Ausstellung

Wir sind nicht allein – Blick nach Europa

Moskau, Wien, Paris, London

Um 1900 begannen in Europa die Versuche, die rasch expandierenden Großstädte politisch, administrativ und planerisch neu zu ordnen. Das war nicht nur in Berlin ein sehr schwieriger Prozess, der durch widersprüchliche Interessen behindert wurde und daher nur selten erfolgreich war.

Es sind vor allem vier Perioden, in denen dieses Thema Konjunktur hatte: (1.) vor dem Ersten Weltkrieg, als die Großstadtregionen erstmals in der Geschichte in größerem Um- fang Realität wurden, (2.) in den 1930er Jahren und während des Krieges, in denen Demokratien unter schwierigen Bedingungen großräumige Konzepte in Angriff nahmen und die hegemonialen Diktaturen auf ein gewaltiges Wachstum ihrer Hauptstädte setzten, (3.) in den 1960er Jahren, als die Suburbanisierung auf Hochtouren lief, und (4.) heute, in einer Zeit, in der sich die großen, wachsenden Städte um eine nachhaltige Zukunft kümmern müssen. Von besonderem Interesse sind hier vier europäische Hauptstädte, die sich im Laufe von mehr als 100 Jahren um die poli- tische Bildung und städtebauliche Gestaltung von Großstadtregionen bemüht haben und heute wei- ter darum ringen.

Vorgestellt werden im Überblick Geschichte, Programm und Praxis des Städtebaus in den Großstadträumen von Moskau, Wien, Paris und London. Während Groß-Wien und Bol’šaja Moskva wie Groß-Berlin Einheitsgemeinden sind, ist Grand Paris bis heute ein nicht realisiertes administratives Projekt geblieben, wohingegen Greater London keine Einheitsgemeinde meint, sondern einen regionalen Zusammenschluss von 32 boroughs (Stadtbezirke) und der City of London, mit beschränkten Kompetenzen unter Federführung der Greater London Authority.

Die Schemata der Stadtanlagen von Berlin, Moskau, Paris und London entsprechen Darstellungen, die vermutlich von Aleksandr M. Rodčenko und Varvara F. Stepanova gestaltet und 1938 in dem Prachtband Moskva rekonstruiruetsja. Al’bom diagramm, toposchem i fotografij po rekonstrukcii gor in Moskau publiziert wurden. Sie gehen – ohne dass dies in der sowjetischen Publikation erwähnt wurde – auf Skizzen von Eugène Hénard zurück, die dieser bereits in seinen Schriften Études sur les transformations de Paris (1903 – 1906) veröffentlicht hatte. Sie wurden dann auch 1909 in dem Buch von Daniel H. Burnham und Edward H. Bennet zum Plan of Chicago sowie 1911 in Werner Hegemanns Band
Der Städtebau nach den Ergebnissen der allgemeinen Städtebau-Ausstellung in Berlin nebst einem Anhang: Die Internationale Städtebau-Ausstellung in Düsseldorf 1910 – 1912 gezeigt – ein Zeichen der hohen Wertschätzung dieser Skizzen, aber auch der internationalen Vernetzung der Disziplin Städtebau.

Das Schema von Wien wurde in Anlehnung an die
historischen Skizzen von Lilja Schick neu gestaltet.

