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Ideen 2070

“ARCHIPEL – LABOR: EIN ATLAS VON URBANEN INSELN FÜR BERLIN”

Aufzeichnung vom 18.11.20

Pedro Pitarch

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Metropolengespräche-archiv

Beim Wachsen zusehen …

Mitschnitt vom 13.10.2020 aus dem Kronprinzenpalais in Berlin

Wie in der Siemensstadt neue Urbanität entsteht

Die Siemensstadt in Berlin-Spandau, eine Ikone der Industriearchitektur, wird zu einem zukunftsweisenden Stadtteil erweitert und umgestaltet.

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Metropolengespräche-archiv

Blick zurück nach vorn!

Mitschnitt vom 08.10.2020 aus dem Kronprinzenpalais in Berlin

Städtebauhistoriker und Zukunftsforscher über die Metropolregion Berlin- Brandenburg 2070

Gesundheit, Wohnen, Verkehr – heute im Jahr des 100jährigen „(Groß)Berlin“-Jubiläums stellen sich ähnliche Fragestellungen wie damals. Mit Blick auf die nächsten Jahrzehnte kommen dringliche neue Aufgaben hinzu: die Digitale Stadt, der Umgang mit der Natur oder der Rückbau der autogerechten Stadt.

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Blick nach Europa

Bol’šaja Moskva (Groß Moskau)

Hauptstadtregion zwischen Europa und Eurasien

Moskau ist eine Stadt mit breiten Prospekten und langen Magistralen, eine Stadt, in der man nur selten eine historische Struktur ausmachen kann. Auf dem Stadtplan sieht es dagegen anders aus: Fünf Ringe sind um das Zentrum, den Kreml, angelegt und erinnern an eine horizontal zerschnittene Matrjoschka. Der innerste Ring zeichnet die Umfahrung des Kremls im Uhrzeigersinn nach: durch das Altstadtviertel Kitaj-gorod, vorbei am Stadtpark Zarjad’e und entlang der hohen Kremlmauern am Fluss. Der Boulevard-Ring ist ein nach Süden geöffneter Bogen, der von Flussufer zu Flussufer führt und in seiner Mitte von einer Allee durchzogen ist. Die offiziell als Dritter Ring bezeichnete Autobahn wurde erst in den 2000er Jahren fertiggestellt und verläuft etwa parallel zu dem 54 Kilometer langen Moskauer Zentralring, der als Kleiner Moskauer Eisenbahnring bis 1960 die Stadtgrenze definierte. Ganz außen liegt die Umlaufbahn der MKAD (­Moskovskaja kol’cevaja avtomobil’naja doroga ),ein über 100 Kilometer langer Autobahnring aus den frühen 1960er Jahren. Hier wird schon sichtbar, wie dicht Moskau bebaut ist. Den Horizont zieren Wohntürme und monumentale Plattenbauquartiere. Massiver Kern dieser überdimensionierten Matrjoschka ist der Kreml. Er offenbart Russlands Licht- und Schattenseiten: hier das historische Gemäuer, von dem aus Josef Stalin, Nikita Chruschtschow und ­Leonid Breschnew, von manchen bis heute als Helden verehrt, das sowjetische Volk sieben Jahrzehnte lang führten; dort die Heerscharen von Touristen, die mit ihren Kameras einen Hauch des prächtigen alten wie neuen Russlands einfangen möchten.

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Ausstellung Foyer

Krisenjahr 1920

Bildung von Groß-Berlin

Mitten in der heftigen Krise nach dem Ersten Weltkrieg, am Ende der Spanischen Grippe, nur einen Monat nach dem Kapp-Putsch, in einer Zeit, als Berlins, ja Deutschlands Zukunft völlig unklar war, entstand auf Beschluss der preußischen Landesversammlung zum 1. Oktober 1920 die „neue Stadtgemeinde Berlin“ (Groß-Berlin-Gesetz vom 27. April 1920). Das war eines der wichtigsten Ereignisse in der über 800-jährigen Geschichte Berlins, Ergebnis eines Jahrzehnte währenden Streits zwischen den einzelnen Kommunen des Großraums sowie zwischen Berlin und Preußen.

Als Groß-Berlin 1920 politisch geschaffen wurde, war es sozial, wirtschaftlich und baulich freilich längst vorhanden. Die seit den 1880er Jahren verstärkte Randwanderung der Industrie, des Militärs und der Wohngebiete der Wohlhabenden hatte längst die Grenzen der alten Stadt Berlin gesprengt. Siemens ließ in ­Spandau arbeiten, Borsig in Tegel, die AEG in ­Hennigsdorf und Oberschöneweide.

Und auch das Militär marschierte ins Umland, etwa nach Döberitz, ­Jüterbog, Kummersdorf und Wünsdorf. Neue herrschaftliche Wohngebiete entstanden im Westen (Westend), Norden (Frohnau), Osten (Karlshorst) und vor allem im Südwesten (vom Grunewald bis zum Wannsee). In der Innenstadt verblieb die große Schicht der ungelernten Arbeiter, besonders in Moabit, im Wedding, in Friedrichshain, Kreuzberg und Neukölln. Die Altstadt wandelte sich zur Stadtmitte, zur City. Zusammengehalten wurde der neue Großstadtraum durch die Schienen der Vorortbahnen, die natürlichen wie künstlichen Wasserstraßen und die großen Ausfallstraßen.

Das wichtigste Ereignis im Dasein Berlins ist die Eingemeindung des Jahres 1920.

Das neue Berlin ist aus 8 Stadtgemeinden, 59 Landgemeinden und 27 Gutsbezirken, insgesamt 94 Gemeinden, im Jahr 1920 zusammengeschlossen worden. Es ist eine Einheitsgemeinde. […] Das Stadtgebiet ist in 20 Verwaltungsbezirke eingeteilt.

Zwischen den früheren Einzelgemeinden Groß-Berlins gab es unendlich viel Reibereien […]. Die Gemeinden suchten die leistungsfähigen Steuerzahler sich gegenseitig abzujagen […]. Mit all diesen Zuständen ist durch das Gesetz vom 27. April 1920 aufgeräumt worden.

Ob die heutige Gemarkung der Stadt Berlin für die Zukunft ausreichen wird, ist fraglich.

Gustav Böß, Oberbürgermeister 1919–1929
Berlin von heute.
Stadtverwaltung und Wirtschaft.
Berlin 1929

Kurz vor Groß-Berlin:

Spanische Grippe 1918 – 1920

Spanische Grippe: Diagramm der Sterblichkeit in New York, London, Paris und Berlin zwischen Juni 1918 und März 1919. Lange Zeit war sie vergessen, erst in Zeiten der Corona-Krise erinnert man sich wieder an die Spanische Grippe, die weltweit mehr Menschen tötete als der Erste Weltkrieg. Bei drei Wellen dieser Krankheit in der Zeit vom Frühjahr 1918 bis 1920 verloren zwischen 27 und 50 Millionen Menschen ihr Leben, im Groß-Berliner Raum mehr als 40.000 Personen. Die Kommunen wie der preußische Staat erwiesen sich damals als unfähig, Maßnahmen zur Eindämmung der Pandemie zu treffen. Die Grafik zeigt den Höhepunkt der Pandemie im Herbst 1918. Allerdings fehlen kontinuierliche Angaben aus Berlin.

National Museum of Health and Medicine (Silver Spring, USA), Nr. Reeve 3143

Kapp-Putsch im März 1920

„Kapp-Putsch Berlin“, Gemälde von Else Hertzer. Mitte März 1920, gut einen Monat vor dem Beschluss zu Groß-Berlin, schien die junge deutsche Demokratie bereits gescheitert. Aus Döberitz marschierte die „Brigade Ehrhardt“ über die Heerstraße nach Berlin. Die Soldaten trugen ein weißes Hakenkreuz auf ihrem Helm. Die Reichsregierung konnte nach Dresden und schließlich Stuttgart flüchten. Wolfgang Kapp, ein ostpreußischer Verwaltungsbeamter, ernannte sich selbst zum neuen Reichskanzler. Der anschließende Generalstreik, der größte in der deutschen Geschichte, zwang die Putschisten zur Aufgabe. Das Gemälde zeigt eine nächtliche Straße mit Soldaten in Berlin, das aggressiv-diffuse Licht der Scheinwerfer des Fahrzeugs verbreitet Angst.

Groß-Berlin
Kaum der Meldung wert

Die Geburt von Groß-Berlin war kein glänzendes Ereignis, das die Titelseiten der Zeitungen beherrschte. Weder am 27. April, als die Preußische Landesversammlung mit hauchdünner Mehrheit den Zusammenschluss befürwortete, noch am 1. Oktober, als Groß-Berlin Wirklichkeit wurde. Im Gegenteil: Die Entscheidung für Groß-Berlin war nur eine dürre Nachricht wert, die sich von Zeitung zu Zeitung kaum unterschied. Die Schlagzeilen lieferten andere Ereignisse, etwa die Folgen des Kapp-Putsches und die internationale Lage.

Vorkämpfer für Groß-Berlin

Groß-Berlin fiel nicht vom Himmel. Um zähe Widerstände zu überwinden, bedurfte es großer Anstrengungen – und großer Persönlichkeiten. Erstaunlich ist, dass entscheidende Protagonisten in Vergessenheit gerieten: Oberbürgermeister Martin Kirschner als großer Förderer von Groß-Berlin und Vorsitzender des Preisgerichts zum städtebaulichen Wettbewerb Groß-Berlin von 1910, Oberbürgermeister Adolf Wermuth, ohne dessen strategisches Geschick Groß-Berlin nicht entstanden wäre, und Oberbürgermeister Gustav Böß, der in den schwierigen 1920er Jahren die Geschicke der Riesenstadt lenkte.

Weithin vergessen:
Oberbürgermeister
Martin Kirschner

Martin Kirschner (Mitte) zu Besuch in London auf dem Weg zum Buckingham Palace, 1910. Rechts von ihm der Zweite Bürgermeister von Berlin, Georg Reicke.
bpk, Nr. 30037621


Als Oberbürgermeister (1899 – 1912) während der stürmischen Wachstumsperiode Berlins setzte sich Martin Kirschner für die Schaffung von Groß-Berlin ein. Auf den Wettbewerb Groß-Berlin 1908 – 1910 nahm er als Vorsitzender des Preisgerichts Einfluss. Doch damals scheiterte Groß-Berlin als Einheitsgemeinde, 1912 konnte nur ein Zweckverband eingerichtet werden.

Weithin vergessen:
Oberbürgermeister
Adolf Wermuth

Adolf Wermuth im Brunnenhof der Staatsbibliothek Unter den Linden anlässlich der Einweihung der Bibliothek, 1914.
Foto Willi Römer, bpk, Nr. 700141738


Als Oberbürgermeister Berlins (1912 – 1920) kämpfte Adolf Wermuth vehement für die Gründung Groß-Berlins als Einheitsgemeinde. Wermuths strategischem Geschick ist es zu verdanken, dass Berlin den Umfang und die zweistufige Verwaltungsorganisation hat, die wir auch heute noch kennen.

Weithin vergessen:
Oberbürgermeister
Gustav Böß

Der grosse freundliche Empfang des ersten Wiener Bürgermeisters Seitz durch den Berliner Oberbürgermeisters Boess im Berliner Rathaus! Der Berliner Oberbürgermeister Boess Arm in Arm mit dem ersten Bürgermeister Wiens Seitz auf dem Balkon des Berliner Rathauses.


Nach der Gründung von Groß-Berlin wurde Gustav Böß, Kommunalpolitiker der Deutschen Demokratischen Partei (DDP) und Kämmerer der Stadt Berlin, 1921 zum Oberbürgermeister gewählt. Er war der entscheidende Steuermann eines kommunalwirtschaftlichen Städtebaus für die Einheitsgemeinde während der Weimarer Republik bis 1929.

