ARCHIPEL – LABOR: EIN ATLAS VON URBANEN INSELN FÜR BERLIN
5. Preis
Verfasser
Pedro Pitarch Standort: Madrid www.pedropitarch.com Pedro Pitarch, Gonzalo Rojas, Maria Escudero Landschaftsplanung: Pedro Pitarch Fachplanung weiterer Disziplinen: Rafael Zarza (Graphics)
TEILRAUM 1: „NEU-SÜDKREUZ“
Das Südkreuz als großstädtischer Infrastrukturknoten bedient die Region, versteht sich aber auch als Tor zur Welt; der Ort ist lokal und global zugleich. Zurzeit ist der Bahnhofsbereich von Verkehrstrassen dominiert, die eine „transitorientierte Gemeinschaft“ nicht abbilden. Die vorhandenen Restflächen und Brachen lassen keine Ordnung erkennen. Der Entwurf sieht eine Freistellung des Bahnhofs mit multifunktionalen Angeboten vor. Räumlich gefasst wird der freigestellte Stadtraum durch bauliche Ergänzungen mit umliegenden Wohnquartieren und experimentellen Gebäudetypen mit hohem Verdichtungspotenzial. Der Bereich um den Bahnhof wird zur gestalteten Platzfläche. Ein Ort von dieser Funktionsvielfalt erfordert mehrere Ebenen, die auch automatisierte, individuelle Verkehrssysteme (fliegende Taxis, Monorailsysteme, Seilbahnen) berücksichtigt.
TEILRAUM 2: TXL – „URBAN TECH REPUBLIK“
Die offene Fläche eines Flughafens ist wie eine „Insel“ – ein Ort, der sich in seiner Dimension den Anwohnern nicht erschlossen hat. Mögliche Grundlagen für Entwicklungsplanungen sind hier nicht die traditionellen Planungsinstrumente, es sind informelle Instrumente, wie zum Beispiel „Protokolle“, die temporäre Vorhaben definieren. Der Entwurf benutzt futuristische Objekte und collagiert sie zu räumlichen Konglomeraten, die einen neuen „Industrie 4.0“-Standort abbilden. Trotzdem bleibt die Ordnung des Flughafens erhalten, indem die Landebahn in ihrer räumlichen Struktur als Standort von Produktionsstätten vorgesehen wird. Das dreidimensionale Bild des Standorts TXL ist nicht als bauliche Vorgabe für die nächsten 50 Jahre entwickelt, es sind „informelle Formen des Urbanismus, die auf einem flüchtigen Charakter der Ereignisse beruhen“. Hier soll ein Experimentierfeld für den Städtebau entstehen.
TEILRAUM 3: „KÖNIGS WUSTERHAUSEN“ (KW)
Die Stadt wurde als Wohn- und Schlafstadt in den letzten Jahren sehr beliebt. Der öffentliche Nahverkehr ist mit dem S- und Regionalbahnanschluss gut getaktet. Die Anbindung über die Autobahn A 10 nach Berlin und über die A 13 nach Dresden und Cottbus begünstigt den motorisierten Individualverkehr. Die Landschaft bietet ausgezeichnete Freizeitangebote mit den Seen rund um den Müggelsee im Norden und der Heideseenlandschaft im Süden. Der Stadtbereich zerteilt sich in die Quartiere um das Schloss, das Bahnhofsviertel und das Wohnquartier zwischen Cottbuser und Luckenwalder Straße. Durch die Nähe zum BER kommt ein Standortvorteil hinzu, der im Stadtbild keine Entsprechung findet. Der Entwurf behandelt die Nachverdichtung der Plattenbausiedlung unter dem Gesichtspunkt „Wohnen und Arbeiten“, die räumliche Verbindung der drei genannten Bereiche und die Schaffung von öffentlichen Räumen im Zusammenspiel mit kommunalen Einrichtungen. Ziel der Interventionen mit architektonischen Mitteln ist es, den urbanen Charakter in einen Zusammenhang von öffentlichen und privaten Räumen zu stellen. KW soll, während es wächst, eine unverwechselbare Identität erhalten.