Bol’šaja Moskva (Gross-Moskau)
Hauptstadtregion zwischen Europa und Eurasien

Moskau ist eine Stadt mit breiten Prospekten und langen Magistralen, eine Stadt, in der man nur selten eine historische Struktur ausmachen kann. Auf dem Stadtplan sieht es dagegen anders aus: Fünf Ringe sind um das Zentrum, den Kreml, angelegt und erinnern an eine horizontal zerschnittene Matrjoschka. Der innerste Ring zeichnet die Umfahrung des Kremls im Uhrzeigersinn nach: durch das Altstadtviertel Kitajgorod, vorbei am Stadtpark Zarjad’e und entlang der hohen Kremlmauern am Fluss. Der Boulevard-Ring ist ein nach Süden geöffneter Bogen, der von Flussufer zu Flussufer führt und in seiner Mitte von einer Allee durchzogen ist. Die offiziell als Dritter Ring bezeichnete Autobahn wurde erst in den 2000er Jahren fertiggestellt und verläuft etwa parallel zu dem 54 Kilometer langen Moskauer Zentralring, der als Kleiner Moskauer Eisenbahnring bis 1960 die Stadtgrenze definierte. Ganz außen liegt die Umlaufbahn der MKAD (­Moskovskaja kol’cevaja avtomobil’naja doroga ), ein über 100 Kilometer langer Autobahnring aus den frühen 1960er Jahren. Hier wird schon sichtbar, wie dicht Moskau bebaut ist. Den Horizont zieren Wohntürme und monumentale Plattenbauquartiere. Massiver Kern dieser überdimensionierten Matrjoschka ist der Kreml. Er offenbart Russlands Licht- und Schattenseiten: hier das historische Gemäuer, von dem aus Josef Stalin, Nikita Chruschtschow und ­Leonid Breschnew, von manchen bis heute als Helden verehrt, das sowjetische Volk sieben Jahrzehnte lang führten; dort die Heerscharen von Touristen, die mit ihren Kameras einen Hauch des prächtigen alten wie neuen Russlands einfangen möchten.

Generalplan für eine Millionenmetropole:
Moskau 1935 bis 1941

Im zweiten Fünfjahresplan veränderte Josef Stalin ab 1933 die städtebaulichen und wohnungspolitischen Prioritäten grundsätzlich: Nicht mehr der Bau neuer Industriestädte, sondern der Ausbau von Moskau als Hauptstadt der Sowjetunion, ja der kommunistischen Weltbewegung rückte ins Zentrum. Der 1935 beschlossene Generalplan für Moskau spiegelt diese Entwicklung wider. Er war auf ein gewaltiges städtisches Wachstum orientiert. Die Fläche des Stadtgebiets wuchs von 28.500 auf 60.000 Hektar. Der wichtigste Entwicklungsraum für Wohnungsbau wurde im Südwesten ausgewiesen. Die neue Riesenstadt sollte von einem Grüngürtel aus Waldparks umgeben werden. Ein Höhepunkt des Stadtumbaus war 1935 die Eröffnung der ersten Metrolinie.

Generalplan 1935: Die Gebietserweiterung Groß-Moskaus war ein Kernelement des Plans. Das Stadtgebiet war mit Beschluss von 1931 von 28.500 auf 60.000 Hektar erweitert worden, auch um dem prognostizierten Bevölkerungswachstum von 3,5 auf 5 Millionen Einwohner binnen zehn Jahren gerecht zu werden.
Arxitektura SSSR 10–11 / 1935

Wohnungsbau und Olympia als Motoren der Stadtentwicklung:
Moskau 1955 bis 1985

Typenprojekte und industrielle Vorfertigung

Olympia als städtebaulicher Impuls: In den späten 1970er Jahren entstanden überall in Moskau Großprojekte im Bereich Sport- und Hotelbauten sowie prestigeträchtige Kultur bauten für die touristische Infrastruktur. Hier ist das Modell von 1980 des nördlich des Zentrums gelegenen Sportkomplexes „Olimpijskij“ nach den Plänen von Mikhail V. Posokhin zu sehen. Dass viele westliche Staaten aufgrund des militärischen Eingreifens der UdSSR in Afghanistan die Teilnahme boykottierten, hatte auf die Bauprojekte und deren nach haltige Wirkung auf die weitere Stadtentwicklung keinen Einfluss.
Schusev State Museum for Architecture, Moskau

Nach dem Tod Josef Stalins 1953 setzte eine Migrationswelle ein, die die Wohnungsknappheit in Moskau verschärfte. Im Kampf um Stalins Nachfolge behauptete sich Nikita Chruschtschow, der den Neubau von Wohnungen als zentrales Politikfeld erkannte. Für Moskau bedeutete dies eine großflächige Expansion der Mikrorajons bis an den äußeren Autobahnring MKAD.

