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Ausstellung Raum 9

Ach, die liebe Verwandtschaft

Stadt und Land in Brandenburg

MUTTERSTADT BERLINS: BRANDENBURG AN DER HAVEL
Ehemalige „Chur- und Hauptstadt“ Brandenburg
an der Havel, 2017. Die Luftaufnahme lässt gut die Dreiteilung in Alt- und Neustadt sowie Dominsel, aber auch den Wasserreichtum der bedeutendsten mittelalterlichen Stadt im Großraum Berlin und Brandenburg erkennen.
GeoBasis-DE / LGB, dl-de / by-2-0

Die Metropole war und ist mehr als Berlin! Bereits nach dem Dreißigjährigen Krieg begründete der Große Kurfürst die Ausdehnung der neuen Residenz in die Mark Brandenburg. Den Schlössern in Oranienburg und Potsdam folgte bald Charlottenburg. Vor allem aber bauten die preußischen Könige Potsdam aus – eine einzigartige Schlösser- und Parklandschaft im Südwesten Berlins. Während Potsdam historisch als Tochterstadt Berlins gelten darf, bleibt die Mutterstadt Berlins weithin vergessen: die „Chur- und Hauptstadt“ Brandenburg an der Havel, die bis ins 15. Jahrhundert bedeutendste Stadt der Region. Doch die Region hat noch weitere einzigartige Städte zu bieten. Das nähere wie weitere Umfeld Berlins ist voll von aufstrebenden Orten mit historischen Wurzeln, die mehr Aufmerksamkeit verdienen. All diese Städte und Gemeinden Brandenburgs sind längst Teil der Metropole geworden, ihre Gestaltung prägt unsere gemeinsame Zukunft.

Der Wirtschafts- und Verkehrsbezirk Berlin geht über die politischen Stadtgrenzen weit hinaus. Das Groß-Berlin von heute reicht bis zur Linie Nauen – Oranienburg – Bernau – Strausberg – Fürstenwalde – Königswusterhausen – Zossen – Seddin – Werder – Nauen. Seine Fläche kann auf 250 000 ha, seine Einwohnerschaft auf rund 4 ¾ Millionen geschätzt werden.

Berlin ist nicht nur Wohnort für zahlreiche Arbeiter der Randindustrie, sondern umgekehrt auch Dienst- und Arbeitsort für eine große Zahl außerhalb Berlins wohnender Personen. Als solche Wohnsiedlungen Berliner Arbeitnehmer können Potsdam, Borgsdorf, Birkenwerder, Königswusterhausen u. a. gelten. Berlin und die Provinz Brandenburg sind völkisch und wirtschaftlich aufs engste miteinander verbunden.

Ein bedeutsames Verfassungsproblem Berlins ist, eine Verbindung zwischen der Berliner Stadtverwaltung und der Brandenburgischen Provinzialverwaltung zu schaffen. Die politischen Grenzen der Reichshauptstadt stimmen mit den tatsächlichen nicht überein. Die Stadt Berlin und die Provinz Brandenburg greifen wirtschaftlich und verkehrlich ineinander.

Die Berliner Stadtverwaltung und die Brandenburgische Provinzialverwaltung dürfen nicht nebeneinander-, sondern müssen zusammenarbeiten. Ein Zusammengehen liegt im wohlverstandenen Interesse beider Teile. […] Eine passende Form für die Zusammenarbeit ließe sich bei gutem Willen finden.

Gustav Böß, Oberbürgermeister 1919–1929
Berlin von heute.
Stadtverwaltung und Wirtschaft.
Berlin 1929

Mutterstadt Berlins:
Brandenburg an der Havel

Brandenburg an der Havel ist nicht irgendeine Stadt westlich von Berlin. Sie ist die älteste Stadt der ehemaligen Mark Brandenburg, die Hauptstadt der Mark bis ins späte Mittelalter hinein. Sie ist die Mutterstadt Berlins und die Großmutterstadt der Residenz Potsdam. Rechtlich handelte es sich um drei zu unterscheidende Siedlungsbereiche: die Altstadt, die Neustadt und die Dominsel. Drei großartige Kirchen und andere mittelalterliche Großbauten zeugen von der Bedeutung dieser Stadt. Im letzten Drittel des 19. Jahrhunderts wurde ­Brandenburg zur Industriestadt. Während der Weimarer Republik war Brandenburg ein Zentrum des Neuen Bauens. Die zur Zeit der deutschen Vereinigung stark verfallene Altstadt ist inzwischen durch eine erfolgreiche Stadterneuerung wieder zu einem Schmuckstück geworden. Heute ist ­Brandenburg an der Havel eine Perle im Städtekranz, dem zweiten Ring der Metropole.