Renée Sintenis:
Ein kleines Bärchen für Groß-Berlin

Das neue, große Berlin benötigte auch ein neues Wappentier, das sich vom Bären des alten Berlin unterscheiden sollte. Ein Tier der Weimarer Republik, das auf Distanz zum Kaiserreich ging. Das berühmteste Berliner Bärchen schuf Renée Sintenis 1932: einen kleinen, tolpatschigen Zauselbär, alles andere als Ehrfurcht heischend, aber liebenswert. In einer leicht veränderten Version mit zwei erhobenen Tatzen aus dem Jahr 1956 dient er seit 1960 als Berlinale-Bär.

Foto: Bernd Sinterhauf, Sammlung K. Knauf

So viele Rathäuser überall

Noch heute künden zahllose mehr oder weniger prächtige Rathäuser im gesamten Stadtgebiet davon, dass Groß-Berlin aus dem Zusammenschluss vieler Städte und Gemeinden entstanden ist. Sie waren 1920 meist noch relativ jung, Kinder der Kaiserzeit. So viele Rathäuser finden sich in keiner anderen europäischen Großstadt. Sie zeugen von der überwundenen kommunalen Zersplitterung, aber auch vom Verlust kommunaler Selbstständigkeit.

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Ausstellung Raum 1

In der Spur

Bahn-Verkehrsfrage 

HAUPTBAHNHOF: MOTOR DES STÄDTEBAUS
Bahnhöfe strukturierten den Berliner Großraum bereits, als es Groß-Berlin noch gar nicht gab. Sie waren in der Kaiserzeit die wichtigsten Motoren des Städtebaus. Sie schufen neue Orte in der Großstadt: den Bahnhofsvorplatz, die Bahnhofsstraße, das Viertel hinter dem Bahnhof. Vor 1920 existierte aber noch kein Hauptbahnhof, sondern nur ein Kranz mehrerer Kopfbahnhöfe, die die Innenstadt umgaben. Der neue Hauptbahnhof bündelt heute den Schienenfernverkehr der gesamten Metropole. Seine Inbetriebnahme 2006 beflügelte den Bau eines ganzen neuen Viertels in einem Gebiet, das während der Teilung eine Randlage hatte.
Foto Philipp Meuser, 2020

Groß-Berlin war eine Schöpfung der Eisenbahn. Erst der Schienenschnellverkehr ermöglichte den Bau von Vororten. Die Bildung von Groß-Berlin führte zu einer grundsätzlichen Reform des öffentlichen Verkehrs: 1928 wurde eine einheitliche kommunale Verkehrsgesellschaft geschaffen, die Berliner Verkehrs- AG (BVG). Die Reform betraf nicht nur Busse und U-Bahn, sondern vor allem die Straßenbahn, das wichtigste Verkehrsmittel dieser Zeit. Nach dem Zweiten Weltkrieg wurde das Netz des öffentlichen Schienennahverkehrs weitgehend getrennt, die Straßenbahn wurde im Westen stillgelegt, die U-Bahn in beiden Stadthälften ausgebaut. Zur Umgehung von West-Berlin wurde ein äußerer Eisenbahnring angelegt. Nach der Wiedervereinigung entstand ein neues System der Bahnhöfe, das die Hauptbahnhöfe der geteilten Stadt – Zoologischer Garten und Ostbahnhof – entwertete. Zugleich wurde das Jahrhundertprojekt einer Verbindung von Nord- und Südbahnhof verwirklicht.

Berlin ist der wichtigste europäische Eisenbahnknotenpunkt für den Güter- wie auch für den Reiseverkehr.

Berlin verdankt einen Teil seiner großartigen Entwicklung der Einsicht und Tatkraft der früheren preußischen und jetzigen Reichsbahnverwaltung.

Die Anlagen der Berliner Bahnhöfe und Bahnhofsvorplätze sind veraltet. (Es muss eine) durchgehende Nord-Süd-Fernverbindung (geschaffen werden).

Der Zusammenschluß der städtischen Verkehrsunternehmungen und die Angleichung ihrer Tarife haben sowohl in der Bevölkerung als auch in der Fachwelt größte Anerkennung gefunden. Das Berliner Beispiel wird als Vorbild hingestellt.

Eine der wichtigsten Aufgaben der Berliner Stadtverwaltung ist, das Schnellbahnnetz so schnell wie möglich auszubauen.

Gustav Böß, Oberbürgermeister 1919–1929
Berlin von heute.
Stadtverwaltung und Wirtschaft.
Berlin 1929

Foto Thomas Spier, apollovision

Lagerkörper der Hochbahn

Dreirollen-Lagerkörper aus der Hochbahntrasse am Schlesischen Tor, 2020. Die doppelte Entkopplung von Fahrwegen und Stützkonstruktion schützt die Hochbahntrasse – bis heute – vor Materialermüdung.

Groß-Berlin: Ein Kind der Eisenbahn

Ein weitreichendes Schnellbahnsystem war die Voraussetzung für die Transformation des Zentrums wie für das rasche Wachstum des Großraums Berlin bereits vor dem Ersten Weltkrieg. Die beiden „Bahnhofsstraßen“ (Leipziger und Friedrichstraße), die von wichtigen Bahnhöfen zur Stadtmitte strebten, wurden zu den bedeutendsten Hauptstraßen des Zentrums. Das Schnellbahnsystem ermöglichte auch den rasanten Aufstieg des Zentrums des Neuen Westens am Bahnhof Zoologischer Garten sowie die Ausbreitung der Villenkolonien im Südwesten Berlins und anderswo. Es förderte zudem die weitere Randwanderung der Industrie. Dirigent der schienengesteuerten Ausbreitung Berlins vor allem ab den 1880er Jahren war die Preußische Eisenbahndirektion. Das radiale Schienennetz führte zur Entstehung des sogenannten Siedlungssterns, einer relativ nachhaltigen Grundform der Metropole, die heute noch erfahrbar ist.

Netz der Ringbahn, Stadtbahn und Vorortbahnen

Verband Groß Berlin: Verwaltungsbericht für die Zeit des Bestehens des Verbandes vom 1. April 1912 bis 30. September 1920. Berlin 1920, S. 58

Karte der Vorortbahnen, 1920. Die Bahnen endeten alle außerhalb der Stadtgrenzen von Groß-Berlin. Etwa die Hälfte der Strecken war eingleisig, einige waren zugleich Fernbahnstrecken.

Bahnhöfe der Vorortbahnen

Bahnhof Velten, um 1920. Die Ofenstadt Velten war die Endstation der Tegeler Bahn im Nordwesten der Stadt (siehe Karte der Vorortbahnen, S. 109).
Ansichtskarte, Sammlung Axel Mauruszat

Grafik Aufschließung des Vorortgeländes

Dynamisches Konzept der radialen Stadterweiterung, 1911. Der von Richard Petersen präsentierte Siedlungsstern fasst die wünschenswerte moderne Großstadtentwicklung zusammen: Das Wachstum vollzieht sich entlang der Siedlungsstrahlen, deren tragendes Gerüst die Vorortbahnlinien bilden. Der Wachstumskorridor verdichtet sich jeweils an den Bahnhöfen. Die Dichte der Bebauung ist – ausgehend vom zentralen Kern – abstufend nach außen gestaffelt. Zwischen den Siedlungsstrahlen erstrecken sich Freiräume, die bis zum zentralen Kern reichen. Petersen hatte als Verkehrsplaner zusammen mit Rudolf Eberstadt und Bruno Möhring mit einem Schema der radialen Stadterweiterung den dritten Preis im Wettbewerb Groß-Berlin 1908 – 1910 gewonnen.

Die Verkehrsaufgaben des Verbandes Groß-Berlin. Vortrag gehalten zum Schinkelfest des Architekten-Vereins zu Berlin den 13. März 1911. Berlin 1911, S. 29

Lange Suche nach einem Hauptbahnhof

Das Fehlen eines Hauptbahnhofs wurde schon beim Wettbewerb Groß-Berlin 1908 – 1910 als gravierender Mangel empfunden. Zahlreiche Wettbewerbsvorschläge zielten auf zwei Zentralbahnhöfe, die unterirdisch in Nord-Süd-Richtung miteinander verbunden wurden. Als geeigneter Standort des Nord-Zentralbahnhofs wurde das Gelände des Lehrter Bahnhofs auserkoren, für den Süd-Zentralbahnhof das Gelände des heutigen Technikmuseums. In der Weimarer Republik wurden die Pläne für einen richtigen Hauptbahnhof konkretisiert – wieder im Bereich des alten Lehrter Bahnhofs. Während der NS-Zeit rückten die Planer den nördlichen Zentralbahnhof weiter nach Norden in Richtung Gesundbrunnen. In den Zeiten der Teilung der Stadt verfiel das Gelände des Lehrter Bahnhofs zu einer Randlage – für West- wie Ost-Berlin. Erst 2006 wurde an diesem Standort der neue Hauptbahnhof eröffnet – nach gut 100 Jahren Vorplanung.

Vorschläge des Wettbewerbs Groß-Berlin

Kopfbahnhof der Lehrter Bahn von Südosten, eröffnet 1871, Foto um 1930. Der Lehrter Bahnhof galt seit 1910 als idealer Ort für den zentralen Berliner Nordbahnhof.
Berlin-Mitte-Archiv, Nr. AK-6952

Vorschläge in der Weimarer Republik

Planung eines neuen zentralen Bereichs mit Hochhaus am Lehrter Bahnhof, Bruno Möhring, 1921.
Bruno Möhring: Über die Vorzüge der Turmhäuser. Vortrag in der Preußischen Akademie des Bauwesens am 22.12.1920. Berlin 1921, S. 5, Abb. 4

Planung von zwei neuen Großbahnhöfen in der NS-Zeit

Albert Speer: Zweiter Entwurf des Südbahnhofs, 1940. Nord- wie Südbahnhof waren Teil der Planungen des Generalbauinspektors für die Reichshauptstadt, einer zentralen staatlichen Behörde, die von Albert Speer geleitet wurde.
Fotobestand Wolfgang Schäche, Berlin

Hauptbahnhöfe in der geteilten Stadt: Ost-Berlin

Ost-Berlin: Hauptbahnhof in Friedrichshain, Ende der 1980er Jahre. Heute heißt der Bahnhof wieder so wie früher (1950 – 1987): Ostbahnhof (bis 1950 Schlesischer Bahnhof).
IRS (Erkner) / Wiss. Samml., Nr. D1_1_3_2A-005

Hauptbahnhöfe in der geteilten Stadt: West-Berlin

West-Berlin: Bahnhof Zoologischer Garten, Mai 1970.
Foto Willy Pragher, LA BW, StA Freiburg, W 134 Nr. 92231

Der neue Hauptbahnhof

Hauptbahnhof von Süden mit dem neuen Bürowürfel von 3XN Architects am Washingtonplatz, 2020.
Foto Thomas Spier, apollovision

BVG: Ein Kind von Gross-Berlin

Eine einheitliche Verkehrsgesellschaft mit einem einheitlichen Fahrpreissystem erscheint heute als selbstverständlich, ist es aber nicht. Erst in den Jahren Groß-Berlins konnte die Konkurrenz vieler privater und öffentlicher Verkehrsgesellschaften überwunden werden. Die Krönung dieses Prozesses bildeten die Einführung eines Einheitstarifs von 20 Pfennig mit Umsteigberechtigung 1927 und die Gründung der kommunal geführten Berliner Verkehrs-Aktiengesellschaft (BVG) im Jahr 1928 – des größten Verkehrsbetriebs der Welt. Einer der Protagonisten dieser Entwicklung war Verkehrsstadtrat Ernst Reuter.