Neben den Ikonen der Sowjetmoderne galten die Bauprogramme unter Nikita Chruschtschow und Leonid Breschnew den Massen. Was später in der gesamten UdSSR umgesetzt werden sollte, wurde in Moskau zunächst getestet. Unter Chruschtschow experimentierten Architekten und Ingenieure mit industrieller Vorfertigung, unter Breschnew weiteten sich die Bauprogramme von überschaubaren Quartieren zu „Mikrorajons“ für 150.000 Bewohner aus, deren Größe einer eigenen Stadt entsprach. Was beide Perioden vereinte: Der Wohnungsbau war der eigentliche Motor der Stadtentwicklung. Einen besonderen Akzent vermochten in den späten 1970er Jahren die Vorbereitungen der Olympischen Spiele 1980 zu setzen. Für die Stadt Moskau bedeuteten die olympischen Großbauten einen Modernisierungsschub für zuvor vernachlässigte Quartiere und führten zu einer Verbesserung der Infrastruktur des Verkehrs und der Stadttechnik.

Groß-Wien 
Schiach und fad?
Jetzt schon zehn Mal: Lebenswerteste Stadt der Welt

Wien und Berlin, zwei alte Antipoden: Wien als altehrwürdige Hauptstadt des Heiligen Römischen Reichs – Berlin dagegen als rustikaler Emporkömmling. Durch die Reichsgründung unter preußischer Führung war der Bedeutungsverlust Wiens vorprogrammiert. Die Eingemeindung von Vorstädten 1892, die Donauregulierung und der Bau der Eisenbahn in die Länder der Doppelmonarchie schufen Voraussetzungen für eine rasante Industrialisierung. Die Konkurrentin an der Spree entwickelte sich aber wirtschaftlich schneller. Die Schaffung von Groß-Wien 1892 war jedoch ein Vorbild für Groß-Berlin. Nach dem Ersten Weltkrieg wurden in Wien der soziale Wohnungsbau, die kommunale Infrastruktur und die Nahversorgung auf demokratische und gemeinwirtschaftliche Grundlagen gestellt. Im austrofaschistischen Ständestaat verlor Wien 1934 seine Eigenständigkeit und wurde zur „bundesunmittelbaren Stadt“. Zwischen dem „Anschluss“ Österreichs an das Deutsche Reich 1938 und dem Beginn des Zweiten Weltkriegs 1939 entstanden monumentale Planungen für Wien nach dem Vorbild Berlins – auf dem Papier. Bereits 1938 wurde ein noch größeres „Groß-Wien“ geformt. Nach 1945 wurde Wien wie Berlin eine Viersektorenstadt unter Kontrolle der Alliierten, 1954 wurde Groß-Wien wieder verkleinert. Nach Abzug der Alliierten 1955 beschleunigte sich der autogerechte, suburbane Um- und Ausbau. Der Fall des Eisernen Vorhangs brachte wirtschaftliche Vorteile. Die neue Stadtregierung stärkt seit 2010 wieder die städtischen Institutionen. Besonders die kommunale Wohnungs- und Bodenpolitik bleibt ein viel diskutiertes Vorbild – auch für Berlin.

Das rote Wien (1919-1934)

Nach dem Ersten Weltkrieg erklärte sich Österreich zur Republik und verwies den Kaiser des Landes. Für alle Bereiche des täglichen Lebens entstanden genossenschaftliche und kommunale Institutionen. Wien wurde so in kürzester Zeit zum Labor austromarxistischer Reformen und Veränderungen. Der kommunale Wohnungsbau der Wohnbausteuerära in seinen monumentalen Blockstrukturen mit Schwimmbädern, Volksbildungseinrichtungen, Konsumgenossenschaften und der städtischen Infrastruktur ist Zeugnis dieser Ära. Das Experiment „Rotes Wien” fand mit dem Dollfuß-Putsch, dem gewaltsamen Machtantritt des klerikalen Ständestaats im Februar 1934, ein blutiges Ende.

