Planungskultur
Die städtebauliche Entwicklung der Metropole wurde immer wieder von heftigen Auseinandersetzungen begleitet, an denen sich nicht nur Fachwelt, Politik und Verwaltung, sondern auch Wirtschaft und Zivilgesellschaft beteiligten. Dabei ging es um Ziele, Instrumente, Institutionen und Geld. Damit auch um mehr oder weniger einflussreiche Interessen. Schon Groß-Berlin selbst war umstritten. Nach 1920 entstanden neue Konfliktfronten: Bezirke gegen Magistrat (Senat), Groß-Berlin gegen Brandenburg. In den 1970er und 1980er Jahren erreichten die städtischen Konflikte einen Höhepunkt. Auch nach dem Fall der Mauer begehrte das Volk auf. Berlin heißt auch: Protest! Heute steht noch immer die Ordnung des Verhältnisses zwischen Bezirken und Senat sowie zwischen Berlin und Brandenburg beziehungsweise bisweilen sogar zwischen Berlin und Bund auf der Tagesordnung. Und die Schaffung von Behörden, Plänen und Plattformen, die das Wachstum steuern sollen – immer im Dialog mit zivilgesellschaftlichen und wirtschaftlichen Akteuren. Eine sich langsam wieder stabilisierende administrative Handlungsfähigkeit muss ausgebaut werden.
Gustav Böß, Oberbürgermeister 1919–1929
Berlin von heute.
Stadtverwaltung und Wirtschaft.
Berlin 1929
Städtebau und Herrschaft
Groß-Berlin hat eine harte Zickzack-Karriere im Städtebau hinter sich. Die Entstehung der Großstadt während der Kaiserzeit wurde maßgeblich durch einen privatwirtschaftlichen Städtebau gesteuert: durch große Terraingesellschaften, private Verkehrsgesellschaften und – als deren finanzielles Rückgrat – die Großbanken. Die öffentliche Hand setzte nur Grundregeln – durch den Hobrecht-Plan 1862, das Preußische Fluchtliniengesetz von 1875 und die immer wieder korrigierten Bauordnungen für Berlin und das Umland. Im Groß-Berlin der Weimarer Republik änderte sich alles: Die Kommune wurde nun zum federführenden Akteur des Städtebaus – des Wohnungsbaus wie des Baus von Infrastruktur (Verkehr, Energieversorgung und Großstadtgrün). Sie stützte sich dabei auf eigene oder kontrollierte Unternehmen. In der NS-Zeit wurde die führende Rolle der Kommune ausgeschaltet, der Zentralstaat übernahm den Taktstock im Städtebau. Der staatlich gesteuerte Städtebau wurde nach dem Zweiten Weltkrieg im Grundsatz fortgeführt, wenngleich in einer komplizierten Form: Der Einfluss der Alliierten, des jeweiligen Zentralstaates und der Kommune variierte über die Jahrzehnte der Teilung, beide Stadthälften hingen aber immer am Tropf ihres Staates. Erst nach der Wiedervereinigung gewann der privatwirtschaftliche Städtebau wieder an Boden.
Privatwirtschaftlicher Städtebau
Georg Haberland an seinem 70. Geburtstag am 14. August 1931. Als Direktor einer der einflussreichsten Terraingesellschaften Berlins, der Berlinischen Boden-Gesellschaft (BBG), entwickelte Haberland ganze Stadtteile wie das Bayerische und das Rheinische Viertel. Er war als Unternehmer, Politiker und Autor zweifellos der wichtigste Vertreter des privatwirtschaftlichen Städtebaus in Berlin. Wenig bekannt ist, dass er auch nach dem Ersten Weltkrieg in kommunalwirtschaftlicher Zeit in großem Umfang weiter tätig war, jetzt aber nur im Auftrag anderer, etwa bei der Anlage der Siedlung Neu-Tempelhof, beim Bau des großen Wohnquartiers südlich des Südwestkorso, bei der Errichtung des Karstadt-Gebäudes am Hermannplatz und des St. Joseph-Krankenhauses in Tempelhof sowie bei der Anlage von Straßenbahnhöfen der BVG. Nach dem Tod Georg Haberlands Ende 1933 wurde dessen Unternehmen schrittweise „arisiert“, sein Sohn Kurt aus dem Vorstand verdrängt, 1941 verhaftet und 1942 im KZ Mauthausen ermordet.