Netz der Straßenbahn und
U-Bahn

„Weltstadtverkehr“ auf und unter dem Alexanderplatz, Richard Matz, 1930. Schnitt durch alle Verkehrsebenen. Der Alexanderplatz gehörte zu den bedeutendsten Verkehrsknoten von Groß-Berlin und war die wichtigste Bühne für radikale Experimente im Zentrum während der Weimarer Republik. Seine Umgestaltung blieb aber auf halbem Wege stecken.
Berlin, Berlin. Die Ausstellung zur Geschichte der Stadt. Berlin 1987, S. 474 / 475

In Groß-Berlin wurde das Schienennetz weiter ausgebaut. Der Anteil der Straßenbahn am öffentlichen Gesamtverkehr betrug 1928 50 Prozent, der Anteil der Hoch- und Untergrundbahn 15 Prozent. Nach 1945 galt die Straßenbahn in West-Berlin als veraltet und wurde abgeschafft.

BVG-Betriebswohnanlagen

Betriebshof Knobelsdorffstraße in Charlottenburg, Jean Krämer und Otto Rudolf Salvisberg, um 1930. Ab 1968 wurde die Anlage der BVG als Busbetriebshof und Getreidelager genutzt, heute ist sie ein Standort des Fahrradhandels.
40 Jahre Berlinische Boden-Gesellschaft. Berlin 1930, nach S. 132

Eine besondere Schöpfung Groß-Berlins waren Betriebsstraßenbahnhöfe kombiniert mit Wohnbauten für Straßenbahnangestellte, die durch eine eigene Wohnungsbaugesellschaft, die Gemeinnützige Heimstättenbau-Gesellschaft, errichtet wurden. Ein herausragender, wenngleich heute weithin vergessener Architekt dieser Anlagen war Jean Krämer.

Nach 1990: Renaissance der Schiene

Nach der Wiedervereinigung Deutschlands wurde auch das Eisenbahnsystem in Berlin neu geordnet. In atemberaubend kurzer Zeit wurde eine neue Struktur entwickelt, abgestimmt, entschieden und umgesetzt. Strukturierend für Berlin ist seither das 1992 durch das Bundesverkehrsministerium bestätigte „Pilzkonzept“, das zwei Jahrhundertträume Wirklichkeit werden lässt: die Bestimmung eines Hauptbahnhofs, und zwar dort, wo er auch schon vor 100 Jahren angedacht war, und die unterirdische Fernbahnverbindung in Nord-Süd-Richtung, die einen weiteren wichtigen neuen Großbahnhof mit sich brachte, den Bahnhof Südkreuz. Mit etwas Verzögerung wird auch am Ausbau des Straßenbahnsystems gearbeitet, vor allem an der Wiedereinführung der Straßenbahn im Westteil der Stadt. Doch damit nicht genug: Die wachsende Metropole erfordert – vor dem Hintergrund der notwendigen Verkehrswende – einen raschen Ausbau des Vorort- und Regionalverkehrs. Hierfür liegen mit dem Verkehrsprojekt i2030 erste Pläne vor.

Atemberaubend schnell:
Der Eisenbahnpilz

Das Pilzmodell oder Pilzkonzept vereinigt Achsen- und Ringelemente. Es wurde 1992 beschlossen, 1995 genehmigt und 2006 mit dem Hauptbahnhof großteils in Betrieb genommen.
Deutsche Bahn AG

Nach der Wiedervereinigung war es keineswegs klar, wie das vereinigte Eisenbahnsystem neu geordnet werden sollte. Vor allem das Pilzmodell und das Ringmodell waren im Gespräch.

Am Anfang fast übersehen:
neuer Bahnhof Südkreuz

Luftbild des Bahnhofs Südkreuz von Südosten, 2012.
Foto Philipp Meuser

Der Bahnhof Südkreuz wuchs fast unbemerkt in versteckter Lage heran. Auch die städtebaulichen Entwicklungschancen, die so ein bedeutender Bahnhof eröffnet, wurden lange Zeit übersehen.

Äußerer Eisenbahnring: ein vergessener Schatz?

Propaganda-Wagen: „Berliner Außenring – größter Streckenneubau seit 1945“. Demonstration zum 30. November 1958 durch das zerstörte Ost-Berlin.
Foto Schubert, Historische Sammlung DBAG

Für Ost-Berliner bekannt, für West-Berliner eher nicht: Der äußere Eisenbahnring verbindet die Radialstrecken des Vorortverkehrs. Nach der Vereinigung wurde er zunächst zurückgefahren. Seine Potenziale sind erst noch zu entdecken.

Hauptbahnhof Potsdam (ehem. Pirschheide) Bahnsteige und das frühere Gleisbildstellwerk, 2020. Der ehemalige Hauptbahnhof gehörte in der DDR-Zeit zu den wichtigsten Stationen des äußeren Eisenbahnrings. Nach der Wiedervereinigung verlor er – im Zuge des Bedeutungsverlustes des Rings – sein Gewicht.
Foto Harald Bodenschatz

Straßenbahnausbau

„Straßenbahn für ganz Berlin. Liniennetz Straßenbahn und Bus im Jahr 2038“. Der im Jahr 2000 präsentierte Vorschlag entstand in Zusammenarbeit mit der „Arbeitsgemeinschaft Straßenbahn“, einem Zusammenschluss zivilgesellschaftlicher Initiativen.
Holger Orb / Tilo Schütz: Straßenbahn für ganz Berlin. Berlin 2000, Beilage

Die Renaissance der Straßenbahn ist unübersehbar. Heute wird nicht nur die Rückkehr der Straßenbahn in den Westteil der Stadt forciert, sondern generell ein massiver Ausbau geplant. Allerdings bleibt weiter zu klären, wie die Straßenbahn etwa im Zentrum stadtverträglich in den öffentlichen Raum integriert werden kann.

Große Pläne: i2030

Gesamtplan i2030, 2019. Das Projekt i2030 fördert einen raschen und großzügigen Ausbau des Vorort- und Regionalverkehrs. Es ist ein gemeinsames Projekt von Deutscher Bahn und Verkehrsverbund Berlin.
Projekt i2030

Im Projekt i2030 planen die Länder Berlin und Brandenburg gemeinsam mit der Deutschen Bahn und dem VBB in mehreren Teilprojekten, wie sich die Infrastruktur in den kommenden Jahren an die gestiegenen Anforderungen anpassen muss. Für die weitere Zukunft wird zu prüfen sein, ob der äußere Eisenbahnring – eine Schöpfung der DDR, um West-Berlin umfahren zu können – auch künftig eine wichtige Rolle spielen kann.

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Ausstellung Raum 2

Aus der Spur

Auto-Verkehrsfrage

TAKTLOSIGKEIT DES AUTOS: BUNDESALLEE
Bundesplatz und Bundesallee, früher Kaiserplatz und Kaiserallee – der einzigartige Name verpflichtet. National und international. Hauptstraßen repräsentieren mit ihren Plätzen die Großstädte jenseits ihrer Zentren, sie geben jeder Großstadt ihre besondere Form. Die Verkehrsplaner verwandelten während der 1960er Jahre modellhaft den alten Quartiersmittelpunkt Kaiserplatz in einen Autoverkehrsknoten mit trennendem Tunnel und die alte Kaiserallee in eine autobahnähnliche Transitstrecke. Dazu kam eine querende Stadtautobahn. So entstand ein gebautes Manifest der autogerechten Stadt. Als Folge der damit verbundenen Unfallgefahren, des Lärms und der Luftverschmutzung verlor der öffentliche Raum viele Funktionen und seine Schönheit. Heute eröffnet sich die historische Chance, die Attraktivität der Hauptstraßen und Plätze wieder zurückzugewinnen – mit großem Engagement der Bürger vor Ort.
Foto Philipp Meuser, 2020

Groß-Berlin war zuerst eine Schienenmetropole, dann mehr und mehr eine Autometropole. Erste planerische Grundlagen dafür wurden 1910 im Wettbewerb Groß-Berlin angedacht und in der Weimarer Republik geschaffen. Sie wurden in der NS-Zeit weiterentwickelt und fanden in der Planung und dem teilweisen Bau des äußeren Autobahnrings einen ersten Höhepunkt. Nach dem Zweiten Weltkrieg wurde der autogerechte Ausbau in Ostwie West-Berlin extrem forciert. Wesentliche städtebauliche Folge dieser Entwicklung war – neben dem Bau eines inneren Autobahnteilrings in West- Berlin – die Transformation der großen Ausfallstraßen. Verlierer des kostenträchtigen Stadtumbaus waren das Großstadtgrün, die Fußwege und damit die Fußgänger, aber auch Straßenbahnen und Radfahrer. Aus Stadtstraßen und Stadtplätzen wurden Autotrassen und Verkehrsknoten.

Die kräftige Entwicklung der deutschen Autoindustrie zeigt, daß wir auf dem Wege zu amerikanischen Verhältnissen sind. Der Kauf eines Autos wird in der Zukunft nicht mehr als Luxus gelten. Er ist es im Grunde schon heute nicht. Wir müssen dahin kommen, daß er auch dem Mittelstand und dem Arbeiterstand möglich ist.

Berlin braucht in der Innenstadt neue Ringstraßen und nach außen neue Ausfallstraßen. Der zunehmenden Motorisierung des Verkehrs muß durch besondere Autostraßen Rechnung getragen werden, wie es in anderen Weltstädten, z. B. New York, London und Paris bereits geschehen ist. Berlin braucht nicht nur breite Straßen, sondern auch organisch gestaltete Plätze, durch die der Weltstadtverkehr schnell, sicher und bequem durchgeschleust werden kann.

Der Ausbau des Berliner Verkehrsstraßennetzes ist aus volkswirtschaftlichen Gründen unbedingt erforderlich. Je mehr der Verkehr gesteigert wird, desto stärker wird das Geschäftsleben befruchtet. […] Man darf nicht vor einem Niederreißen und Zerstören zurückschrecken, mag auch das Bestehende gefühlsmäßig wertvoll sein.

Gustav Böß, Oberbürgermeister 1919–1929
Berlin von heute.
Stadtverwaltung und Wirtschaft.
Berlin 1929

Vorfahrt für das Automobil!

Die Faszination für das Auto begann sehr früh. Bereits im Wettbewerb Groß-Berlin schlug Hermann Jansen, Preisträger an erster Stelle, regelrechte Autoradialstraßen vor, damit sich das Automobil, so seine Worte, besser „austoben“ kann. Im Jahr 1913 begannen die Vorbereitungen für den Bau der ersten ausschließlich Autos vorbehaltenen Schnellstraße der Welt, der fast genau ein Jahr nach der Bildung von Groß-Berlin eröffneten AVUS, eines 19 Kilometer langen, kostenpflichtigen Rundkurses für schnelles Fahren. Während in der späten Weimarer Republik die autogerechte Stadt vorbereitet wurde, nahm sie in der NS-Zeit mit dem partiellen Bau des Berliner Autobahnrings erste Formen an. Nach dem Zweiten Weltkrieg begann dann der Siegeszug der autogerechten Stadt – in West- wie in Ost-Berlin. In beiden Teilstädten zunächst ohne besonders großen Autoverkehr.

Um 1910: das Auto im Wettbewerb Groß-Berlin

AM TUB, Nr. 20544

Eine erste autogerechte Planung für Groß-Berlin: Hermann Jansen, einer der Preisträger des Wettbewerbs Groß-Berlin, sah fünf kreuzungsfreie Hauptausfallstraßen vor, 1910.