Überblick über die Wohnhaus bauten der Gemeinde Wien, 1926.
Wien Museum, Nr. 49676/1/1

Das schwarze Wien (1934-1938)

Autobroschüre: Blick auf Wien von der Höhenstraße, 1936.
Hermann Kosel, Wien Museum, Nr. 58201/5/2

Die Stadtentwicklung im Austrofaschismus hatte folgende Schwerpunkte: Arbeitsbeschaffung durch Projekte wie die Höhenstraße und die Reichsbrücke, kleinteilige Siedlungen, Kirchen und ausschließlich private Stadterneuerung. Damals konnten etwa die RAVAG-Rundfunkzentrale und das Freihausviertel an der Operngasse realisiert werden, nicht aber die Projekte Führerschule im Fasangarten, der Zentralbahnhof mit Flughafen und das Dollfußdenkmal. Die Architektur kam im Gewand der klassischen Moderne daher, als rationalistischer Kontrapunkt zur burgenhaften Ästhetik der Superblocks des Roten Wien.

Grand Paris
Ein uneingelöstes Versprechen 

Am Beginn des 20. Jahrhunderts blickte Paris bereits auf eine lange Geschichte zurück. Seit dem Mittelalter war Frankreichs Hauptstadt immer wieder Gegenstand städtebaulicher Verschönerungsprojekte gewesen. Der große Stadtumbau zwischen 1853 und 1870 durch den Seine-Präfekten Georges-­Eugène Haussmann hatte die Stadt in eine dem Kapitalismus und der Moderne verpflichtete Metro­pole transformiert und sie zu einem Vorbild für ganz Europa gemacht. Doch all diese Pläne hatten auf das Gebiet innerhalb der Stadtmauer fokussiert. Übergreifende Planungen, wie sie Ende des 19. Jahrhunderts für Städte wie Wien oder München entstanden waren und den Großraum der Stadt miteinbezogen, waren in Paris ausgeblieben. Erst zu Beginn des 20. Jahrhunderts rückte Grand Paris auf die Tagesordnung. Die verschiedenen Pläne für die Stadtregion, die seitdem entstanden, zeugen von einem reichen und egozentrischen Paris, dem eine schlecht ausgestattete Banlieue gegenübersteht. Paris intramuros entwickelte sich anders als der umliegende Großraum, wobei der Staat beim Bau von Neustädten, Verkehrswegen und anderen Großinfrastrukturen die zentrale Rolle spielte. Und obwohl 1976 endlich die Region Île-de-France ins Leben gerufen wurde, erfolgt ihre Ausgestaltung seither mit wenig Ehrgeiz. Seit der Jahrtausendwende wird mit Wettbewerben und Bauprogrammen wie Le Grand Pari(s), Grand Paris Express und Reinventing Paris die Idee eines Grand Paris ausformuliert, wobei teils konkurrierende Verdichtungs- und Entwicklungsprogramme dringend koordiniert werden müssen.

Erste Ideen für die Erweiterung
einer eingeschlossenen Weltstadt

Zu Beginn des 20. Jahrhunderts war Paris immer noch von dem 1840 errichteten Befestigungsgürtel umschlossen und von seinen Vororten abgetrennt. Die letzte administrative Erweiterung war 1860 erfolgt, als Kaiser Napoleon III. beschlossen hatte, die Vororte innerhalb der Befestigungsanlagen zu annektieren. Erste Ideen für die Erweiterung der eingeschlossenen Stadt entstanden erst in den Jahren ab 1910 mit der Unterstützung des Musée social, der Association française des cités-jardins und der Société française des urbanistes. 1911 richteten das Département Seine und die Stadt Paris eine Erweiterungskommission ein, die einen Bericht für die Entwicklung von Paris und seinen Vororten veröffentlichte. Im Zentrum stand zunächst die Grünfrage. Die möglichen Optionen lauteten: Pocketparks, Grüngürtel oder Parksystem nach US-amerikanischem Vorbild. 1919 folgte ein Ideenwettbewerb für die Regulierung und Erweiterung von Paris nach dem Vorbild des Wettbewerbs Groß-Berlin von 1910. Der Preisträger Léon Jaussely, der bereits 1904 als Sieger aus dem Wettbewerb für die Stadterweiterung von Barcelona hervorgegangen war und 1909 zusammen mit Charles Nicod einen viel beachteten Beitrag zum Wettbewerb Groß-Berlin eingereicht hatte, schlug ein duales Parksystem rund um Paris vor, ferner plante er zwei Industriezonen flussaufwärts und flussabwärts der Seine sowie Stadterweiterungen in Form von Gartenstädten und -vororten. Doch sein Vorschlag blieb zunächst ohne konkrete Folgen.