Kommunalwirtschaftlicher Städtebau
Martin Wagner, um 1930. Nicht erst als Stadtbaurat von Berlin ab 1926 war Wagner ein leidenschaftlicher Vertreter des kommunalwirtschaftlichen Städtebaus, der auch private Investoren einzubinden versuchte. Sein Engagement etwa für einen neuen Wohnungsbau, eine autogerechte Stadt, den Ausbau des Strandbades Wannsee und einen radikalen Umbau der Berliner Altstadt war jedoch nur partiell von Erfolg gekrönt. Vor allem gegen Ende der Weimarer Republik sah er – nicht nur wegen der Weltwirtschaftskrise – sein Werk scheitern. Nach 1933 versuchte er sich an die neuen Verhältnisse eines zunehmend staatswirtschaftlichen Städtebaus anzupassen. So forderte er in der „Deutschen Bauzeitung“ 1934 unter einem Pseudonym die Einsetzung eines „Staatskommissars für die Sanierung der City von Berlin“, eines „Führers der City von Berlin“. Im Jahr 1935 verließ Martin Wagner Deutschland.
Staatswirtschaftlicher Städtebau
Albert Speer, um 1938. Als Generalbauinspektor (GBI) für die Reichshauptstadt war Speer während der NS-Diktatur von 1937 bis 1945 für die Planung des Großraums Berlin verantwortlich. Er verfügte über Sondervollmachten wie Sonderfinanzen und konnte sich über die Wünsche der Kommunen, auch der Reichshauptstadt, hinwegsetzen. Die Grenzen von Groß-Berlin waren für ihn unerheblich. Seine Pläne reichten bis zum äußeren Autobahnring. Berüchtigt sind die Projekte des GBI für das neue Zentrum Berlins. Weniger bekannt ist das größte Projekt im Außenbereich, die sogenannte Südstadt entlang der Südachse. Wie keine andere führende Person der NS-Diktatur verkörperte er den staatswirtschaftlichen Städtebau, der die Ausschaltung kommunaler Autonomie und die umstandslose Enteignung privaten Eigentums zur Voraussetzung hatte. Mit seinen Planungen war er Mitverantwortlicher der Verbrechen im Nationalsozialismus.
Widersprüche von Groß-Berlin
Von Anfang an war es offensichtlich: Das Verhältnis zwischen Magistrat und den Bezirken war durch das Groß-Berlin-Gesetz von 1920 nicht zureichend geregelt, erst recht nicht das Verhältnis zwischen Groß-Berlin und der Provinz Brandenburg. Diese beiden Geburtsfehler Groß-Berlins belasten Politik und Verwaltung bis heute. Für die Steuerung einer wachsenden Metropole sind sie besonders hinderlich. Die Vorschläge der Expertenkommission zur „Verbesserung der gesamtstädtischen Verwaltungssteuerung“, die im Sommer 2018 ihren Schlussbericht vorlegte, müssen wieder ans Licht geholt und um politische Reformen ergänzt werden! Der Vorschlag für einen Regionalrat, der von der Stiftung Zukunft Berlin angestoßen worden ist, verdient ebenfalls Aufmerksamkeit. Ohne eine Überwindung der beiden Geburtsfehler Groß-Berlins verlaufen alle gut gemeinten städtebaulichen Strategien für die Metropole im institutionellen Sande.
Bezirke versus Magistrat/Senat
Karte von Groß-Berlin, veröffentlicht 1931. Die Riesenstadt wurde von Anfang an aufgeteilt – in 20 Bezirke, die die politisch-räumlichen Entwicklungen vor 1920 spiegelten. Dazu gehörten auch die sechs inneren Bezirke, in die Alt-Berlin aufgeteilt wurde. Während die inneren Grenzen säuberlich gezogen wurden, waren die Kompetenzgrenzen zwischen Magistrat und Bezirken im Laufe der Schlussverhandlungen zur Sicherung einer Mehrheit in der Preußischen Landesversammlung nicht klar geklärt worden – ein Problem bis heute.
