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Ausstellung Raum 8

Ungeliebte Hauptstadt?

Schaufenster Deutschlands 

BAND DES BUNDES IM BERLINER SPREEBOGEN
Der Spreebogen ist der bedeutendste Regierungsstandort, den Groß-Berlin in seiner Geschichte zu bieten hat: Sitz des Reichstags in der Kaiserzeit, Zentrum der Republik in den 1920er Jahren, geplanter Standort der Großen Halle der NS-Diktatur, des größten Gebäudes Berlins und zentralistischen Taktstocks der nationalsozialistischen Reichshauptstadt, nach der Spaltung ein Randgebiet im Wartestand und heute Heimat des Bandes des Bundes, des wichtigsten Auftritts des Staates in seiner Hauptstadt. Der Spreebogen ist der jüngste der großen Regierungssitze Berlins, weit jünger als das Schlossareal und jünger als der Standort Wilhelmstraße. Er verdeutlicht die Westwanderung des räumlichen Schwerpunkts staatlicher Repräsentanz in Berlin.
Foto Philipp Meuser, 2020

Im Jahr 1920 war die Stadt Berlin nicht einmal ein halbes Jahrhundert Deutschlands Hauptstadt. Sie war alles andere als die unumstrittene Mitte eines großen europäischen Staates wie etwa London und Paris, sie war eher wie Rom und Moskau eine junge Hauptstadt, deren Ruf nicht immer der beste war. Im Groß-Berlin-Gesetz von 1920 gab es keine Bestimmungen, die ihren Status als Hauptstadt der jungen Weimarer Republik eindeutig regelten. Dennoch gestaltete der Gesamtstaat seither die Entwicklung der Metropole entscheidend mit. Heute prägen Bundesprojekte nicht nur die öffentlichen Debatten, sondern zunehmend auch das Bild der Hauptstadt. Staat schafft Stadt, mal zur Freude, mal zum Ärger der Berliner – wie schon seit Jahrhunderten. Neu aber ist, dass die Hauptstadt Berlin im Ausland durchaus beliebt ist, als heiteres und tolerantes Schaufenster eines nicht immer geschätzten Staates. 2021 darf Berlin sich schon wieder erinnern – an 150 schwierige Jahre als deutsche Hauptstadt.

Die Weltgeltung und wirtschaftliche Leistungsfähigkeit eines Staates hängt in starkem Maße von dem Gesicht und der Geltung seiner Hauptstadt ab. […] Nach dem Eindruck, den die Reichshauptstadt auf das Ausland macht, wird Deutschland und seine Bedeutung für die Welt beurteilt. […] Berlin betrachtet seine Aufgaben nicht unter einem örtlichen Gesichtswinkel, sondern vom Standpunkte des ganzen Deutschlands.

Die Fremdenverkehrswerbung für Berlin (hat) mit einer stimmungsmäßigen Gegnerschaft im Reiche gegenüber Berlin zu rechnen […]. Es geht Berlin wie New York in Amerika. Man bewundert sein rasches Wachstum, aber man liebt es noch nicht. Die Vorurteile gegen die deutsche Reichshauptstadt zu zerstreuen, ist eine Hauptaufgabe der Berliner Fremdenverkehrswerbung.

Gustav Böß, Oberbürgermeister 1919–1929
Berlin von heute.
Stadtverwaltung und Wirtschaft.
Berlin 1929

Standorte für Parlament 
und Regierung

1920 gab es in Berlin drei stadtprägende Standorte staatlicher Präsenz: das Schloss der Hohenzollern, eigentlich ein preußisches Bauwerk, die Wilhelmstraße als Symbol staatlichen Regierungshandelns und den Königsplatz, Ort des Reichstagsgebäudes, des mächtigsten Bauwerks des deutschen Staates in Berlin. Das Schloss, ein Meisterwerk einer über Jahrhunderte agglomerierten Architektur, hatte im späten 19. Jahrhundert längst die Rolle als alleiniges Zentrum der Herrschaft verloren. Die Wilhelmstraße stieg zum offiziellen Regierungszentrum des neuen Reichs auf, zum Synonym der deutschen Reichsregierung schlechthin. Mit dem Bau des Generalstabsgebäudes von 1867 bis 1871, der „Seele des Heeres“, begann die Ansiedlung von staatlichen Herrschaftsfunktionen im Spreebogen, die mit dem Bau des Reichstagsgebäudes von 1884 bis 1894 ihren Höhepunkt und vorläufigen Abschluss fand.

Spreebogen

Kein anderer Ort vermittelt die wechselvolle Geschichte staatlicher Präsenz in Berlin so eindringlich wie der Spreebogen – Spiegel republikanischer, diktatorischer, alliierter und nun wieder demokratischer Herrschaft in der Stadt.