Erste Ideen zu Erweiterungsplänen
für Paris bis 1919

Vorentwurf eines Erweiterungsplans für Paris, Louis Bonnier und Marcel Poëte, 1913: Parksystem mit Parkwegen.
Préfecture de la Seine / Commission d’extension de Paris: Considérations techniques préliminaires (La circulation, les espaces libres). Paris 1913, Planche 7

Trente Glorieuses 1946-1975:
Große Pläne, große Infrastrukturen, große Siedlungen

Große Siedlungen

Bidonville algérien („algerischer Slum“) von Nanterre mit der dahinterliegenden, im Bau befindlichen Groß-Siedlung Provinces Françaises, ca. 1956.
Institut Paris Region

In den glorreichen 30 Jahren (Trente Glorieuses) zwischen 1946 und 1975 durchlebte die Region Paris einen institutionellen wie wirtschaftlichen Aufholprozess. 1961 entstand mit dem „Distrikt
der Region Paris“ eine Verwaltungsstruktur, die von einem durch Präsident Charles de Gaulle ernannten hohen Beamten, Paul Delouvrier, geleitet wurde. Es folgte die Gründung eines regionalen Planungsbüros, des Institut d’Aménagement et d’Urbanisme (IAU), heute Institut Paris Region (IPR). 1965 trat ein neuer Regionalentwicklungsplan in Kraft, der mit der radial-konzentrischen Urbanisierung brach und dafür die Metropolenentwicklung entlang der Täler der Seine und Marne forcierte. Der Plan sah den Ausbau eines regionalen Eisenbahnsystems (RER) und die Entwicklung des neuen
Großflughafens Roissy (Paris-Charles-de-Gaulle) vor. Um den erwarteten Bevölkerungszuwachs aufzunehmen, sollten fünf neue Trabantenstädte entstehen. Auch dieser Plan schenkte dem eigentlichen Stadtgebiet von Paris wenig Aufmerksamkeit,
zusätzlich verstärkte der Bau des ringförmig um Paris verlaufenden Boulevard Périphérique die materielle Grenze zwischen Paris und seiner Banlieue. Mit der Beseitigung von „unsanierten“ Wohnblöcken und dem Ausbau der unterirdischen RER-Bahnhöfe wie Les Halles oder Étoile erfuhr das Zentrum von Paris dennoch große Veränderungen. Insbesondere der urbanisme sur dalle, der eine vollständige Trennung zwischen unterirdischem Autoverkehr und oberirdischem Fußgängerverkehr vorsah und eine besonders erfolgreiche Spielart der autogerechten Stadt in Frankreich darstellte, konnte sich in zahlreichen innerstädtischen Projekten realisieren. Ein besonders prominentes Beispiel ist die Esplanade im Hochhausviertel La Défense.