Große Kämpfe um den Städtebau
Groß-Berlin war von Anfang eine Hauptstadt des Protestes, ein Zentrum gesellschaftspolitischer Kämpfe um den richtigen Städtebau. Viele dieser Kämpfe sind heute vergessen. Das gilt etwa für den großen Streit über die Bebauung des westlichen Tempelhofer Feldes um 1910. Schon immer ging es auch um bezahlbare Wohnungen, nicht nur in der Weimarer Republik. Einen Höhepunkt erreichten die Kämpfe um die Stadt in den 1970er und 1980er Jahren. Damals rückte die Kahlschlagsanierung in Ost und West ins Visier, mehr und mehr auch schon der Autoverkehr. Nach der Wiedervereinigung wurde weiter gestritten – mit Bürger- und Volksentscheiden, etwa gegen Mediaspree und die Bebauung des Tempelhofer Feldes. Gesellschaftlicher Streit ist notwendig, gut für die Metropole ist er aber nur, wenn er konstruktiv über den besten Weg in eine nachhaltige Zukunft geführt wird.
Gegen eine dichte Bebauung des Tempelhofer Feldes!
Plan von Hermann Jansen für das Tempelhofer Feld, Beitrag zum Wettbewerb Groß-Berlin 1908 – 1910. Hinter diesem suggestiven Plan verbirgt sich ein erbitterter Streit, der damals um die Bebauung des westlichen Tempelhofer Feldes ausgefochten wurde. Kontrahenten waren vor allem der Militärfiskus als Eigentümer des Truppenübungsplatzes, die Stadt Berlin, die Gemeinde Tempelhof, der Kreis Teltow, die Provinz Brandenburg, einige Großbanken und Terraingesellschaften. Gegenstand des Streits war nicht nur die Frage, wer hier zum Zuge kommen, sondern auch, wie dicht die neue Bebauung sein sollte. Daher war das Projekt auch Teil der Auseinandersetzungen um den Kurs des Städtebaus für Groß-Berlin. Die Durchsetzung einer hohen Bebauungsdichte durch den Militärfiskus, der so 1910 einen hohen Verkaufserlös erzielen konnte, war freilich ein Pyrrhussieg, denn nach dem Ersten Weltkrieg wurde ein suburbanes Bebauungskonzept verfolgt.
Für Groß-Berlin!
Plakat mit einer Zeichnung von Käthe Kollwitz, 1912. Groß-Berlin selbst war bereits lange vor dem Ersten Weltkrieg Gegenstand eines erbitterten Streits. Einer der Beteiligten war der „Propaganda- Ausschuss für Gross-Berlin“. Das Plakat des Ausschusses kündigt eine Versammlung gegen die grassierende Wohnungsnot in Berlin an. Wegen des anklagenden Motivs ließ es der Polizeipräsident entfernen.
Gegen steigende Mieten!
Mietstreik in der Köpenicker Straße, 23. September 1932. Die Mieter kämpften unter der Parole „Erst das Essen, dann die Miete“. Sie hängten Fahnen mit Hammer und Sichel, aber auch mit dem Hakenkreuz aus ihren Hinterhoffenstern. Ende 1932 streikte die gesamte Kösliner Straße im Wedding, die röteste Straße im rötesten Stadtteil. Der letztlich wenig erfolgreiche Mietstreik gegen Ende der Weimarer Republik war die größte derartige Protestaktion in der Geschichte Berlins.
Gegen Kahlschlagsanierung!
West-Berlin
Plakat „Selbsthilfe in Kreuzberg SO 36“. Die Kahlschlagsanierungen der 1970er und 1980er Jahre bedrohten im Wedding und in anderen Stadtteilen West-Berlins nicht nur die Altbauten, sondern vor allem auch die Lebensverhältnisse der Bewohner. Als immer mehr Straßenzüge dem Abriss zum Opfer fielen, erhob sich ein beispielloser Protest, der von einer breiten Allianz aus Betroffenen, politischen Initiativen und Intellektuellen unterstützt wurde. Zugleich gründeten sich zahlreiche Initiativen, auch Selbsthilfeprojekte, die die bedrohten Bauten mit neuem Leben füllten.
Gegen Kahlschlagsanierung!
