Bahn-Verkehrsfrage
Groß-Berlin war eine Schöpfung der Eisenbahn. Erst der Schienenschnellverkehr ermöglichte den Bau von Vororten. Die Bildung von Groß-Berlin führte zu einer grundsätzlichen Reform des öffentlichen Verkehrs: 1928 wurde eine einheitliche kommunale Verkehrsgesellschaft geschaffen, die Berliner Verkehrs- AG (BVG). Die Reform betraf nicht nur Busse und U-Bahn, sondern vor allem die Straßenbahn, das wichtigste Verkehrsmittel dieser Zeit. Nach dem Zweiten Weltkrieg wurde das Netz des öffentlichen Schienennahverkehrs weitgehend getrennt, die Straßenbahn wurde im Westen stillgelegt, die U-Bahn in beiden Stadthälften ausgebaut. Zur Umgehung von West-Berlin wurde ein äußerer Eisenbahnring angelegt. Nach der Wiedervereinigung entstand ein neues System der Bahnhöfe, das die Hauptbahnhöfe der geteilten Stadt – Zoologischer Garten und Ostbahnhof – entwertete. Zugleich wurde das Jahrhundertprojekt einer Verbindung von Nord- und Südbahnhof verwirklicht.
Gustav Böß, Oberbürgermeister 1919–1929
Berlin von heute.
Stadtverwaltung und Wirtschaft.
Berlin 1929
Lagerkörper der Hochbahn
Dreirollen-Lagerkörper aus der Hochbahntrasse am Schlesischen Tor, 2020. Die doppelte Entkopplung von Fahrwegen und Stützkonstruktion schützt die Hochbahntrasse – bis heute – vor Materialermüdung.
Groß-Berlin: Ein Kind der Eisenbahn
Ein weitreichendes Schnellbahnsystem war die Voraussetzung für die Transformation des Zentrums wie für das rasche Wachstum des Großraums Berlin bereits vor dem Ersten Weltkrieg. Die beiden „Bahnhofsstraßen“ (Leipziger und Friedrichstraße), die von wichtigen Bahnhöfen zur Stadtmitte strebten, wurden zu den bedeutendsten Hauptstraßen des Zentrums. Das Schnellbahnsystem ermöglichte auch den rasanten Aufstieg des Zentrums des Neuen Westens am Bahnhof Zoologischer Garten sowie die Ausbreitung der Villenkolonien im Südwesten Berlins und anderswo. Es förderte zudem die weitere Randwanderung der Industrie. Dirigent der schienengesteuerten Ausbreitung Berlins vor allem ab den 1880er Jahren war die Preußische Eisenbahndirektion. Das radiale Schienennetz führte zur Entstehung des sogenannten Siedlungssterns, einer relativ nachhaltigen Grundform der Metropole, die heute noch erfahrbar ist.
Netz der Ringbahn, Stadtbahn und Vorortbahnen
Karte der Vorortbahnen, 1920. Die Bahnen endeten alle außerhalb der Stadtgrenzen von Groß-Berlin. Etwa die Hälfte der Strecken war eingleisig, einige waren zugleich Fernbahnstrecken.
Bahnhöfe der Vorortbahnen
Grafik Aufschließung des Vorortgeländes
Dynamisches Konzept der radialen Stadterweiterung, 1911. Der von Richard Petersen präsentierte Siedlungsstern fasst die wünschenswerte moderne Großstadtentwicklung zusammen: Das Wachstum vollzieht sich entlang der Siedlungsstrahlen, deren tragendes Gerüst die Vorortbahnlinien bilden. Der Wachstumskorridor verdichtet sich jeweils an den Bahnhöfen. Die Dichte der Bebauung ist – ausgehend vom zentralen Kern – abstufend nach außen gestaffelt. Zwischen den Siedlungsstrahlen erstrecken sich Freiräume, die bis zum zentralen Kern reichen. Petersen hatte als Verkehrsplaner zusammen mit Rudolf Eberstadt und Bruno Möhring mit einem Schema der radialen Stadterweiterung den dritten Preis im Wettbewerb Groß-Berlin 1908 – 1910 gewonnen.
Lange Suche nach einem Hauptbahnhof
Das Fehlen eines Hauptbahnhofs wurde schon beim Wettbewerb Groß-Berlin 1908 – 1910 als gravierender Mangel empfunden. Zahlreiche Wettbewerbsvorschläge zielten auf zwei Zentralbahnhöfe, die unterirdisch in Nord-Süd-Richtung miteinander verbunden wurden. Als geeigneter Standort des Nord-Zentralbahnhofs wurde das Gelände des Lehrter Bahnhofs auserkoren, für den Süd-Zentralbahnhof das Gelände des heutigen Technikmuseums. In der Weimarer Republik wurden die Pläne für einen richtigen Hauptbahnhof konkretisiert – wieder im Bereich des alten Lehrter Bahnhofs. Während der NS-Zeit rückten die Planer den nördlichen Zentralbahnhof weiter nach Norden in Richtung Gesundbrunnen. In den Zeiten der Teilung der Stadt verfiel das Gelände des Lehrter Bahnhofs zu einer Randlage – für West- wie Ost-Berlin. Erst 2006 wurde an diesem Standort der neue Hauptbahnhof eröffnet – nach gut 100 Jahren Vorplanung.