Automobil-Verkehrs- und Übungsstraße (AVUS)

Rudolf Caracciola im Silberpfeil in der unfallträchtigen neuen Steilkurve mit dem ebenfalls neuen Mercedeshaus im Hintergrund, 1937. Zugleich Werbebild der Initiative AVUS 100 für das 100-Jahres-Jubiläum der Straße 2021.
Foto Heinrich Hoffmann, akg / Imagno, Nr. 1047784

Die Automobil-Verkehrs- und Übungsstraße, kurz AVUS genannt, war weltberühmt – durch Autorennen, Geschwindigkeitsrekorde, aber auch durch tödliche Unfälle. Im Jahr 1940 wurde die Privatstraße zu einer öffentlichen Zubringerstraße zum äußeren Autobahnring.

Bau des äußeren Autobahnrings in der NS-Zeit

Originalunterschrift, 1936: „Torbauwerk vor der Einführung der Strecke Berlin – Stettin in den Berliner Ring vor Freigabe der östlichen Fahrbahn. Blick Richtung Bernau.“ Der Architekt der Brücke war Friedrich Tamms.
Generalinspektor für das deutsche Straßenwesen (Hg.): Drei Jahre Arbeit an den Straßen Adolf Hitlers. Berlin 1936, S. 25

Der äußere Autobahnring gehört zu den einschneidendsten Hinterlassenschaften des nationalsozialistischen Städtebaus. Sein Bau verdeutlichte für alle sichtbar den Start in die Ära der autogerechten Stadt.

Bau des inneren Autobahn(teil)rings ab den 1950er Jahren

Schnellstraßen-Planung für den Großraum Berlin, Stand 1957. Das Zentrum sollte durch Tangenten eingefasst werden, der innere Autobahnring sollte zumeist die Ringbahntrasse begleiten.
Der Senator für Bau- und Wohnungswesen (Hg.): Verkehrsplanung. Verkehrsbauten. Berlin 1957, S. 15

In Ost- wie West-Berlin wurde in den 1950er Jahren intensiv an der Planung eines Autobahnnetzes für die Innenstadt gearbeitet. Realisiert wurde ein Teilring auf West-Berliner Gebiet.

Un-Plätze der Bundesstraße 1

Die Bundesstraße 1, ehemals Reichsstraße 1, ist eine der bedeutendsten überregionalen Straßen Deutschlands, die früher Königsberg mit Aachen verknüpfte. Nach der Schaffung von Groß-Berlin war sie die bedeutendste Straße der Großstadt: Sie verband die beiden ehemaligen Residenzen der Hohenzollern in Berlin-Mitte und Potsdam, verlief in der Stadtmitte entlang der wichtigsten Geschäftsstraßen und durchquerte eine ausgedehnte herrschaftliche Wohnlandschaft im Südwesten. Der autogerechte Ausbau der Metropole hat diesen berühmten Straßenzug zwar weitgehend als urbane Radialstraße erhalten, an einigen Stellen aber erheblich beschädigt. Zu den Störungen gehören neben der Stadtwüste am Molkenmarkt die nicht minder abschreckende Wüste am Innsbrucker Platz und die namenlose Platzfläche vor dem Parkhaus des Steglitzer Kreisels.

„Molkenmarkt“

Blick auf den Molkenmarkt vom Rathausturm, 2013. Die Abbrüche vor und nach dem Krieg haben zusammen mit den Kriegszerstörungen den Weg für diese konturlose Riesenfläche bereitet, die ausschließlich dem Auto dient.
Foto Philipp Meuser, BMA, Meuser 2013, Nr. 52

Molkenmarkt? Welcher Berliner weiß, dass damit der Mittelpunkt des ältesten Teils Berlins gemeint ist? Heute erstreckt sich dort eine riesige Stadtwüste, die ausschließlich dem Auto huldigt: mit vielspurigen Fahrbahnen und Parkplätzen. Diese Fläche gehört zur Negativbilanz von Groß-Berlin.

Innsbrucker „Platz“

Innsbrucker Platz von Süden, 2017. Blick in die Hauptstraße (Bundesstraße 1). Unter dem „Platz“ verkehrt der Tunnel der Stadtautobahn.
akg / euroluftbild.de, Nr. 5236335

Der Innsbrucker Platz, ursprünglich ein Stadtplatz, ist seit den 1970er Jahren ein ausufernder, durch das Auto beherrschter Verkehrsknoten, an dem sich Ringbahn, U-Bahn und Stadtautobahn kreuzen. Dazu kommen einige Straßen, darunter die Bundesstraße 1, die hier aber jeden Halt verliert.

„Platz” im Süden des Steglitzer Kreisels

Blick aus dem Hochhaus nach Süden auf den namenlosen „Platz“, der vor allem zur Verteilung des Verkehrs am Ende der Autobahn Westtangente dient, 2020. Rechts das 1808 nach Entwurf von David Gilly und Heinrich Gentz fertiggestellte Gutshaus Steglitz, ursprünglich Teil der Dorfanlage.
Foto Thomas Spier, apollovision

Kaum bekannt ist, dass dort, wo sich jetzt das Hochhaus des Steglitzer Kreisels erhebt, noch bis in die 1960er Jahre das Dorf Steglitz stand. Südlich des Hochhauses, vor dem Parkhaus, erstreckt sich seither eine riesige namenlose Fläche, die der Verteilung des Autoverkehrs dient, den vor allem die Autobahn Westtangente bringt.

Blick vom Autoverkehrsknoten auf den Steglitzer Kreisel, der gerade zu einem Wohnhochhaus umgebaut wird, 2020. Links die Schloßstraße, rechts die Westtangente.
Foto Thomas Spier, apollovision

Mühsame Suche nach Straßen und Plätzen von morgen

Der Rückbau der autogerechten Stadt ist ein unausweichlicher Schritt in Richtung nachhaltige Metropole. Einigkeit besteht darüber, dass der öffentliche Personenverkehr ausgebaut werden soll. Dass der private Autoverkehr in der überkommenen Form in einer Großstadt eingeschränkt werden muss, ist auch unbestritten. Das neue Berliner Mobilitätsgesetz stärkt Fahrradfahrer und Fußgänger, jedenfalls im Grundsatz. Der Spielraum der Berliner Politik ist aber begrenzt und muss immer Brandenburg mitberücksichtigen. Offen bleibt die Frage: Wie sollen die Straßen und Plätze der Zukunft konkret aussehen, wie soll dort eine neue Balance der Verkehrsteilnehmer erreicht werden? Die Verkehrswende erfordert viele neue Ideen, viel Überzeugungsarbeit, viel Kraft bei der Umsetzung, über Verkündungen und Gesetze hinaus. Sie findet in einer noch nicht erkennbaren neuen, nachhaltigen Form der Hauptstraßen ihre Krönung.

Simulation der Senatsverwaltung für Umwelt, Verkehr und Klimaschutz: Mittelstreifen der Karl-Marx-Allee (Bundesstraße 1) zwischen Alexander- und Strausberger Platz ohne Parkplätze, aber mit Grünstreifen, 2020.
Simulation SenUVK / eveimages
Vorschlag für den Alfred-Scholz-Platz: ein kleiner, fußgängerfreundlicher Stadtplatz an der Karl-Marx-Straße in Neukölln, entworfen 2010, realisiert 2014.
el:ch landschaftsarchitekten München / Anne Rohde
Auf der schwierigen Suche nach der Gestaltung der Hauptstraße der Zukunft: ein real existierender grüner, massiv abgepollerter Fahrradstreifen an der viel befahrenen Hasenheide, 2020.
Foto Thomas Spier, apollovision
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Ausstellung Raum 3

Mitten allerorten

Zentrenfrage

KULTURNABEL DER METROPOLE: HUMBOLDT FORUM
Das Humboldt Forum mit seinen rekonstruierten Schlossfassaden bündelt Groß-Berliner Geschichte wie in einem Brennglas. Das einstige Schloss, die Residenz der Hohenzollern, Mittelpunkt des alten Berlins, hatte in der Novemberrevolution seine Funktion verloren. In der Weimarer Republik diente es als Museum. Für die Nationalsozialisten spielte das Schloss keine herausgehobene Rolle. Im Krieg wurde es teilzerstört und 1950 auf Befehl der neuen Machthaber in Ost-Berlin abgerissen. An seiner Stelle entstand zwei Jahrzehnte später der bedeutendste Regierungsbau der DDR: der Palast der Republik, ein offenes Haus, soweit das in einer Diktatur möglich war. Nach der Wiedervereinigung der Stadt war unklar, was an diesem Standort geschehen soll. Nach vielen Jahren des gesellschaftlichen Streits beschloss der Deutsche Bundestag den Bau des Humboldt Forums. Der Palast der Republik wurde abgerissen. Im Herbst2020, 100 Jahre nach der Geburt von Groß-Berlin, ist die etappenweise Eröffnung des Humboldt Forums vorgesehen – wie in den 1920er Jahren als Kulturbau, jetzt aber mit höherem Anspruch. Damit ändern sich die Verhältnisse in der historischen Mitte grundlegend: Es festigt sich – nahe dem alles beherrschenden Fernsehturm und anschließend an die Museumsinsel – der Kulturnabel der Metropole.

Museumsinsel und Humboldt Forum von Süden, 2020.
Foto Philipp Meuser

Nach der Gründung von Groß-Berlin veränderte sich das System der Zentren grundlegend: Neben dem unbestrittenen Hauptzentrum zwischen Alexanderplatz und Reichstag gewann das aufstrebende Zentrum des Neuen Westens um die Kaiser-Wilhelm- Gedächtnis-Kirche an Bedeutung. Nach 1933 plante die nationalsozialistische Diktatur ein völlig neues Hauptzentrum westlich der Stadtmitte. Und im Zuge der Spaltung Berlins wurden zwei rivalisierende Hauptzentren ausgebaut: um den Alexanderplatz und um den Breitscheidplatz. Im Großraum Berlin gab es seit dem Ende des 19. Jahrhunderts aber auch außerordentlich viele mittlere, kleine und kleinste Zentren, zum Teil von hoher städtebaulicher Qualität. Etwa die Zentren von Lichterfelde West, Frohnau und Weißensee. Dazu kamen später weitere markante Zentren wie etwa am Hermannplatz, Fehrbelliner Platz und in Marzahn. Wie kaum eine andere Metropole Europas besitzt Berlin eine Vielfalt an Zentren.

Der Entwicklungszug im Stadtinnern geht […] von Osten nach Westen. Die Hauptgeschäftsgebiete, die ursprünglich nur die Altstadt rechts der Spree umfaßten, haben sich über die Linden, die Friedrichstraße, Leipziger Straße und Wilhelmstraße auf den Potsdamer Platz und seine Umgebung ausgedehnt. Diese Entwicklung wird weitergehen. Die Gegend am Zoologischen Garten wird ein – wenn auch besonders gearteter – Teil der City werden.

Zwei Hauptverkehrsstraßenknotenpunkte heben sich aus dem Berliner Stadtgebiet besonders heraus, der Alexanderplatz, das Zentrum des Ostens, und der Auguste-Viktoria-Platz, das Zentrum des Westens.

Turmhäuser sollen nur ausnahmsweise und für besonders bedeutsame Stellen der Stadt als Sichtpunkte und Wahrzeichen zugelassen werden.

Gustav Böß, Oberbürgermeister 1919–1929
Berlin von heute.
Stadtverwaltung und Wirtschaft.
Berlin 1929

“Altes und neues Berlin”

Mittelteil der Großbronze „Altes und neues Berlin“ mit Marienkirche, Fernsehturm und Alexanderplatz, Evelyn Hartnick-Geismeier, 1978. Ehemals am Berolinahaus befestigt, jetzt magaziniert.

