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Ausstellung Raum 3

Mitten allerorten

Zentrenfrage

KULTURNABEL DER METROPOLE: HUMBOLDT FORUM
Das Humboldt Forum mit seinen rekonstruierten Schlossfassaden bündelt Groß-Berliner Geschichte wie in einem Brennglas. Das einstige Schloss, die Residenz der Hohenzollern, Mittelpunkt des alten Berlins, hatte in der Novemberrevolution seine Funktion verloren. In der Weimarer Republik diente es als Museum. Für die Nationalsozialisten spielte das Schloss keine herausgehobene Rolle. Im Krieg wurde es teilzerstört und 1950 auf Befehl der neuen Machthaber in Ost-Berlin abgerissen. An seiner Stelle entstand zwei Jahrzehnte später der bedeutendste Regierungsbau der DDR: der Palast der Republik, ein offenes Haus, soweit das in einer Diktatur möglich war. Nach der Wiedervereinigung der Stadt war unklar, was an diesem Standort geschehen soll. Nach vielen Jahren des gesellschaftlichen Streits beschloss der Deutsche Bundestag den Bau des Humboldt Forums. Der Palast der Republik wurde abgerissen. Im Herbst2020, 100 Jahre nach der Geburt von Groß-Berlin, ist die etappenweise Eröffnung des Humboldt Forums vorgesehen – wie in den 1920er Jahren als Kulturbau, jetzt aber mit höherem Anspruch. Damit ändern sich die Verhältnisse in der historischen Mitte grundlegend: Es festigt sich – nahe dem alles beherrschenden Fernsehturm und anschließend an die Museumsinsel – der Kulturnabel der Metropole.

Museumsinsel und Humboldt Forum von Süden, 2020.
Foto Philipp Meuser

Nach der Gründung von Groß-Berlin veränderte sich das System der Zentren grundlegend: Neben dem unbestrittenen Hauptzentrum zwischen Alexanderplatz und Reichstag gewann das aufstrebende Zentrum des Neuen Westens um die Kaiser-Wilhelm- Gedächtnis-Kirche an Bedeutung. Nach 1933 plante die nationalsozialistische Diktatur ein völlig neues Hauptzentrum westlich der Stadtmitte. Und im Zuge der Spaltung Berlins wurden zwei rivalisierende Hauptzentren ausgebaut: um den Alexanderplatz und um den Breitscheidplatz. Im Großraum Berlin gab es seit dem Ende des 19. Jahrhunderts aber auch außerordentlich viele mittlere, kleine und kleinste Zentren, zum Teil von hoher städtebaulicher Qualität. Etwa die Zentren von Lichterfelde West, Frohnau und Weißensee. Dazu kamen später weitere markante Zentren wie etwa am Hermannplatz, Fehrbelliner Platz und in Marzahn. Wie kaum eine andere Metropole Europas besitzt Berlin eine Vielfalt an Zentren.

Der Entwicklungszug im Stadtinnern geht […] von Osten nach Westen. Die Hauptgeschäftsgebiete, die ursprünglich nur die Altstadt rechts der Spree umfaßten, haben sich über die Linden, die Friedrichstraße, Leipziger Straße und Wilhelmstraße auf den Potsdamer Platz und seine Umgebung ausgedehnt. Diese Entwicklung wird weitergehen. Die Gegend am Zoologischen Garten wird ein – wenn auch besonders gearteter – Teil der City werden.

Zwei Hauptverkehrsstraßenknotenpunkte heben sich aus dem Berliner Stadtgebiet besonders heraus, der Alexanderplatz, das Zentrum des Ostens, und der Auguste-Viktoria-Platz, das Zentrum des Westens.

Turmhäuser sollen nur ausnahmsweise und für besonders bedeutsame Stellen der Stadt als Sichtpunkte und Wahrzeichen zugelassen werden.

Gustav Böß, Oberbürgermeister 1919–1929
Berlin von heute.
Stadtverwaltung und Wirtschaft.
Berlin 1929

“Altes und neues Berlin”

Mittelteil der Großbronze „Altes und neues Berlin“ mit Marienkirche, Fernsehturm und Alexanderplatz, Evelyn Hartnick-Geismeier, 1978. Ehemals am Berolinahaus befestigt, jetzt magaziniert.