Greater London
Städtebau zwischen Deregulierung und Regulierung

Greater London blickt auf eine bewegte, über 2.000-jährige Geschichte zurück und zählt heute rund 8,9 Millionen Bewohner. Die Hafenstadt an der Themse ist seit Jahrhunderten eine bedeutende Handels- und Dienstleistungsmetropole, ein wichtiger internationaler Finanzstandort und ein he­rausragendes Zentrum von Kultur und Kreativität, Innovation und Forschung. Seit den 1990er Jahren wächst die Stadt erneut dynamisch, bis 2041 wird eine Bevölkerungszunahme auf 10,8 Millionen Einwohner erwartet – auch wenn die aktuelle Entwicklung aufgrund des Brexit von Ungewissheit geprägt ist. Die städtebauliche Entwicklung Londons in den vergangenen 100 Jahren ist ein Spiegel politischer Strömungen auf nationaler und auf lokaler Ebene. Nach dem Zweiten Weltkrieg hat ein sehr aktiver Wohlfahrtsstaat in großem Umfang sozialen Wohnungsbau realisiert, der weite Teile Londons städtebaulich prägt. Unter Premierministerin ­Margaret Thatcher (1979 – 1990) wurde eine beispiellose Deregulierungspolitik vorangetrieben, die in der Abschaffung der Londoner Stadtregierung Greater London Council und einem Planungsvakuum gipfelte. Unter Tony Blair (1997 – 2007) wurde die Stadtregierung Greater London Authority im Jahr 1998 deutlich kleiner und moderner neu gegründet. Zum Millennium erlebte London eine städtebauliche Renaissance, zu den Olympischen Sommerspielen 2012 blickte die Welt auf den umgebauten Osten der Stadt. Seitdem arbeitet London an der Transformation zu einer nachhaltigen Metropole, stärkt den Radverkehr und versucht, auf dem Wohnungsmarkt für bezahlbare Mieten zu sorgen.

Visionen für die Stadtregion von morgen formulieren

Die Entwicklung der Stadtregion durch einen großen Plan, durch eine Vision zu steuern, die den gesamten Ballungsraum umfasst, ist ein Wunsch, der sich durch das letzte Jahrhundert der Planungsgeschichte zieht. Diese Pläne haben immer auch aktuelle gesellschaftliche und ökonomische Entwicklungen adressiert: die Trennung von Wohn- und Industriegebieten (County of London Plan, 1943) oder die Integration benachteiligter Bevölkerungsgruppen (London Plan). Zuletzt setzten sich gesamtstädtische Konzepte wie die für die Stärkung Londoner High Streets mit der Planung der äußeren Stadt auseinander – mit Gebieten, in denen eine geringere Bevölkerungsdichte, weniger Nutzungsmischung oder weite Wege zu Haltestellen des öffentlichen Nahverkehrs besondere planerische Ideen erfordern.

County of London Plan von Patrick Abercrombie, 1943. Vorgeschlagen wird, die Stadt als Ansammlung verschiedener Quartierstypen mit eigenen Merkmalen zu sehen, etwa von wichtigen Einkaufsstraßen, zentralen oder suburbanen Quartieren, Gebieten mit brach gefallenen Grundstücken etc.
Antiqua Print Gallery / Alamy Stock Photo, ID FDNFWD

Den Londoner Osten transformieren

Entlang der Flussläufe von Lea und Themse von Enfeld’s Meridian Water bis nach Beckton könnte in der City East ein dichtes, umfangreiches Stadtquartier entstehen. Viele Herausforderungen bezüglich der Infrastrukturen sind hier noch zu bewältigen– insbesondere in Bezug auf attraktive, fußgängerfreundliche öffentliche Räume.
5th Studio

Der Londoner Osten entlang der Themse war über Jahrhunderte durch Hafengebiete, Industrieareale und Arbeiterwohnquartiere geprägt. Nach dem Niedergang dieser Nutzungen wurde ab den 1980er Jahren die Transformation des Londoner Ostens zu einem zentralen Thema der Stadtentwicklung. Zunächst gab es – wie beim Projekt Canary Wharf – große Rückschläge aufgrund einer mangelnden Anbindung, hoher Kosten der Dekontamination und
zu geringer Nachfrage. Wirklichen Auftrieb erhielt die Entwicklung erst im Jahr 2005, als die Stadt den Zuschlag erhielt, die Olympischen Sommerspiele 2012 auszurichten. Mit dieser Entscheidung wurde nicht nur der Bau des Olympischen Parks im Lower Lea Valley als gigantisches Großprojekt angestoßen, sondern auch umfangreichen Projekten zur Erneuerung der angrenzenden Quartiere der Weg geebnet.