Foto Thomas Spier, Erben Hartnick-Geismeier, LDA Berlin

Abstieg der Altstadt, Aufstieg des Neuen Westens

Während der Weimarer Republik veränderte sich die historische Mitte nur wenig: Neubauten waren selten, der Citybereich westlich des Schlosses hielt sich, die Altstadt östlich des Schlosses blieb aus der Sicht der Verantwortlichen ein Problem: Dort fanden sich enge Gassen, kleine Häuser und arme Einwohner – Verhältnisse also, die einer Weltstadt unwürdig schienen. Dagegen stieg ein Neuling unter den Zentren des Neuen Berlin auf, obwohl sich baulich dort auch nicht viel veränderte: das Zentrum des Neuen Westens. Dies alarmierte Unternehmer, Politiker und Stadtplaner: Durch einen Durchbruch breiter Straßen mit flächenhafter Kahlschlagsanierung sollte der weitere Abstieg der Altstadt gebremst werden. Die Neuordnung der Altstadt war das wichtigste Zentrumsprojekt von Groß-Berlin. Sie scheiterte jedoch, jedenfalls in der Weimarer Republik.

Glänzender Neuer Westen

Plakat des Zentrums des Neuen Westens, um 1929. Vorgeführt wird alte Architektur mit neuer Lichtreklame und überbordendem Autoverkehr.
Grafik Jupp Wiertz, bpk / Kunstbibliothek, Nr. 96756

Der Neue Westen war ein Gewinner- Standort von Groß-Berlin: Um die neoromanische Kaiser-Wilhelm- Gedächtnis-Kirche konsolidierte sich ein elegantes Laden- und Vergnügungsgebiet, das weiterhin auch ein – wenngleich teures – Wohngebiet blieb.

Stagnierende Altstadt

Panorama des von historischer Bebauung freigeräumten Spreeufers mit den stolzen Türmen der Altstadt, um 1936. Die Sanierung des Rolandufers wurde von der sogenannten Fischerinsel aus im Bild festgehalten. Anstelle des Polizeipräsidiums, der Stadtvogtei und des Krögels entstand die Reichsmünze.
Foto illus / Zentralbild, Bundesarchiv, Bild 183-R97900

Die Altstadt, so die zeitgenössische Wahrnehmung, befand sich im Niedergang. Die Antwort darauf war das größte Zentrumsprojekt Groß- Berlins: die radikale Neuordnung der südlichen Altstadt. Der Umbau des Alexanderplatzes war Teil und Höhepunkt dieses Projekts.

Neue Zentren für Hitler und Stalin

Den nationalsozialistischen Machthabern erschien die historische Mitte zu armselig. Daher wurde eine neue Mitte geplant, außerhalb der alten Mitte. Diese Entscheidung ist bemerkenswert: Mussolini und Stalin ließen in den 1930er Jahren ihr neues Zentrum für Rom und Moskau innerhalb des alten Zentrums entwerfen. Alle drei Diktaturen planten aber einen dominanten Bau für ihr neues Zentrum, als städtebaulichen Taktstock der Hauptstadt, ja der gesamten Nation. Keines dieser Gebäude wurde realisiert. Nach dem Krieg sollte in Ost-Berlin in Anlehnung an die Moskauer Planung der 1930er Jahre ein sozialistisches Zentrum entstehen, ohne Schloss, aber mit einer weitgehenden Rekonstruktion der absolutistischen Bauten an der östlichen Allee Unter den Linden, vor allem aber mit einem alles beherrschenden Hochhaus für Partei- und Staatsorgane in der Altstadt. Auch dieser Bau wurde nicht verwirklicht.

Ein neues Zentrum im Westen der
historischen Stadtmitte

Neues Berliner Rathaus am Großen Becken nördlich der Großen Halle, o. J., Entwurf German Bestelmeyer und Richard Ermisch.
Schusev State Museum of Architecture, Moskau

Das künftige Zentrum der Reichshauptstadt musste monumental und völlig neu sein. Es war als Kernstück der Nord-Süd-Achse geplant, die sich westlich der historischen Mitte zwischen einem Nord- und einem Südbahnhof erstrecken sollte.

Ein neues Zentrum in der historischen Stadtmitte

Popularisierung des geplanten Zentralen Hochhauses auf dem Marx- Engels-Platz, Titelbild der Zeitschrift „Jugend und Technik“, 1954.
Zeichnung L. Grimmer, Sammlung Harald Bodenschatz

Nach der Spaltung Berlins rückte die historische Mitte an den Stadtrand des sowjetischen Sektors. Dennoch wurde sie als Zentrum auch einer sozialistischen Metropole bestätigt – betont durch ein Zentrales Hochhaus wie in Moskau geplant und in Warschau realisiert.

Zentrumsumbau im Kalten Krieg

Die sich bald nach Kriegsende abzeichnende und durch den Bau der Mauer betonierte Spaltung von Berlin führte zur Bildung von zwei Großstadtzentren, die sich in zwei zentralen Plätzen bündelten: im Alexanderplatz, dem Zentrum des Ostens, und im Breitscheidplatz, dem Zentrum des Westens. Beide waren Schaufenster ihrer Teilstädte, ihrer Systeme. In beiden Fällen war die Gestalt der Plätze zunächst noch nicht ganz klar, außer in einem Punkt: Sie sollte sich jeweils von der Gestalt vor dem Krieg radikal unterscheiden. Beide Plätze sind bedeutende Zeugnisse der autogerechten Stadt – Planungen fast aus einem Guss.

Alexanderplatz: Zentrum von Berlin, Hauptstadt der DDR

Neuer, autogerechter Alexanderplatz von Nordosten, um 1980.
IRS (Erkner) / Wiss. Samml., Nr. D1_1_1_18-F008

Der Alexanderplatz hatte sich durch den Umbau in der Weimarer Republik stark verändert. Nach den Zerstörungen des Zweiten Weltkriegs erhielt er wiederum eine neue Gestalt, die aber die beiden von Peter Behrens 1929 entworfenen Neubauten Alexanderhaus und Berolinahaus integrierte.

Breitscheidplatz: Zentrum von Berlin (West)

Panorama des autogerechten Breitscheidplatzes nach dem Neuaufbau, 1960er Jahre. Ursprünglich sollte die Ruine der Kaiser-Wilhelm- Gedächtnis-Kirche nicht erhalten bleiben, erst heftige Bürgerproteste führten zur Einbindung der Ruine in das bauliche Konzept des Architekten Egon Eiermann.
Foto Horst Siegmann, Landesarchiv Berlin, F Rep. 290, Nr. 115194

Das Zentrum des Neuen Westens, nun zum Zentrum West-Berlins aufgestiegen, erhielt ebenfalls eine völlig neue Gestalt. An das alte Romanische Forum erinnert neben dem Kaisereck nur noch die Ruine der Kaiser-Wilhelm-Gedächtnis-Kirche.

Zwei zentrale Plätze im Strudel der Wende

Unmittelbar nach der Wiedervereinigung Berlins rückte der Alexanderplatz ins Scheinwerferlicht, der Breitscheidplatz in den Schatten der Aufmerksamkeit. Für beide Plätze wurden Hochhausgruppen geplant, die sich über die vorhandene Bebauung hinwegsetzten, aber nur sehr zögerlich realisiert wurden. Beide Plätze leben weiterhin von ihren wichtigen Bahnhöfen, in deren Nachbarschaft sich ausgedehnte Freiräume befinden, über deren Gestaltung seit den 1990er Jahren gerungen wird.

Alexanderplatz:
Zentrum des Ostens

Wettbewerb Alexanderplatz: der siegreiche Entwurf von Hans Kollhoff, 1993.
Büro Hans Kollhoff

Nach dem Umbau gegen Ende der Weimarer Republik und dem Neubau in der DDR-Zeit wurde nach der Wiedervereinigung eine dritte, wiederum völlig neue bauliche Vision des Alexanderplatzes beschlossen.

Alexanderplatz von Osten, 2020. Für die 1993 geplanten, von Anfang an umstrittenen Hochhäuser fehlen die Investoren – bis heute.
Foto Thomas Spier, apollovision

Breitscheidplatz:
Zentrum des Westens

Der neue Breitscheidplatz mit Hochhäusern, 2020.
Foto Thomas Spier, apollovision

Nach dem Bau des Romanischen Forums in der Kaiserzeit und dem Neubau des West-Berliner Zentrums in den 1950er Jahren erhält die sogenannte City West derzeit eine dritte städtebauliche Form. Hier werden nun Hochhäuser gebaut, auf die am Alexanderplatz immer noch gewartet wird.

Seit der Kaiserzeit: Vielfalt an Zentren

Groß-Berlin war bis 1920 keine einheitliche Stadt, sondern eine Ansammlung von vielen Städten und Gemeinden. Jede dieser Kommunen hatte ihr eigenes Zentrum mitgebracht, einige sogar mehrere. Dieses Erbe ist heute unbezahlbar, eröffnet es doch die Chance für eine gewisse Dezentralisierung und damit eine nachhaltige Entwicklung. Nach 1920 wurde dieser Reichtum an Zentren weiter vermehrt – nicht immer mit langfristigem Erfolg. Einige dieser Zentren können internationale Aufmerksamkeit beanspruchen, finden aber in Berlin nicht die gebührende Wertschätzung.

Zentrum Lichterfelde West:
Urmodell eines suburbanen Zentrums

Der Platz vor dem Bahnhof Lichterfelde West ist vielleicht das erste planmäßig angelegte suburbane Nahversorgungszentrum dieser Art überhaupt, älter als das weit berühmtere Zentrum in Lake Forest nördlich von Chicago. Er funktioniert noch heute und erweist sich in Zeiten des Abschieds von der autogerechten Stadt als zukunftsweisend.

Ansichtskarte des in den 1890er Jahren angelegten Bahnhofsvorplatzes Lichterfelde West aus der Kaiserzeit. Der Platz war eine großartige Erfindung: Er empfing die Menschen, die aus dem Bahnhof traten, und bot ihnen in einem attraktiven öffentlichen Raum Einkaufs- und Dienstleistungsmöglichkeiten, etwa im „West-Bazar“. Im oberen Geschoss der den Platz fassenden, nach englischem Vorbild gestalteten Reihenhäuser gab es auch Wohnräume.
Ansichtskarte, Udo Christoffel (Hg.): Berlin in Bildpostkarten. Berlin 1987, S. 398
Bahnhofsvorplatz Lichterfelde West, 2020.
Foto Thomas Spier, apollovision

Gartenstadt Frohnau:
Gartenstadt-Mustermitte

Groß-Berlin besitzt einige suburbane Zentren an Vorortbahnhöfen von Rang. Neben dem Bahnhofsvorplatz von Lichterfelde West und dem Mexikoplatz zählt auch der Doppelplatz in Frohnau dazu, der hinsichtlich städtebaulicher Qualität zu den bedeutendsten suburbanen Zentren gerechnet werden muss.

Blick auf den westlichen der beiden halbrunden, durch den Gartenarchitekten Ludwig Lesser gestalteten Bahnhofsvorplätze der 1910 eingeweihten „Gartenstadt“ Frohnau, 1911.
Die Gartenstadt Frohnau in alten Fotografien. Berlin 1981
Westlicher Bahnhofsvorplatz (Ludolfingerplatz) in Frohnau, 2020. Die Bebauung des durch einen Turm markierten Vorortzentrums ist seit seiner Gründung schrittweise erfolgt, wirkt aber dennoch sehr einheitlich und prägt den öffentlichen Begegnungsraum bis heute.
Foto Thomas Spier, apollovision

Kommunales Forum Weißensee:
Ein kleiner See als Ortsmitte

Noch weniger bekannt ist ein weiterer Höhepunkt des Vorort- Zentrumsbaus im Großraum Berlin: das um 1910 um ein kleines Gewässer (Kreuzpfuhl) angelegte Kommunale Forum in Weißensee, das – allerdings letztlich vergebens – den Anspruch auf Stadtwerdung des Vorortes unterstreichen sollte.

