonderen Namen auf, sie bilden überdies eine der auffälligsten städtebaulichen Figuren im Berliner Stadtgrundriss. Sie sind beide – neben der Stadtautobahn – die eindringlichsten Zeugen des Umbaus von West-Berlin zu einer autogerechten Stadt. Seit 2010 setzt sich die Initiative Bundesplatz, eine der größten Bürgerinitiativen Berlins, für die Wiederbelebung des Platzes als Aufenthaltsort, für die Eindämmung des Autoverkehrs und mittelfristig für die Aufgabe des Tunnels ein – bislang, trotz aller verbalen Unterstützung, mit begrenztem Erfolg.
Wir bleiben alle!
Broschüre von „Kotti Coop e. V.“, 2019. Mieterhöhungen und Mieterverdrängungen führten im letzten Jahrzehnt zu einer breiten Protestbewegung in der Berliner Innenstadt, in erster Linie im Bezirk Friedrichshain-Kreuzberg. „Kotti Coop“ wurde 2015 von Anwohnerinnen und Anwohnern des Kottbusser Tors gegründet und engagiert sich für eine „soziale Mieten- und Stadtteilentwicklung“. Der Verein ist Teil einer bunten Initiativenlandschaft rund um das Kottbusser Tor.
Im Jahr 1920 war die Stadt Berlin nicht einmal ein halbes Jahrhundert Deutschlands Hauptstadt. Sie war alles andere als die unumstrittene Mitte eines großen europäischen Staates wie etwa London und Paris, sie war eher wie Rom und Moskau eine junge Hauptstadt, deren Ruf nicht immer der beste war. Im Groß-Berlin-Gesetz von 1920 gab es keine Bestimmungen, die ihren Status als Hauptstadt der jungen Weimarer Republik eindeutig regelten. Dennoch gestaltete der Gesamtstaat seither die Entwicklung der Metropole entscheidend mit. Heute prägen Bundesprojekte nicht nur die öffentlichen Debatten, sondern zunehmend auch das Bild der Hauptstadt. Staat schafft Stadt, mal zur Freude, mal zum Ärger der Berliner – wie schon seit Jahrhunderten. Neu aber ist, dass die Hauptstadt Berlin im Ausland durchaus beliebt ist, als heiteres und tolerantes Schaufenster eines nicht immer geschätzten Staates. 2021 darf Berlin sich schon wieder erinnern – an 150 schwierige Jahre als deutsche Hauptstadt.
Gustav Böß, Oberbürgermeister 1919–1929 Berlin von heute. Stadtverwaltung und Wirtschaft. Berlin 1929
Standorte für Parlament und Regierung
1920 gab es in Berlin drei stadtprägende Standorte staatlicher Präsenz: das Schloss der Hohenzollern, eigentlich ein preußisches Bauwerk, die Wilhelmstraße als Symbol staatlichen Regierungshandelns und den Königsplatz, Ort des Reichstagsgebäudes, des mächtigsten Bauwerks des deutschen Staates in Berlin. Das Schloss, ein Meisterwerk einer über Jahrhunderte agglomerierten Architektur, hatte im späten 19. Jahrhundert längst die Rolle als alleiniges Zentrum der Herrschaft verloren. Die Wilhelmstraße stieg zum offiziellen Regierungszentrum des neuen Reichs auf, zum Synonym der deutschen Reichsregierung schlechthin. Mit dem Bau des Generalstabsgebäudes von 1867 bis 1871, der „Seele des Heeres“, begann die Ansiedlung von staatlichen Herrschaftsfunktionen im Spreebogen, die mit dem Bau des Reichstagsgebäudes von 1884 bis 1894 ihren Höhepunkt und vorläufigen Abschluss fand.
Spreebogen
Kein anderer Ort vermittelt die wechselvolle Geschichte staatlicher Präsenz in Berlin so eindringlich wie der Spreebogen – Spiegel republikanischer, diktatorischer, alliierter und nun wieder demokratischer Herrschaft in der Stadt.
Wilhelmstraße
Im Kaiserreich bildete sich entlang der Regierungsmeile Wilhelmstraße eine auch von der Öffentlichkeit wahrgenommene Differenzierung in eine westliche „Reichsseite“ und eine östliche „Preußenseite“ heraus. Nach dem Zweiten Weltkrieg war dort – im wichtigsten Gebäude des Staates – der Hauptsitz der DDR-Regierung.
Schlossareal
Das Schloss verlor 1918 mit dem Ende von Krieg und Kaiserreich seine Funktion als Herrschaftssitz. Ab den 1920er Jahren diente es vor allem als Museum. In der DDR-Zeit wurde die Ruine des Schlosses 1950 gesprengt. An seiner Stelle entstand ein Staatsforum der DDR. Heute erlebt das Schloss als Humboldt Forum seine – durchaus umstrittene – Wiederauferstehung.
Geschenkt: Kulturbauten
Der Gesamtstaat hat in seiner Hauptstadt aber nicht nur für sich gebaut, sondern auch die Kultur bereichert. Zu den Geschenken des Bundes gehören heute unter vielen anderen die neue Bauakademie, das Museum für Gestaltung für das Bauhaus-Archiv, das Freiheits- und Einheitsdenkmal, das Humboldt Forum und natürlich das Museum des 20. Jahrhunderts am Kulturforum. Nicht immer sind diese Geschenke gern gesehen, oft sind sie umstritten, summa summarum bereichern sie aber die Metropole.