Das Wohlfahrtsforum, errichtet nach Plänen von Karl Erbs und Willi Ludewig 1929 / 30. Realisiert wurden ein Verwaltungs- und Behandlungshaus der Krankenkasse, eine Turnhalle und eine Schwimmhalle. Eine Schule und Wohnungen konnten nicht mehr verwirklicht werden. Das Wohlfahrtsforum war ein Fanal des kommunalwirtschaftlichen Städtebaus und ein Höhepunkt des Neuen Bauens.
Foto Heiko Hesse, Brandenburg an der Havel

Tochterstadt Berlins:
Potsdam

Potsdam gilt als Gesamtkunstwerk, als Paradies, als Arkadien des Nordens. Es ist aber auch ein Werk der Hohenzollern, eine Residenz- und Garnisonstadt, eine multikulturelle Stadt. Eine junge Stadt, die erst im 17. Jahrhundert Bedeutung erhielt. Kaum eine andere deutsche Stadt wurde so stark durch herrschaftliche Eingriffe geprägt wie Potsdam. Die Funktion als Residenz der Hohenzollern verlor die Stadt 1918, die Funktion als Garnisonstadt 1994. Was zeichnet die Landeshauptstadt heute aus? Sie bietet ein städtebauliches Ensemble unterschiedlicher Schichten von internationaler Bedeutung, ein Weltkulturerbe aus Schlössern und Gärten, aber auch eine Kultur-, Bildungs- und Wissenschaftsstadt, die die Metropole außerordentlich bereichert.

Alter Markt, Potsdam, o. J. Links die mittlerweile abgerissene Fachhochschule. An ihrer Stelle entstehen kleinteilige Gebäude nach historischem Vorbild.
IRS (Erkner) / Wiss. Samml., D1_12_2-003

Wissensstadt Potsdam

Wissenschaftspark Albert Einstein auf dem Telegrafenberg, 2010. Ab 1874 wurde der Park mit zahlreichen wissenschaftlichen Einrichtungen angelegt und beherbergt heute international angesehene Institute zur Geo- und Klimaforschung. Als Wahrzeichen bekannt ist der Einsteinturm des Architekten Erich Mendelsohn.
Foto Philipp Meuser

Schon im späten 19. Jahrhundert wurde auf dem Telegrafenberg Potsdams Ruf als Wissenschaftsstandort begründet. Nach der Wiedervereinigung wurde der Standort weiter ausgebaut – etwa in Golm und in Babelsberg.

Kulturstadt Potsdam

Das Kulturquartier am Tiefen See, 2011. Auf dem Areal sind das Hans-Otto-Theater, der Sitz der Bundesstiftung Baukultur und andere kulturelle Einrichtungen beheimatet.
Foto Philipp Meuser

Kunst, Theater, Film, Musik: Potsdam hat sich verstärkt seit der Wiedervereinigung zu einem Kulturstandort entwickelt – mit Einrichtungen von nationaler und internationaler Bedeutung. Und einem besonderen Standort: dem Kulturquartier.

Wohnstadt Potsdam

Wohnanlage der 1935 gegründeten Genossenschaft WBG am Schillerplatz, Gemälde von Hans Klohß, 1930er Jahre. Die Stadt förderte den Bau der 400 Kleinwohnungen mit der Übernahme der Baukosten und einem günstigen Grundstückspreis.
Potsdam Museum – Forum für Kunst und Geschichte

Potsdam war immer eine besondere Wohnadresse: Neben Einwohnern prägten Soldaten die Garnisonstadt. Potsdam war von Anfang an multikulturell geprägt – mit Quartieren für Menschen unterschiedlicher Herkunft. Nach der Wiedervereinigung wurde das Wohnungsangebot erheblich ausdifferenziert.

Kleine Schwester im Umland:
Hohen Neuendorf

Die Stadt Hohen Neuendorf erstreckt sich zwischen Birkenwerder und Frohnau im Landkreis Oberhavel nördlich von Berlin. Der 1349 erstmals erwähnte Ort geriet Ende des 19. Jahrhunderts nach dem Bau der Nordbahn in den Sog der wachsenden Großstadt. In den ersten Jahren der NS-Zeit wurde der Ort erheblich ausgebaut. In der DDR-Zeit erhielt er einen zusätzlichen Bahnhof am äußeren Eisenbahnring. Nach der Wiedervereinigung wuchs die Einwohnerzahl wieder erheblich. Bemerkenswert ist das besondere Zentrum an der Kreuzung der Ausfallstraße nach Oranienburg mit der Straße zum S-Bahnhof, eine Ansammlung von speziellen Bauwerken: Rathaus, Pagode, Hotel, Shoppingcenter.