Blick über den Kreuzpfuhl zur Oberrealschule, 2014.
Foto Harald Bodenschatz

Hermannplatz:
„Zentrum des Südens“ (Karstadt)

Auch in der dicht bebauten Hobrecht- Stadt entstanden auffällige neue Quartierzentren, so der Hermannplatz mit dem gewaltigen, von Philipp Schaefer entworfenen und 1927 bis 1929 errichteten Karstadt- Gebäude, einem in seiner Zeit international beachteten Warenhausbau.

Karstadt-Neubau, um 1930.
SIGNA Prime Selection AG
Hermannplatz mit dem seit seinem Teil-Wiederaufbau nach Kriegszerstörung weit weniger imposanten Karstadt-Gebäude, 2020.
Foto Thomas Spier, apollovision

Fehrbelliner Platz: Verwaltungszentrum des Südwestens

Durch die einseitige Aufmerksamkeit auf das neue, lediglich gezeichnete Zentrum der Reichshauptstadt geriet die reale Bautätigkeit der nationalsozialistischen Diktatur oft aus dem Blickfeld – etwa der streng gestaltete Fehrbelliner Platz, das bedeutendste auch realisierte neue großstädtische Zentrum der NS-Zeit.

Fehrbelliner Platz, 2020. Rainer G. Rümmlers Architektur des U-Bahnhofs suchte ebenfalls den Kontrast zu den Bauten aus der NS-Zeit.
Foto Thomas Spier, apollovision

Marzahner Promenade:
Stolz des fernen Ostens

Weit im Osten Berlins, für viele Bewohner des westlichen Teils der Stadt immer noch wenig bekannt, entfaltet sich parallel zur Landsberger Allee, früher Leninallee, das vielleicht ambitionierteste Zentrum einer Großsiedlung aus der DDR-Zeit: die Marzahner Promenade.

Die abwechslungsreich gestaltete, durch
Kunstwerke aufgewertete Fußgängerzone
Marzahner Promenade diente der Nahversorgung
und der Begegnung der Bevölkerung
der Großsiedlung Marzahn, Mai 1989.
Foto Carin Martin, IRS (Erkner) / Wiss. Samml., Nr. D1_1_5_3-002
Das 2005 eröffnete ECE-Shoppingcenter EASTGATE am westlichen Beginn der Marzahner Promenade steht in Kontrast zu den Wohnbauten aus der DDR-Zeit, es verändert zudem die Balance der Geschäftslagen an der Promenade, 2020.
Foto Thomas Spier, apollovision
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Ausstellung Raum 4

Wirklich sozial?

Wohnungsfrage

MARZAHN – DORF WIE GROSSSIEDLUNG, MARKANTER TEIL DER WOHNLANDSCHAFT DER METROPOLE BERLIN
Marzahn ist die größte Großsiedlung Berlins, ja ganz Deutschlands, und sie gehört auch zu den jüngsten. Zwischen 1977 und 1990 erbaut, umfasst sie etwa 62.000 Wohnungen in vornehmlich zehn- bis elfgeschossigen Gebäuden für heute etwa 100.000 Einwohner. Bereits im Wettbewerb Groß-Berlin wurden große Wohngebiete in der Gegend von Marzahn geplant und in der NS-Zeit weiter konkretisiert. Errichtet wurde 1936 ein „Zigeunerlager“, das größte in Deutschland. Marzahn ist aber auch ein uraltes, um 1230 gegründetes Angerdorf in unmittelbarer Nähe, das 1977 unter Denkmalschutz gestellt und ab 1982 saniert worden ist. Marzahn ist schließlich ein Berliner Bezirk, der 1979 neu geschaffen wurde und 2001 im Bezirk Marzahn-Hellersdorf aufging.
Foto Philipp Meuser, 2020

Groß-Berlin war von Anfang an ein Experimentierfeld unterschiedlichster Wohnungs- und Städtebaupolitiken, eine Bühne des Kampfes gegen die größte Mietkasernenstadt der Welt. Wohnungselend und Wohnungsknappheit begleiteten die gesamte Geschichte von Groß-Berlin. Von den 1880er bis zu den 1910er Jahren war im Rahmen privater und kommunaler Konkurrenz ein harter Gegensatz zwischen den übervölkerten Arbeiterquartieren auf der einen und den attraktiven Oberschichtsvierteln auf der anderen Seite entstanden. Nach 1920 legte sich eine weitere Schicht an Wohnungsbau neben das Berlin der Kaiserzeit: eine in sich wiederum äußerst widersprüchliche soziale Siedlungslandschaft unterschiedlichster Form und Trägerschaft, Ergebnis einer langen Periode öffentlich regulierten Wohnungsbaus. Nach dem Fall der Mauer gewann der private Wohnungsbau wieder an Gewicht – erstmals seit der Kaiserzeit.

Die Zahl fehlender Wohnungen vermehrt sich von Jahr zu Jahr.

Der gesamte jährliche Neubedarf muß demnach auf 40 000 veranschlagt werden.

Die jetzige Stadtverwaltung hat keine Schuld an dem Berliner Wohnungselend. Sie muß es als eine Tatsache hinnehmen, der schleunigst abgeholfen werden muß. […] Wohnungsnot und Wohnungselend zusammengenommen zeigen, daß der Wohnungsbau in Berlin eine der allerwichtigsten öffentlichen Aufgaben überhaupt ist.

Eine menschenwürdige Wohnung mit mäßigem Mietzins fördert den sozialen Frieden, den wirtschaftlichen Fortschritt, d. h. die Gesamtwirtschafts- und Kulturleistung eines Volkes.

Es genügt nicht, Wohnungen zu bauen; die Wohnungen müssen auch bezahlbar sein.

Gustav Böß, Oberbürgermeister 1919–1929
Berlin von heute.
Stadtverwaltung und Wirtschaft.
Berlin 1929

Weg mit der „Mietkasernenstadt“!

Platz frei für das Neue Berlin! Das war über Jahrzehnte die Losung von Stadtplanern, Architekten und Politikern aller Couleur, ein Programm, das die Wohnungslandschaft von Groß-Berlin grundlegend verändert hat. Ziel war die Beseitigung der dichten Innenstadt mit ihren Hinterhöfen, die nach Plänen von James Hobrecht aus dem Jahr 1862 und nach Regeln unterschiedlicher Bauordnungen um die alte Stadt angelegt worden war. Doch extreme Wohnungsknappheit und fehlende öffentliche Subventionen verhinderten zunächst Abrisse. Der Zweite Weltkrieg schuf erste Lücken. Schließlich war es 1963 in West-Berlin so weit: Das „Erste Stadterneuerungsprogramm“ konnte mit Geldern aus Bonn gestartet werden. Ein erstes Modellprojekt betraf das Gebiet um die Weddinger Brunnenstraße. Auf der anderen Seite der Mauer, im Ost-Berliner Bezirk Mitte, dauerte es noch ein wenig länger: Dort wurde ab 1970 das Gebiet um den Arkonaplatz erneuert oder rekonstruiert, wie das in Ost-Berlin hieß.

Das Innere eines entkernten Blocks im Rekonstruktionsgebiet Arkonaplatz, Mai 1984.
Gerhard Kiesling / Fritz Jahn: Berliner Farben. Leipzig 1987, S. 145

Rekonstruktionsgebiet Arkonaplatz

Das Rekonstruktionsgebiet Arkonaplatz lag unmittelbar auf der anderen Seite der Mauer im Ost-Berliner Bezirk Mitte. Als es von 1970 bis 1984 erneuert wurde, war die Abkehr von der Kahlschlagsanierung bereits westost- übergreifend im Gange.

Antworten auf die Mietkasernenstadt: Großsiedlungen

Große Wohngebiete eines sozial orientierten Wohnungsbaus prägen jede Metropole. Berlin ist berühmt für diesen Wohnungsbau, der seit der Schaffung von Groß-Berlin bis zum Ende der Teilung der Stadt vorherrschte. Allerdings gab es hier auch sehr große Unterschiede – in der städtebaulichen und baulichen Gestalt, in der Trägerschaft, in der Finanzierung, in der Produktion, in der Lage im Stadtraum, in der Belegung und damit auch in der Frage, wer denn solche Wohnungen beziehen darf. Denn sozialer Wohnungsbau bedeutete keineswegs immer: Wohnungsbau für „Minderbemittelte”.

Weimarer Republik:
Siedlung Neu-Tempelhof

Kolonnaden-Tor an der Paradestraße von Fritz Bräuning, 1920er Jahre.
40 Jahre Berlinische Boden-Gesellschaft. Berlin 1930, S. 85

Neu-Tempelhof war die erste große neue Siedlung der Weimarer Republik in Berlin. Ihr Bau wurde mit öffentlichen Mitteln unterstützt. Die vorstädtische idyllische, isolierte Siedlung war allerdings nicht für Bedürftige, sondern für Besserverdienende bestimmt.

Weimarer Republik: Wohnviertel um den Laubenheimer Platz

Ahrweiler Straße in sommerlicher Atmosphäre, koloriertes Schaubild um 1930.
40 Jahre Berlinische Boden-Gesellschaft. Berlin 1930, nach S. 118

Eines der größten Neubaugebiete der Weimarer Republik in Berlin mit über 1.700 Wohnungen ist zugleich eines der am wenigsten bekannten: die Fortsetzung des Rheinischen Viertels auf der Südseite des Südwestkorso in Wilmersdorf.

Weimarer Republik: Großsiedlung Britz

Bruno Taut und Martin Wagner: Lageplan der Hufeisensiedlung.
Akademie der Künste, Bruno-Taut-Nr. 0102-002

Die wohl bekannteste neue Siedlung der Weimarer Republik ist die „Großsiedlung Britz“. Auch diese öffentlich geförderten 2.900 Wohnungen waren für ungelernte Arbeiter unerschwinglich, sie dienten vor allem Angestellten und anderen Mittelschichten.

Weimarer Republik: Großsiedlung Schöneberger Südgelände

Großsiedlung Schöneberger Südgelände mit kleinem Lageplan des Areals, Zeichnung um 1928.
Universitätsarchiv der TU Darmstadt, Nr. 2006Z01952

Auf dem Schöneberger Südgelände war in der Weimarer Republik die größte Neubausiedlung geplant. Das 1927 vorgestellte privatwirtschaftliche Riesenprojekt für 15.000 Wohnungen scheiterte an vielfältigen Widerständen, nicht zuletzt an der lokalen Bauwirtschaft.

NS-Diktatur:
Megaprojekt Südstadt

Modellfoto der geplanten Südstadt, um 1941. Dort sollten auf 2.200 Hektar Wohnungen für 350.000 Menschen entstehen.
Schusev State Museum of Architecture, Moskau, Foto 094

Während der nationalsozialistischen Diktatur wurde durch Generalbauinspektor Albert Speer eine gigantische Erweiterung Berlins geplant, die bis zum äußeren Autobahnring reichen und etwa 1,5 Millionen Einwohnern Raum geben sollte. Die Südstadt war Teil dieses Projekts.

West-Berlin:
Großsiedlung Märkisches Viertel

Senftenberger Ring, 16.09.1971. Ein „Hof“ im Märkischen Viertel.
Foto Horst Siegmann, Landesarchiv Berlin, F Rep. 290, Nr. 149030

Das von 1963 bis 1974 gebaute Märkische Viertel (MV) war die ambitionierteste Großsiedlung West-Berlins. Viele Bewohner kamen aus den Sanierungsgebieten der Innenstadt. Ihre Miete stieg nach Umzug in die komfortableren Neubauwohnungen um das Zwei- bis Dreifache.

Ost-Berlin:
Siedlung Fennpfuhl

Wohnkomplex Fennpfuhl mit sozialer Infrastruktur, vor 1987.
Joachim Schulz / Werner Gräbner: Berlin. Architektur von Pankow bis Köpenick. Berlin 1987, S. 149

Der von 1970 bis 1980 errichtete Wohnkomplex Fennpfuhl gilt als erste komplex ausgestattete Großsiedlung Ost-Berlins. Für das Wohngebiet mussten Kleingartengebiete weichen. In Ost-Berlin waren die Großsiedlungen stärker sozial gemischt als in West-Berlin.