Foto Thomas Spier, Erben Hartnick-Geismeier, LDA Berlin

Abstieg der Altstadt, Aufstieg des Neuen Westens

Während der Weimarer Republik veränderte sich die historische Mitte nur wenig: Neubauten waren selten, der Citybereich westlich des Schlosses hielt sich, die Altstadt östlich des Schlosses blieb aus der Sicht der Verantwortlichen ein Problem: Dort fanden sich enge Gassen, kleine Häuser und arme Einwohner – Verhältnisse also, die einer Weltstadt unwürdig schienen. Dagegen stieg ein Neuling unter den Zentren des Neuen Berlin auf, obwohl sich baulich dort auch nicht viel veränderte: das Zentrum des Neuen Westens. Dies alarmierte Unternehmer, Politiker und Stadtplaner: Durch einen Durchbruch breiter Straßen mit flächenhafter Kahlschlagsanierung sollte der weitere Abstieg der Altstadt gebremst werden. Die Neuordnung der Altstadt war das wichtigste Zentrumsprojekt von Groß-Berlin. Sie scheiterte jedoch, jedenfalls in der Weimarer Republik.

Glänzender Neuer Westen

Plakat des Zentrums des Neuen Westens, um 1929. Vorgeführt wird alte Architektur mit neuer Lichtreklame und überbordendem Autoverkehr.
Grafik Jupp Wiertz, bpk / Kunstbibliothek, Nr. 96756

Der Neue Westen war ein Gewinner- Standort von Groß-Berlin: Um die neoromanische Kaiser-Wilhelm- Gedächtnis-Kirche konsolidierte sich ein elegantes Laden- und Vergnügungsgebiet, das weiterhin auch ein – wenngleich teures – Wohngebiet blieb.

Stagnierende Altstadt

Panorama des von historischer Bebauung freigeräumten Spreeufers mit den stolzen Türmen der Altstadt, um 1936. Die Sanierung des Rolandufers wurde von der sogenannten Fischerinsel aus im Bild festgehalten. Anstelle des Polizeipräsidiums, der Stadtvogtei und des Krögels entstand die Reichsmünze.
Foto illus / Zentralbild, Bundesarchiv, Bild 183-R97900

Die Altstadt, so die zeitgenössische Wahrnehmung, befand sich im Niedergang. Die Antwort darauf war das größte Zentrumsprojekt Groß- Berlins: die radikale Neuordnung der südlichen Altstadt. Der Umbau des Alexanderplatzes war Teil und Höhepunkt dieses Projekts.

Neue Zentren für Hitler und Stalin

Den nationalsozialistischen Machthabern erschien die historische Mitte zu armselig. Daher wurde eine neue Mitte geplant, außerhalb der alten Mitte. Diese Entscheidung ist bemerkenswert: Mussolini und Stalin ließen in den 1930er Jahren ihr neues Zentrum für Rom und Moskau innerhalb des alten Zentrums entwerfen. Alle drei Diktaturen planten aber einen dominanten Bau für ihr neues Zentrum, als städtebaulichen Taktstock der Hauptstadt, ja der gesamten Nation. Keines dieser Gebäude wurde realisiert. Nach dem Krieg sollte in Ost-Berlin in Anlehnung an die Moskauer Planung der 1930er Jahre ein sozialistisches Zentrum entstehen, ohne Schloss, aber mit einer weitgehenden Rekonstruktion der absolutistischen Bauten an der östlichen Allee Unter den Linden, vor allem aber mit einem alles beherrschenden Hochhaus für Partei- und Staatsorgane in der Altstadt. Auch dieser Bau wurde nicht verwirklicht.

Ein neues Zentrum im Westen der
historischen Stadtmitte

Neues Berliner Rathaus am Großen Becken nördlich der Großen Halle, o. J., Entwurf German Bestelmeyer und Richard Ermisch.
Schusev State Museum of Architecture, Moskau

Das künftige Zentrum der Reichshauptstadt musste monumental und völlig neu sein. Es war als Kernstück der Nord-Süd-Achse geplant, die sich westlich der historischen Mitte zwischen einem Nord- und einem Südbahnhof erstrecken sollte.

Ein neues Zentrum in der historischen Stadtmitte

Popularisierung des geplanten Zentralen Hochhauses auf dem Marx- Engels-Platz, Titelbild der Zeitschrift „Jugend und Technik“, 1954.
Zeichnung L. Grimmer, Sammlung Harald Bodenschatz

Nach der Spaltung Berlins rückte die historische Mitte an den Stadtrand des sowjetischen Sektors. Dennoch wurde sie als Zentrum auch einer sozialistischen Metropole bestätigt – betont durch ein Zentrales Hochhaus wie in Moskau geplant und in Warschau realisiert.

Zentrumsumbau im Kalten Krieg

Die sich bald nach Kriegsende abzeichnende und durch den Bau der Mauer betonierte Spaltung von Berlin führte zur Bildung von zwei Großstadtzentren, die sich in zwei zentralen Plätzen bündelten: im Alexanderplatz, dem Zentrum des Ostens, und im Breitscheidplatz, dem Zentrum des Westens. Beide waren Schaufenster ihrer Teilstädte, ihrer Systeme. In beiden Fällen war die Gestalt der Plätze zunächst noch nicht ganz klar, außer in einem Punkt: Sie sollte sich jeweils von der Gestalt vor dem Krieg radikal unterscheiden. Beide Plätze sind bedeutende Zeugnisse der autogerechten Stadt – Planungen fast aus einem Guss.