Shoppingcenter im Zentrum Hohen Neuendorfs, eröffnet 2006, Foto 2019. Das Center liegt unmittelbar südlich des Rathausareals.
Foto Harald Bodenschatz
Chinesisches Restaurant „Himmelspagode“, eröffnet 2002, Foto 2019. Der dem Himmelstempel in Peking nachempfundene Bau ist ein überregionaler Besuchermagnet. Er erhebt sich nördlich des Rathausareals.
Foto Harald Bodenschatz
Neues Rathausensemble, Baustelle im September 2019. Mittig ist das Bestandsgebäude zu sehen, links das neue Rathaus. Der Ergänzungsbau des Rathauses und die Freiflächen werden 2020 fertiggestellt.
Foto Harald Bodenschatz

Neues Leben für Militärstandorte

Kein anderes Gebiet in Deutschland war im 20. Jahrhundert so stark mit Militärflächen gepflastert wie der Raum Berlin-Brandenburg. Die Konzentration des Militärs begann schon in preußischer Zeit, erreichte in der Kaiserzeit einen ersten Höhepunkt, wurde in der NS-Zeit noch einmal zugespitzt und dann in der DDR-Zeit als Großstandort der sowjetischen Armee weiter genutzt. Etwa 100.000 Hektar Fläche sollen es gewesen sein, die 1994 beim Abzug der russischen Truppen hinterlassen wurden. Potsdam, Wünsdorf, Kummersdorf, Döberitz, Bernau, Beelitz und viele andere Orte in Brandenburg waren riesige Militärstützpunkte. Inzwischen ist ein Großteil davon umgenutzt worden – zu Erholungsgebieten, Technologiezentren, sozialen Infrastrukturen und zunehmend auch zu Wohnzwecken. Von Kasernen zu Wohnstätten!

Leer stehendes Kasernengebäude in Krampnitz, 2017. Die denkmalgeschützten Mannschaftsgebäude aus den 1930er Jahren sollen zu Wohnanlagen umgebaut werden.
Foto André Winternitz, rottenplace
Ruine des ehemaligen Heeresbekleidungsamtes Bernau, 2019. Das Ensemble wurde von 1939 bis 1942 erbaut und von 1941 bis 1945 von der Wehrmacht für die Herstellung und Lagerung von Uniformen genutzt. Den sowjetischen Streitkräften diente die Anlage als Versorgungsdepot. Hier das Hauptlager an der Schwanebecker Chaussee.
Foto Harald Bodenschatz
Ehemaliges Heeresbekleidungsamt Bernau, 2019. Die brachliegende Fläche befindet sich direkt neben der Autobahn A 11.
Foto Harald Bodenschatz
Pankebogen, Schönfelder Weg, September 2019, zwischen Baustelle und Fertigstellung. Im Vordergrund ein kleiner Teil des noch zu gestaltenden Pankeparks, der sich entlang der Panke zwischen der Altstadt und dem neuen Wohnquartier erstrecken soll.
Foto Harald Bodenschatz

Ländliche Reize

Brandenburg ist reich an historischen Städten und Militärarealen, umfasst aber – auch im Umland von Berlin – einprägsame ländliche Räume. Wie anderswo auch, aber doch lokal geprägt mit Dörfern, Verkehrsinfrastrukturen, Landwirtschaftsflächen, Erholungsgebieten, Gewerbegebieten, Wasserreservoirs und Windrädern. Stadt und Land sind kein Gegensatz, ebenso wenig wie Brandenburg und Berlin.

Wasserlandschaft, nicht nur zur Erholung

Die Bedeutung des Umlands von Metropolen für den Wasserhaushalt wurde lange Zeit unterschätzt. Mit dem Klimawandel, längeren Trockenperioden und Starkregengüssen
rückt die große Bedeutung des Wassers, auch die Sicherung des Trinkwassers, endlich in das Aufmerksamkeitsspektrum der mitteleuropäischen Öffentlichkeit.

Luftaufnahme der Klärwerke Münchehofe, 2019. Die Anlage ist ein Pilotprojekt der Berliner Wasserbetriebe für eine energieeffiziente Wasseraufbereitung. Sie dient auch zur Erprobung neuer Verfahren.
Foto Robert Grahn, Euroluftbild, Nr. 427645