Wohnungsbau im Kalten Krieg

Der erste Kalte Krieg im Städtebau zwischen Ost- und West-Berlin fand auf dem Gebiet des Wohnungsbaus statt. Er war heftig, aber doch ein wenig anders als gern geschildert. Denn Ost-Berlin hatte zunächst die Nase vorn – was bis heute zumeist verdrängt wird: An der neuen Stalinallee, heute Karl-Marx-Allee, wurden ab 1951 Wohnpaläste nach Moskauer Vorbild in „nationaler Bautradition“ errichtet. In dieser Zeit war West-Berlin noch nicht voll handlungsfähig. Als Antwort wurde im Bezirk Wedding zunächst 1954 / 55 die bescheidene Ernst-Reuter-Siedlung gebaut und mit großem protokollarischem Aufwand eröffnet. Zur Einweihung kam sogar Bundespräsident Theodor Heuss. Erst 1957 war das Hansaviertel vorzeigbar, das heute gern als Parallelprojekt zur Stalinallee bezeichnet wird. In einem weiteren Schritt – nach der Wende in der Baupolitik in Moskau – errichtete Ost-Berlin von 1959 bis 1965 den zweiten Bauabschnitt der Karl-Marx-Allee. Ein städtebauliches Pingpong über viele Jahre!

Stalinallee

Das Ost-Berliner Prestige-Projekt Stalinallee vom Strausberger Platz aus gesehen, errichtet ab 1951.

IRS (Erkner) / Wiss. Samml., Nr. 54
Foto Horst Siegmann, Landesarchiv Berlin, F Rep. 290, Nr. 39795

Ernst-Reuter-Siedlung

Als Antwort auf die Ost-Berliner Stalinallee
realisierte West-Berlin 1954 / 55 die Ernst-
Reuter-Siedlung nahe der Sektorengrenze
im Bezirk Wedding.

Hansaviertel

Das 1957 realisierte Interbau-Vorhaben
Hansaviertel wird vielfach als Antwort
auf die Stalinallee angesehen.

Landesarchiv Berlin, F Rep. 251-02, Nr. 12847
IRS (Erkner) / Wiss. Samml., Slg. Kino Foto 12

Karl-Marx-Allee II

Zweiter Bauabschnitt der Karl-Marx-Allee, um 1964. Links die Mokka-Milch-Eisbar, rechts das Café „Moskau“. Zu dieser Zeit hatten sich die städtebaulichen Formen ost-west-übergreifend bereits stark angenähert.

Nach 1990: Von Kasernen zu Wohnstätten

Nach der Wiedervereinigung Deutschlands waren die Erwartungen hoch: Berlin, so die Prognose, ja die Gewissheit, würde gewaltig wachsen. Daher wurden sehr viele Wohnungen in und außerhalb Berlins gebaut – zu viele, wie bald spürbar wurde, denn der große Einwohnerzuwachs blieb aus. 2002 wurde der Leerstand von vermietbaren Wohnungen in Berlin auf rund 120.000 geschätzt. Das ist heute schon wieder vergessen. Ebenso wie die großen Leistungen zur Instandsetzung und Verbesserung sowohl der Altbauquartiere wie der Großsiedlungen in Ost-Berlin in den frühen 1990er Jahren. Ab etwa 2007 stieg die Zahl der Einwohner wieder, zum Teil sehr stark. Wohnungen wurden wieder knapp, zunächst vor allem in der Innenstadt. Die „Miet­kasernenviertel“, die Krieg und Kahlschlagsanierung überstanden hatten, sind heute äußerst beliebt. Mieten und Wohnungspreise dieser höchst flexiblen Wohnungstypen explodieren auf breiter Front. Neue große Quartiere entstehen nur zögerlich – vor allem auf ehemaligen Gewerbe-, Eisenbahn- und nicht zuletzt Militärflächen. Kasernen werden so zu Wohnstätten – etwa in der sowjetischen Militärstadt in Karlshorst und in der US-amerikanischen Militärstadt in Zehlendorf.

Gartenstadt Karlshorst

Karlshorst war der wichtigste Standort der Roten Armee in Ost-Berlin. Das in nationalsozialistischer Zeit geschaffene Militärgebiet wurde nach dem Abzug des russischen Militärs 1994 nach längerer Unsicherheit in ein attraktives großes Wohngebiet verwandelt.

In dem Komplex der 1936 / 37 erbauten Festungspionierschule wurde 1945, vor 75 Jahren, die bedingungslose Kapitulation der deutschen Wehrmacht unterzeichnet. Die Bauten dienten nach dem Krieg kurzzeitig als Sitz der Sowjetischen Militäradministration in Deutschland (SMAD) und über längere Zeit als Zentrale des sowjetischen Geheimdienstes KGB. Heute befindet sich auf dem Gelände das Deutsch-Russische Museum.
Deutsch-Russisches Museum Karlshorst
Die zu einer Wohnanlage mit etwa 370 Wohnungen umgebaute ehemalige Pionierschule, 2020.
Foto Thomas Spier, apollovision
Wohnstraße der Gartenstadt Karlshorst, 2019. Die „Gartenstadt“ ist mit bis zu 1.300 geplanten neuen Wohnungen eines der großen Wohnprojekte des vereinigten Berlin. Sie entsteht seit 2010 nach einem Plan von Klaus Theo Brenner im Auftrag der WPK Grundstücksentwicklungsgesellschaft m.b.H. auf dem ehemaligen Militärgelände.
Foto Harald Bodenschatz

The Metropolitan Gardens

Das von 1936 bis 1938 erbaute nationalsozialistische Luftgaukommando III in Dahlem war bis 1994 das Hauptquartier der US-amerikanischen Armee in Berlin. Das Kasernenareal wurde ab 2010 zu einem Wohnquartier, den „Metropolitan Gardens“, umgebaut.

Wohnquartier „The Metropolitan Gardens“, 2020. Insgesamt sind etwa 290 Wohnungen entstanden.
Foto Thomas Spier, apollovision
Tiefgarageneinfahrt im Wohnquartier „The Metropolitan Gardens“, 2020.
Foto Thomas Spier, apollovision
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Ausstellung Raum 5

Parks Plätze Platanen

Grünfrage

IM NAMEN DES VOLKES: 100 PROZENT TEMPELHOFER GRÜN
Als der Flughafen Tempelhof am 30. Oktober 2008 geschlossen wurde, ging eine Ära der Luftfahrt zu Ende, die Groß-Berliner Geschichte geschrieben hat. Allerdings war zunächst unklar, was mit dem riesigen Flugfeld geschehen soll. Überlegungen im Auftrag der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung Mitte der 1990er Jahre hatten eine Randbebauung vorgesehen, die im Zentrum Raum für eine großzügige Grünfläche ließ. 2010 wurde das Flughafenfeld als Erholungsraum geöffnet. Als konkrete, wenig überzeugende Pläne für eine Randbebauung bekannt wurden, startete das Volksbegehren „100 % Tempelhof”, das sich gegen jegliche Bebauung auf dem einstigen Flugfeld einsetzte. Am 25. Mai 2014 nahm der Volksentscheid alle Hürden – das innerstädtische Flugfeld blieb frei. Damit ist eine der größten Freiflächen Berlins eingefroren – zumindest vorläufig. Denn vor dem Hintergrund zunehmender Wohnungsknappheit mehren sich erneut Stimmen für eine zurückhaltende Randbebauung.
Foto Philipp Meuser, 2009

Wie kann die ständig wachsende Großstadt gesund bleiben? Durch Straßenbäume und viel, viel Grün! Die erste große Tat zum Schutz der Grünflächen war 1915 der Dauerwaldvertrag. Er reservierte umfangreiche Waldflächen für die Naherholung. Die Bildung von Groß-Berlin ermöglichte – oft durch private finanzielle Unterstützung – weitere Volksparks, die der Erholung, der Kultur und dem Sport dienten. Über die Grenzen Berlins hinaus bekannt wurde das Strandbad Wannsee. In der Zeit des Nationalsozialismus entstand mit dem Reichssportgelände ein riesiger Sportpark, während der DDR-Zeit wurden weitere Parks ausgebaut oder geschaffen. Im späten West-Berlin konnte die lange Tradition der Gartendenkmalpflege zu einem neuen Höhepunkt geführt werden. Nach dem Fall der Mauer wurden neue große Parks in Berlin angelegt und Regionalparks im Umland geplant. Die bedeutendste historische Parklandschaft wurde zudem sorgfältig rekonstruiert: die Schlösser und Parks von Potsdam und Berlin, eine Welterbestätte.

Berlin ist das Herz des deutschen Sportlebens. Es gibt nur wenige Städte, die über so gute Sportmöglichkeiten verfügen, wie die Reichshauptstadt, 6 v. H. des Gesamtgebietes Berlins sind öffentliche Wasserflächen, 18 v. H. Wälder, 1,5 v. H. Parkanlagen. Der Ruf nach Freiflächen für die Masse der Bevölkerung war eine der ersten Forderungen, die nach der Bildung der neuen Stadt Berlin gestellt wurden. Wer heute den Kranz von Park-, Spiel- und Sportanlagen der Reichshauptstadt besucht […], wird sagen müssen, daß die Forderung der Hergabe von Freiflächen volle Berechtigung hatte. Neue Lebensgestaltungen können sich nur dort vollziehen, wo das Volk mit der Natur verbunden lebt.

Ein Netz von Grünflächen soll die Baugebiete durchdringen, strahlenförmige Grünzüge sollen von den Innenparks zu den Waldungen und Außengebieten hinausführen. […] Die Freiflächen finden ihre Ergänzung in den Spiel- und Sportflächen und in den Kleingärten. […] Die Kleingärten müssen dauernden Platz im Stadtbild finden.

Gustav Böß, Oberbürgermeister 1919–1929
Berlin von heute.
Stadtverwaltung und Wirtschaft.
Berlin 1929

Landesarchiv Berlin, F Rep. 290-09-03, Nr. 64/3144

Ein Zögling der Großstadt:
Der ordentliche Straßenbaum

In den Straßen der früheren Städte und Dörfer standen selten Bäume. Erst in der Ära des Absolutismus wurden einige städtische Alleen angelegt, etwa die Allee Unter den Linden. In Paris setzte sich die baumbestandene Großstadtstraße im 19. Jahrhundert durch und wurde zum Vorbild für weitere Großstädte – auch für den Großraum Berlin. Die großen Radial- und Ringstraßen erhielten ihre charakteristischen Bäume: vor allem Linden, Ahorn, Eichen, Platanen und Kastanien. Das Foto zeigt Straßenbäume in der Frankfurter Allee Ecke Ruschestraße im Jahr 1928. Während des autogerechten Stadtumbaus dezimiert, hat der Straßenbaum heute wieder eine große Zukunft vor sich: als Botschafter der Verkehrswende, als positiver Beitrag in Zeiten des Klimawandels, zur Freude für den Fußgänger.

Volksparks aller Art

Volksparks sind eine Groß-Berliner Spezialität – schon vor 1920. Sie sollen der Freizeit und Erholung der Großstadtbewohner dienen und umfassen nicht nur schön gestaltete Freiflächen für das Auge, sondern auch Spiel- und Sportplätze, ja sogar Kultureinrichtungen. Die Idee solcher Volksparks kam aus den USA, vor allem aus Chicago, konnte sich aber auch auf eine eigene Berliner Tradition stützen. Während der Weimarer Republik wurden in Berlin Volksparks in großem Umfang neu geschaffen – auch auf direkte Initiative von Oberbürgermeister Böß, dem es gelang, über eine Stiftung private Gelder zu diesem Zweck einzusammeln. Auch die größte öffentliche Freizeiteinrichtung Berlins, das Strandbad Wannsee, ist baulich ein Kind von Groß-Berlin. Nach 1933 wurden weitere Parks neu geplant, angelegt und weiterentwickelt – bis heute.