Vorschläge des Wettbewerbs Groß-Berlin
Vorschläge in der Weimarer Republik
Planung von zwei neuen Großbahnhöfen in der NS-Zeit
Hauptbahnhöfe in der geteilten Stadt: Ost-Berlin
Hauptbahnhöfe in der geteilten Stadt: West-Berlin
Der neue Hauptbahnhof
BVG: Ein Kind von Gross-Berlin
Eine einheitliche Verkehrsgesellschaft mit einem einheitlichen Fahrpreissystem erscheint heute als selbstverständlich, ist es aber nicht. Erst in den Jahren Groß-Berlins konnte die Konkurrenz vieler privater und öffentlicher Verkehrsgesellschaften überwunden werden. Die Krönung dieses Prozesses bildeten die Einführung eines Einheitstarifs von 20 Pfennig mit Umsteigberechtigung 1927 und die Gründung der kommunal geführten Berliner Verkehrs-Aktiengesellschaft (BVG) im Jahr 1928 – des größten Verkehrsbetriebs der Welt. Einer der Protagonisten dieser Entwicklung war Verkehrsstadtrat Ernst Reuter.
Netz der Straßenbahn und
U-Bahn
In Groß-Berlin wurde das Schienennetz weiter ausgebaut. Der Anteil der Straßenbahn am öffentlichen Gesamtverkehr betrug 1928 50 Prozent, der Anteil der Hoch- und Untergrundbahn 15 Prozent. Nach 1945 galt die Straßenbahn in West-Berlin als veraltet und wurde abgeschafft.
BVG-Betriebswohnanlagen
Eine besondere Schöpfung Groß-Berlins waren Betriebsstraßenbahnhöfe kombiniert mit Wohnbauten für Straßenbahnangestellte, die durch eine eigene Wohnungsbaugesellschaft, die Gemeinnützige Heimstättenbau-Gesellschaft, errichtet wurden. Ein herausragender, wenngleich heute weithin vergessener Architekt dieser Anlagen war Jean Krämer.
Nach 1990: Renaissance der Schiene
Nach der Wiedervereinigung Deutschlands wurde auch das Eisenbahnsystem in Berlin neu geordnet. In atemberaubend kurzer Zeit wurde eine neue Struktur entwickelt, abgestimmt, entschieden und umgesetzt. Strukturierend für Berlin ist seither das 1992 durch das Bundesverkehrsministerium bestätigte „Pilzkonzept“, das zwei Jahrhundertträume Wirklichkeit werden lässt: die Bestimmung eines Hauptbahnhofs, und zwar dort, wo er auch schon vor 100 Jahren angedacht war, und die unterirdische Fernbahnverbindung in Nord-Süd-Richtung, die einen weiteren wichtigen neuen Großbahnhof mit sich brachte, den Bahnhof Südkreuz. Mit etwas Verzögerung wird auch am Ausbau des Straßenbahnsystems gearbeitet, vor allem an der Wiedereinführung der Straßenbahn im Westteil der Stadt. Doch damit nicht genug: Die wachsende Metropole erfordert – vor dem Hintergrund der notwendigen Verkehrswende – einen raschen Ausbau des Vorort- und Regionalverkehrs. Hierfür liegen mit dem Verkehrsprojekt i2030 erste Pläne vor.
Atemberaubend schnell:
Der Eisenbahnpilz
Nach der Wiedervereinigung war es keineswegs klar, wie das vereinigte Eisenbahnsystem neu geordnet werden sollte. Vor allem das Pilzmodell und das Ringmodell waren im Gespräch.
Am Anfang fast übersehen:
neuer Bahnhof Südkreuz
Der Bahnhof Südkreuz wuchs fast unbemerkt in versteckter Lage heran. Auch die städtebaulichen Entwicklungschancen, die so ein bedeutender Bahnhof eröffnet, wurden lange Zeit übersehen.
Äußerer Eisenbahnring: ein vergessener Schatz?
Für Ost-Berliner bekannt, für West-Berliner eher nicht: Der äußere Eisenbahnring verbindet die Radialstrecken des Vorortverkehrs. Nach der Vereinigung wurde er zunächst zurückgefahren. Seine Potenziale sind erst noch zu entdecken.
Straßenbahnausbau
Die Renaissance der Straßenbahn ist unübersehbar. Heute wird nicht nur die Rückkehr der Straßenbahn in den Westteil der Stadt forciert, sondern generell ein massiver Ausbau geplant. Allerdings bleibt weiter zu klären, wie die Straßenbahn etwa im Zentrum stadtverträglich in den öffentlichen Raum integriert werden kann.
Große Pläne: i2030
Im Projekt i2030 planen die Länder Berlin und Brandenburg gemeinsam mit der Deutschen Bahn und dem VBB in mehreren Teilprojekten, wie sich die Infrastruktur in den kommenden Jahren an die gestiegenen Anforderungen anpassen muss. Für die weitere Zukunft wird zu prüfen sein, ob der äußere Eisenbahnring – eine Schöpfung der DDR, um West-Berlin umfahren zu können – auch künftig eine wichtige Rolle spielen kann.