„Reichshaus“ am Königsplatz, Entwurf von Otto Kohtz, 1920. Das monumentale, pyramidenartig gestufte Bürohochhaus sollte Reichsbehörden Raum bieten.
AM TUB, Nr. 9063
Das Bundeskanzleramt, 2019. Der hohe Bau wird von manchen Berlinern „Waschmaschine“ genannt. Im Vordergrund die Moltkebrücke.
Foto Thomas Spier, apollovision
Hauptstadtspaß an der Spree, 2019. Am südlichen Ufer der Spree, unterhalb von Bundeskanzleramt, Schweizer Botschaft und Paul-Löbe-Haus, liegt ein beliebter Stadtstrand.
Foto Thomas Spier, apollovision
Der neue Reichstag, Sitz des Bundestags, von der Marschallbrücke aus gesehen, 2019.
Foto Thomas Spier, apollovision

Wilhelmstraße

Im Kaiserreich bildete sich entlang der Regierungsmeile Wilhelmstraße eine auch von der Öffentlichkeit wahrgenommene Differenzierung in eine westliche „Reichsseite“ und eine östliche „Preußenseite“ heraus. Nach dem Zweiten Weltkrieg war dort – im wichtigsten Gebäude des Staates – der Hauptsitz der DDR-Regierung.

Bundesministerium der Finanzen, ehemals Haus der Ministerien, 2019. Die wechselvolle Geschichte des Hauses ging weiter: Seit 1990 ist es Sitz des Bundesfinanzministeriums, 1992 nach dem von der RAF ermordeten Präsidenten der Treuhandanstalt auch Detlev- Rohwedder-Haus genannt. Ende 1992 wurde durch das Bundesbauministerium der Abriss des Großbaus erwogen.
Foto Thomas Spier, apollovision
Sitz des Bundesrats an der Leipziger Straße, nahe der Wilhelmstraße, 2019. Der 1904 errichtete Bau diente bis 1918 als Sitz der Ersten Kammer des Preußischen Landtags, in der Weimarer Republik als Sitz des Preußischen Staatsrats. In der NS-Zeit wurde er dem Reichsluftfahrtministerium zugeordnet. Im Jahr 2000 zog der Bundesrat ein.
Foto Thomas Spier, apollovision

Schlossareal

Das Schloss verlor 1918 mit dem Ende von Krieg und Kaiserreich seine Funktion als Herrschaftssitz. Ab den 1920er Jahren diente es vor allem als Museum. In der DDR-Zeit wurde die Ruine des Schlosses 1950 gesprengt. An seiner Stelle entstand ein Staatsforum der DDR. Heute erlebt das Schloss als Humboldt Forum seine – durchaus umstrittene – Wiederauferstehung.

Ministerium für Auswärtige Angelegenheiten der DDR, errichtet nach Plänen von Josef Kaiser und anderen 1964 – 1967, abgerissen 1995 / 96.
Foto Jacob Stefane, Landesarchiv Berlin, F Rep. 290, Nr. 377231
Humboldt Forum, 2020. Das Hauptportal und die Kuppel sind noch eingerüstet – im September 2020 sollte das Haus (in Teilen) eröffnet werden. Im Mai 2020 wurde die coronabedingte Verschiebung der Eröffnung bekannt gegeben.
Foto Thomas Spier, apollovision
Auswärtiges Amt, Thomas Müller Ivan Reimann Architekten, gebaut 1996 – 1999, Foto 2020. Der Neubau wurde als Kopfbau vor den prominenten Altbau gesetzt, eine Erweiterung der ehemaligen, 1934 – 1940 nach Entwürfen von Heinrich Wolff errichteten Reichsbank. Dieser frühe Bau der NS-Diktatur war ab 1958 als Sitz des Zentralkomitees der SED das eigentliche Machtzentrum des DDR-Staates.
Foto Thomas Spier, apollovision

Geschenkt: Kulturbauten

Der Gesamtstaat hat in seiner Hauptstadt aber nicht nur für sich gebaut, sondern auch die Kultur bereichert. Zu den Geschenken des Bundes gehören heute unter vielen anderen die neue Bauakademie, das Museum für Gestaltung für das Bauhaus-Archiv, das Freiheits- und Einheitsdenkmal, das Humboldt Forum und natürlich das Museum des 20. Jahrhunderts am Kulturforum. Nicht immer sind diese Geschenke gern gesehen, oft sind sie umstritten, summa summarum bereichern sie aber die Metropole.

Museumsinsel, 2020. Als letzter Baustein des UNESCO-Weltkulturerbes kam 2018 die James-Simon-Galerie hinzu. Der Neubau dient als Bindeglied zwischen den fünf Museen auf der Insel; er stammt wie schon die Restaurierung und der Umbau des Neuen Museums von David Chipperfield Architects.
Foto Thomas Spier, apollovision
Museum für Gestaltung für das Bauhaus- Archiv, geplante Fertigstellung 2022. Staab Architekten gewannen den Wettbewerb 2015 mit einem markanten Turm, unterirdischen Museums- und Veranstaltungsräumen, die Alt- und Neubau verbinden, sowie einem tiefgelegten Garten. Staab Architekten
Neue Bauakademie. Der Zustand im Januar 2020 zeigt die rekonstruierte Ecke der im Zweiten Weltkrieg nur wenig zerstörten, aber 1961 / 62 zugunsten des Außenministeriums der DDR abgebrochenen Bauakademie. Der ursprüngliche Bau entstand von 1832 bis 1836 nach Plänen von Karl Friedrich Schinkel. Aus der Bauakademie ging die heutige TU Berlin hervor. Um Gestalt und Nutzung eines Neubaus entbrannte ein langer Streit, der mit „so viel Schinkel wie möglich“ beantwortet wurde.
Foto Thomas Spier, apollovision