Volkspark Rehberge

Park-Spiel- und Sportanlagen des Volksparks Rehberge, Erwin Barth, 1927.
AM TUB, Nr. 40963

Volksparks – eine kommunale Errungenschaft – sollten vor allem den Bewohnern der dicht bebauten Viertel zur Erholung, zum Spielen und zur sportlichen Betätigung dienen. Der Volkspark Rehberge ist ein Musterbeispiel eines solchen Volksparks im Arbeiterbezirk Wedding.

Strandbad Wannsee

Blick vom Rettungssteg auf Altund Neubauten des Strandbades, nach 1930.
Ansichtskarte

Das Strandbad Wannsee gehört zu den berühmtesten Errungenschaften von Groß-Berlin. Das heutige große Bad geht auf Planungen von Stadtbaurat Martin Wagner aus dem Jahr 1927 zurück, der ein modernes „Weltbad“ bauen wollte.

Reichssportgelände

Luftbild des Reichssportgeländes mit der Dietrich-Eckart-Freilichtbühne (heute Waldbühne) und dem Maifeld im Vordergrund, um 1936.
Werner March: Bauwerk Reichssportfeld. Aufnahmen Charlotte Rohrbach. Berlin 1936, Bild 3

Die nationalsozialistische Sportstadt präsentierte sich wie ein riesiger Volkspark, mit unterschiedlichen Sportstätten, Aufenthaltsflächen und einer Kulturstätte. Sie war ein bis ins Detail gestaltetes propagandistisches Manifest des Staates, nicht der Kommune.

Neuer Grunewald

Umgestaltungsplan für den Grunewald, Willi Schelkes, 1. Februar 1941. Ziel war es, den Wald besser zu erschließen. Auf dem Bild rechts ist das projektierte „Wehrtechnische Institut“ zu erkennen (heute der Trümmerhügel Teufelsberg; der Plan ist gewestet).
Die Baukunst. Heft August / September 1941, S. 151

Die „Umgestaltung“ des Grunewalds war ein wichtiger Teil der Neugestaltung Berlins unter Generalbauinspektor Albert Speer. Sie ging auf Pläne von Willi Schelkes zurück. 1938 begannen die Arbeiten.

Volks- und Waldpark Wuhlheide

Pionierpalast „Ernst Thälmann“, eröffnet 1979, entworfen von Günter Stahn, dem Architekten des Nikolaiviertels, o. J.
IRS (Erkner) / Wiss. Samml., Nr. 820021-1920

Der Park Wuhlheide wurde ab 1924 nach Plänen des Treptower Gartendirektors Ernst Harrich mehrmals umgestaltet. In der DDR-Zeit entstand 1950 weiter östlich der populäre Pionierpark „Ernst Thälmann“, 1979 wurde der von Günter Stahn entworfene Pionierpalast „Ernst Thälmann“ eröffnet.

Kleingärten für Groß-Berlin

Der Laubenpieper ist eine typische Großstadtpflanze, ganz besonders von Groß-Berlin. Mit etwa 2.900 Hektar belegen die Berliner Kleingärten immerhin drei Prozent der gesamten Stadtfläche. Von dieser Fläche sind etwa drei Viertel Eigentum des Landes. Kleingärten können einen Beitrag zum Stadtklima leisten, haben aber vor allem eine soziale Funktion: Sie bieten Gärten und grüne Heime auch für weniger bemittelte Schichten, in Krisenzeiten sogar (unerlaubten) Dauerwohnraum und Nahrungsquellen. Dennoch sind sie immer wieder Gegenstand von Bau-Begehrlichkeiten, insbesondere in Zeiten der Wohnungsknappheit wie heute.

Kleingartentypen für die Kleingartendauerkolonie
am Volkspark Rehberge im Arbeiterbezirk Wedding, Erwin Barth, März 1928.
AM TUB, Nr. 40992

Es geht auch anders: Grüne Plätze

Vor dem autogerechten Umbau fanden sich in Groß- Berlin schön gestaltete Straßen und Plätze, die reich von Straßenbäumen und ausgewählten Pflanzen, Parkbänken und Spielplätzen gesäumt wurden. So schmückten in der Kaiserzeit – heute kaum mehr zu glauben – Blumenbeete den Mittelstreifen der Bismarckstraße. Vor dem Ersten Weltkrieg schufen vor allem Terraingesellschaften schöne Straßen und Plätze, etwa den Rüdesheimer Platz, den Viktoria-Luise-Platz, den Bayerischen Platz, den Mexikoplatz, den Ludolfinger- und Zeltinger Platz. In der Weimarer Republik wurden stadtweit Plätze zunehmend nutzbarer gestaltet – durch bekannte Gartenarchitekten wie Erwin Barth, der neben vielen anderen Plätzen den Oranienplatz und den Boxhagener Platz zu Mini-Volksparks machte. Epochenübergreifend ist auch das Werk des Wilmersdorfer Gartenarchitekten Richard Thieme, der die Straßen und Plätze um die Kaiserallee, heute Bundesallee, modernisierte.

Gestaltungskonzept für den Koppenplatz, Erwin Barth, 1927. Die Plätze in den Arbeiterquartieren wurden von Barth mit ähnlicher Sorgfalt wie die der bürgerlichen Quartiere gestaltet.
AM TUB, Nr. 41074

Pläne für grüne Plätze von
Erwin Barth

In den 1920er Jahren wurden viele Plätze in Groß-Berlin grün umgestaltet – nicht zugunsten des Autos, sondern der Einwohnerschaft. Sie erhielten Spiel- und Schmuckanlagen. Verantwortlich dafür waren kommunale Gartenarchitekten, an erster Stelle Erwin Barth, Stadtgartendirektor von Groß-Berlin von 1926 bis 1929.

Grüngestaltung der „Carstenn-Figur“ durch Richard Thieme

Die durch eine nahezu symmetrische Straßen- und Platzkomposition gebildete „Carstenn-Figur“ ist eine der auffälligsten geometrischen Stadtraumformen von Groß-Berlin. Sie entfaltet sich über knapp vier Kilometer auf beiden Seiten der Bundesallee, früher Kaiserallee, und wird vom Volkspark Wilmersdorf gequert. Ihr Mittelpunkt ist der Bundesplatz, früher Kaiserplatz.

Kaiserplatz in Wilmersdorf vor dem Ersten Weltkrieg, 1912. Der Kaiserplatz (heute Bundesplatz) war der städtebauliche Höhepunkt der „Carstenn-Figur“. Die Stadt Wilmersdorf hatte auf dem Schmuckplatz 1910 die „Winzerin“ von Friedrich Drake aufstellen lassen.
Foto Max Missmann, Stiftung Stadtmuseum Berlin, Nr. IV 65 / 839 V

Musterhaft: Gartendenkmalpflege

Seit den 1980er Jahren genießt die Berliner und Brandenburger Gartendenkmalpflege Weltruf. Vor allem die Rekonstruktion der großen, zusammenhängenden Parklandschaft des Berliner Südwestens und Potsdams gilt als vorbildlich und ist heute als Weltkulturerbe anerkannt. Damit ist nicht nur eine großartige Erholungslandschaft zurückgewonnen, sondern auch ein touristisches Ziel von internationalem Rang gesichert worden. Andere Parks wie der Tiergarten und der Körnerpark verdanken ebenfalls ihre Wiederherstellung der Gartendenkmalpflege. Aber nicht nur große und kleine Parkanlagen, sondern auch einige viel bewunderte Stadtplätze sind das Ergebnis gartendenkmalpflegerischer Initiative, für die sich nicht zuletzt Klaus-Henning von Krosigk, Gartenbaudirektor von 1978 bis 2011, unermüdlich eingesetzt hat.

Schlösser und Gärten von Potsdam und Berlin

Zu den Reichtümern des Großraums Berlin zählen die preußischen Schlösser und Gärten, die 1990 durch die UNESCO als Weltkulturerbe ausgezeichnet worden sind. Dazu gehören die Anlagen in Potsdam und Glienicke.

Luftbild vom Neuen Palais im Park Sanssouci in Potsdam, 15. Juni 1990. Die Potsdamer Schlösser- und Parklandschaft war zum Zeitpunkt des Mauerfalls in Teilen ruinös.
Foto Lothar Willmann, DDR Bildarchiv, Nr. 52228
Der 1907 nach dem Entwurf von Emil Schubert gestaltete und 1987 rekonstruierte Mexikoplatz (Name seit 1959) in Zehlendorf, 2012.
Foto Katrin Lesser

Gartendenkmal-Plätze

Nach dem autogerechten Umbau der 1950er und 1960er Jahre erfuhren einige Plätze in den 1980er und 1990er Jahren eine fußgängerfreundliche Rekonstruktion durch die Gartendenkmalpflege. Seither gab es keine großen Platzprogramme mehr.

Nach 1990: Lust auf neue Parks

Nach der Wiedervereinigung – das wird leicht übersehen – brach ein regelrechtes Parkfieber aus: Historische Parks wurden rekonstruiert, neue wurden geschaffen, weitere geplant. Dazu gehörten überregionale Veranstaltungen wie die Internationale Gartenausstellung (IGA) in Marzahn 2017, aber auch lokale Groß-Berliner Sprösslinge wie der Mauerpark und das Grüne Band. Geplant wurden zudem – zur Stärkung und Bereicherung des „Siedlungssterns” – großzügige Regionalparks.

Mauerpark

Zu den typischen neuen Berliner Parks gehört der Mauerpark, der an dieser Stelle die Idee eines Grünzugs anstelle der Mauer aus der Zeit der Öffnung der Mauer aufgreift. Er verbindet heute die ehemaligen Bezirke Wedding und Prenzlauer Berg und wird intensiv genutzt.

Bäumepflanzung unmittelbar nach dem Fall der Mauer: der Ursprung des Mauerparks, 1. April 1990.
Foto Gerd Danigel
Luftbild des Mauerparks, 2007. Der Mauerpark wurde 1994 nach dem Entwurf von Gustav Lange angelegt und seitdem mehrmals erweitert.
Foto Philipp Meuser
Der Mauerpark ist ein Hotspot der Berliner Freizeitgesellschaft, 2018.
Foto Celina Miriam Schlichting

IGA-Gelände

Die Internationale Gartenausstellung (IGA) 2017 hat einen bereits während der DDR-Zeit angelegten großen Park in Marzahn weiter ausgebaut und ausgestattet. Bekannt sind dort vor allem die Gärten der Welt.

Auf dem Gelände der Berliner Gartenschau entstanden ab 1998 die Gärten der Welt. 2017 fand dort die Internationale Berlin (IGA) statt. Der Blick vom Kienberg über die Seilbahn und ein Einfamilienhausareal reicht bis zum Fernsehturm.
Foto Harald Bodenschatz
Spielplatz mit Blick zur Seilbahnstation Wolkenhain auf dem Kienberg, 2017.
Foto Harald Bodenschatz
Palmen in einem der zahlreichen Themengärten vor Marzahner Hochhauskulisse, 2017.
Foto Harald Bodenschatz

Mauergrünzug „Grünes Band“

Das „Grüne Band“ ist ein im Werden begriffener eindrucksvoller neuer Park für Fußgänger und Radfahrer, der nach seiner Fertigstellung über 13 Kilometer entlang des ehemaligen Grenzverlaufs vom Nordbahnhof bis zum nördlichen Stadtrand verlaufen soll.

Mauergrünzug mit Erläuterungstafeln, 2020.
Foto Thomas Spier, apollovision