Ost-Berlin und Potsdam
Plakat zur Ausstellung „Suchet der Stadt Bestes“, 1989. In Ost-Berlin und anderen Städten der DDR, etwa in Potsdam, verstärkte sich der Protest gegen den Verfall und drohenden Abriss von Altbauten in den 1980er Jahren. Er erreichte 1989 einen Höhepunkt und trug wesentlich dazu bei, dass die DDR zusammenbrach. Die Ausstellung in Potsdam prangerte im Sommer 1989 den Verfall und drohenden Abriss der zweiten barocken Stadterweiterung an. Sie wurde 2019 im Stadtmuseum Potsdam – nach 30 Jahren – erneut gezeigt, fand aber in Berlin nicht die gebührende Aufmerksamkeit.
Gegen die autogerechte Stadt!
Bürgerinitiative Westtangente
Bürgerinitiative WesttangenteDemonstration des Bürgerkomitees Verkehrspolitik (seit 1974 Bürgerinitiative Westtangente) in West-Berlin am Kurfürstendamm, Juli 1972. Der Protest richtete sich erstmals in größerer Breite gegen die Stadtzerstörung im Rahmen der Planungen für ein autogerechtes Berlin. Im Mittelpunkt stand der Kampf gegen weitere Stadtautobahnen, vor allem gegen die Westtangente.
Mediaspree versenken!
Protestaktion „Investorenbejubeln“, Juli 2008. Auch nach der Wiedervereinigung Berlins kam es zu Protesten. Sie richteten sich mehr und mehr gegen Verdrängung durch steigende Mieten, aber auch gegen die autogerechte Stadt. Ein erster, höchst professioneller und die weiteren gesellschaftlichen Auseinandersetzungen beeinflussender Protest betraf eines der bedeutendsten Entwicklungsgebiete des neuen Berlin während der 1990er Jahre: den östlichen Spreeraum. Der dort tätige Initiativkreis „Mediaspree versenken“ stellte sich gegen verschiedene Investorenprojekte zur Bebauung des Spreeufers. Doch trotz eines erfolgreichen Bürgerentscheids 2008 wurden die Forderungen nur fragmentarisch umgesetzt.
Im Namen des Volkes:
100% Tempelhofer Feld!
Plakate der Demokratischen Initiative „100 % Tempelhofer Feld“, 2014. Nach der Schließung des Tempelhofer Flughafens 2008 hatte der Senat kein überzeugendes Konzept für die weitere Entwicklung vorzuweisen. Nach heftigen Konflikten über eine Teilbebauung am Rande des riesigen Tempelhofer Feldes setzte eine 2012 gegründete Bürgerinitiative mit Partnern in Politik und Gesellschaft durch einen erfolgreichen Volksentscheid überraschend klar eine „innerstädtische Offenlandschaft“ durch.
Für bessere Straßen und Plätze!
Straßenfest am Bundesplatz, dem Herzstück der Bundesallee, initiiert von der Initiative Bundesplatz mit Unterstützung des Council for European Urbanism Deutschland, Oktober 2015. Die Bundesallee ist nicht irgendeine Straße, der Bundesplatz nicht irgendein Platz. Beide fallen schon durch ihren besonderen Namen auf, sie bilden überdies eine der auffälligsten städtebaulichen Figuren im Berliner Stadtgrundriss. Sie sind beide – neben der Stadtautobahn – die eindringlichsten Zeugen des Umbaus von West-Berlin zu einer autogerechten Stadt. Seit 2010 setzt sich die Initiative Bundesplatz, eine der größten Bürgerinitiativen Berlins, für die Wiederbelebung des Platzes als Aufenthaltsort, für die Eindämmung des Autoverkehrs und mittelfristig für die Aufgabe des Tunnels ein – bislang, trotz aller verbalen Unterstützung, mit begrenztem Erfolg.
Wir bleiben alle!
Broschüre von „Kotti Coop e. V.“, 2019. Mieterhöhungen und Mieterverdrängungen führten im letzten Jahrzehnt zu einer breiten Protestbewegung in der Berliner Innenstadt, in erster Linie im Bezirk Friedrichshain-Kreuzberg. „Kotti Coop“ wurde 2015 von Anwohnerinnen und Anwohnern des Kottbusser Tors gegründet und engagiert sich für eine „soziale Mieten- und Stadtteilentwicklung“. Der Verein ist Teil einer bunten Initiativenlandschaft rund um das Kottbusser Tor.