Alexanderplatz: Zentrum von Berlin, Hauptstadt der DDR

Neuer, autogerechter Alexanderplatz von Nordosten, um 1980.
IRS (Erkner) / Wiss. Samml., Nr. D1_1_1_18-F008

Der Alexanderplatz hatte sich durch den Umbau in der Weimarer Republik stark verändert. Nach den Zerstörungen des Zweiten Weltkriegs erhielt er wiederum eine neue Gestalt, die aber die beiden von Peter Behrens 1929 entworfenen Neubauten Alexanderhaus und Berolinahaus integrierte.

Breitscheidplatz: Zentrum von Berlin (West)

Panorama des autogerechten Breitscheidplatzes nach dem Neuaufbau, 1960er Jahre. Ursprünglich sollte die Ruine der Kaiser-Wilhelm- Gedächtnis-Kirche nicht erhalten bleiben, erst heftige Bürgerproteste führten zur Einbindung der Ruine in das bauliche Konzept des Architekten Egon Eiermann.
Foto Horst Siegmann, Landesarchiv Berlin, F Rep. 290, Nr. 115194

Das Zentrum des Neuen Westens, nun zum Zentrum West-Berlins aufgestiegen, erhielt ebenfalls eine völlig neue Gestalt. An das alte Romanische Forum erinnert neben dem Kaisereck nur noch die Ruine der Kaiser-Wilhelm-Gedächtnis-Kirche.

Zwei zentrale Plätze im Strudel der Wende

Unmittelbar nach der Wiedervereinigung Berlins rückte der Alexanderplatz ins Scheinwerferlicht, der Breitscheidplatz in den Schatten der Aufmerksamkeit. Für beide Plätze wurden Hochhausgruppen geplant, die sich über die vorhandene Bebauung hinwegsetzten, aber nur sehr zögerlich realisiert wurden. Beide Plätze leben weiterhin von ihren wichtigen Bahnhöfen, in deren Nachbarschaft sich ausgedehnte Freiräume befinden, über deren Gestaltung seit den 1990er Jahren gerungen wird.

Alexanderplatz:
Zentrum des Ostens

Wettbewerb Alexanderplatz: der siegreiche Entwurf von Hans Kollhoff, 1993.
Büro Hans Kollhoff

Nach dem Umbau gegen Ende der Weimarer Republik und dem Neubau in der DDR-Zeit wurde nach der Wiedervereinigung eine dritte, wiederum völlig neue bauliche Vision des Alexanderplatzes beschlossen.

Alexanderplatz von Osten, 2020. Für die 1993 geplanten, von Anfang an umstrittenen Hochhäuser fehlen die Investoren – bis heute.
Foto Thomas Spier, apollovision

Breitscheidplatz:
Zentrum des Westens

Der neue Breitscheidplatz mit Hochhäusern, 2020.
Foto Thomas Spier, apollovision

Nach dem Bau des Romanischen Forums in der Kaiserzeit und dem Neubau des West-Berliner Zentrums in den 1950er Jahren erhält die sogenannte City West derzeit eine dritte städtebauliche Form. Hier werden nun Hochhäuser gebaut, auf die am Alexanderplatz immer noch gewartet wird.

Seit der Kaiserzeit: Vielfalt an Zentren

Groß-Berlin war bis 1920 keine einheitliche Stadt, sondern eine Ansammlung von vielen Städten und Gemeinden. Jede dieser Kommunen hatte ihr eigenes Zentrum mitgebracht, einige sogar mehrere. Dieses Erbe ist heute unbezahlbar, eröffnet es doch die Chance für eine gewisse Dezentralisierung und damit eine nachhaltige Entwicklung. Nach 1920 wurde dieser Reichtum an Zentren weiter vermehrt – nicht immer mit langfristigem Erfolg. Einige dieser Zentren können internationale Aufmerksamkeit beanspruchen, finden aber in Berlin nicht die gebührende Wertschätzung.

Zentrum Lichterfelde West:
Urmodell eines suburbanen Zentrums

Der Platz vor dem Bahnhof Lichterfelde West ist vielleicht das erste planmäßig angelegte suburbane Nahversorgungszentrum dieser Art überhaupt, älter als das weit berühmtere Zentrum in Lake Forest nördlich von Chicago. Er funktioniert noch heute und erweist sich in Zeiten des Abschieds von der autogerechten Stadt als zukunftsweisend.

Ansichtskarte des in den 1890er Jahren angelegten Bahnhofsvorplatzes Lichterfelde West aus der Kaiserzeit. Der Platz war eine großartige Erfindung: Er empfing die Menschen, die aus dem Bahnhof traten, und bot ihnen in einem attraktiven öffentlichen Raum Einkaufs- und Dienstleistungsmöglichkeiten, etwa im „West-Bazar“. Im oberen Geschoss der den Platz fassenden, nach englischem Vorbild gestalteten Reihenhäuser gab es auch Wohnräume.
Ansichtskarte, Udo Christoffel (Hg.): Berlin in Bildpostkarten. Berlin 1987, S. 398
Bahnhofsvorplatz Lichterfelde West, 2020.
Foto Thomas Spier, apollovision

Gartenstadt Frohnau:
Gartenstadt-Mustermitte

Groß-Berlin besitzt einige suburbane Zentren an Vorortbahnhöfen von Rang. Neben dem Bahnhofsvorplatz von Lichterfelde West und dem Mexikoplatz zählt auch der Doppelplatz in Frohnau dazu, der hinsichtlich städtebaulicher Qualität zu den bedeutendsten suburbanen Zentren gerechnet werden muss.

Blick auf den westlichen der beiden halbrunden, durch den Gartenarchitekten Ludwig Lesser gestalteten Bahnhofsvorplätze der 1910 eingeweihten „Gartenstadt“ Frohnau, 1911.
Die Gartenstadt Frohnau in alten Fotografien. Berlin 1981
Westlicher Bahnhofsvorplatz (Ludolfingerplatz) in Frohnau, 2020. Die Bebauung des durch einen Turm markierten Vorortzentrums ist seit seiner Gründung schrittweise erfolgt, wirkt aber dennoch sehr einheitlich und prägt den öffentlichen Begegnungsraum bis heute.
Foto Thomas Spier, apollovision

Kommunales Forum Weißensee:
Ein kleiner See als Ortsmitte

Noch weniger bekannt ist ein weiterer Höhepunkt des Vorort- Zentrumsbaus im Großraum Berlin: das um 1910 um ein kleines Gewässer (Kreuzpfuhl) angelegte Kommunale Forum in Weißensee, das – allerdings letztlich vergebens – den Anspruch auf Stadtwerdung des Vorortes unterstreichen sollte.

Blick über den Kreuzpfuhl zur Oberrealschule, 2014.
Foto Harald Bodenschatz

Hermannplatz:
„Zentrum des Südens“ (Karstadt)

Auch in der dicht bebauten Hobrecht- Stadt entstanden auffällige neue Quartierzentren, so der Hermannplatz mit dem gewaltigen, von Philipp Schaefer entworfenen und 1927 bis 1929 errichteten Karstadt- Gebäude, einem in seiner Zeit international beachteten Warenhausbau.

Karstadt-Neubau, um 1930.
SIGNA Prime Selection AG
Hermannplatz mit dem seit seinem Teil-Wiederaufbau nach Kriegszerstörung weit weniger imposanten Karstadt-Gebäude, 2020.
Foto Thomas Spier, apollovision

Fehrbelliner Platz: Verwaltungszentrum des Südwestens

Durch die einseitige Aufmerksamkeit auf das neue, lediglich gezeichnete Zentrum der Reichshauptstadt geriet die reale Bautätigkeit der nationalsozialistischen Diktatur oft aus dem Blickfeld – etwa der streng gestaltete Fehrbelliner Platz, das bedeutendste auch realisierte neue großstädtische Zentrum der NS-Zeit.

Fehrbelliner Platz, 2020. Rainer G. Rümmlers Architektur des U-Bahnhofs suchte ebenfalls den Kontrast zu den Bauten aus der NS-Zeit.
Foto Thomas Spier, apollovision

Marzahner Promenade:
Stolz des fernen Ostens

Weit im Osten Berlins, für viele Bewohner des westlichen Teils der Stadt immer noch wenig bekannt, entfaltet sich parallel zur Landsberger Allee, früher Leninallee, das vielleicht ambitionierteste Zentrum einer Großsiedlung aus der DDR-Zeit: die Marzahner Promenade.

Die abwechslungsreich gestaltete, durch
Kunstwerke aufgewertete Fußgängerzone
Marzahner Promenade diente der Nahversorgung
und der Begegnung der Bevölkerung
der Großsiedlung Marzahn, Mai 1989.
Foto Carin Martin, IRS (Erkner) / Wiss. Samml., Nr. D1_1_5_3-002
Das 2005 eröffnete ECE-Shoppingcenter EASTGATE am westlichen Beginn der Marzahner Promenade steht in Kontrast zu den Wohnbauten aus der DDR-Zeit, es verändert zudem die Balance der Geschäftslagen an der Promenade, 2020.
Foto Thomas Spier, apollovision