Erläuterungen der Verfasser
ARCHIPEL LABOR: EIN ATLAS VON URBANEN INSELN FÜR BERLIN Die zeitgenössische Stadt wird nicht mehr durch Pläne definiert. Die Planung hat aufgehört, eine effektive Disziplin in der Erzeugung des Urbanismus und in der Städteproduktion zu sein. Sie hat aufgehört, Instrumente und urbane Modelle bereitzustellen, die an die Bedürfnisse von Gesellschaften im ständigen Wandel angepasst sind. Der Archipel bietet einen neuen Entwurf, ein neues Stadtmodell für die europäische Metropole. Der Archipel unterscheidet Fragmente einer Stadt, die urbanen Inseln, die sich aus der Spannung zwischen einem Kontext und der sie umgebenden urbanen Masse ergeben. Die Inseln sind Prototypen der Stadt in der Stadt. Eine Reihe von aufkommenden urbanen Bedingungen, die in unseren Städten latent vorhanden sind, aber noch nicht ordnungsgemäß in die Planung einbezogen wurden. Jedes Stück, jede Szene, jede Insel verhält sich wie ein Labor. Wir etablieren eine Laborsituation der Stadt als Archipel. Dieses Projekt schlägt eine Neuinterpretation der Städteplanung vor, die nicht nur auf der quantitativen Bewirtschaftung des Stadtgebiets beruht, sondern auch auf der Definition von Verbindungen und Beziehungsnetzen zwischen urbanen Eigenschaften.
SECHS TYPOLOGIEN FÜR EINEN ZEITGENÖSSISCHEN METROPOLITANISMUS – Es werden sechs Typologien definiert. Jede von ihnen entspricht einer bestehenden großstädtischen Situation, die eine Stadt erzeugt und die Gesellschaft ausmacht; aber sie sind nicht innerhalb der beruflichen Praxis des Urbanismus konzipiert. Aus der Gruppe der Inseln, aus denen der Archipel besteht, werden drei konkrete Beispiele vorgestellt. Jedes entwickelt gemeinsam zwei urbane Typologien. Jedes stellt ein paar gegensätzliche, aber dennoch koexistierende Situationen vor. Sechs Situationen, deren Details es uns nicht nur ermöglichen, die urbanen Inseln separat zu erklären, sondern auch ein einheitliches Projekt zu verfolgen, das die Narration der Stadt Berlin als Archipel darstellt. 1. Urbane Häuslichkeit: Über die Domestikation des Urbanismus (Wohnen); 2. Ein altermodernes Ereignis: Über Pop-up-Urbanismen (Freizeit); 3. Konvergenzkultur: Über den Aufbau der Öffentlichkeit (Kultur und Gesellschaft) ; 4. Industrie 4.0: Über die vierte Industrielle Revolution (Industrie); 5. Pendler-Urbanismus: Über den „Take-away”-Alltag (Infrastruk-tur); 6. Fluide Arbeit: Über die Überwindung von Grenzen zwischen Produktion und Konsum (Arbeit).
VIER TERRITORIALE STRATEGIEN – Berlins Urbanismus definiert sich durch seinen Zustand als ‚Netzwerk‘, durch die Verbindungsmöglichkeiten zwischen den im Territorium verstreuten urbanen Akteuren, und nicht nur durch sein urbanes Gefüge oder seine räumliche Form. Die großstädtische Essenz Berlins hängt von seiner Fähigkeit ab, Verbindungen zwischen unterschiedlichen metropolitanen Elementen herzustellen … sie hängt davon ab, wie verschiedene Kontexte in soziale Kondensatoren, in vernetzte Stadtinseln eines großstädtischen Archipels verwandelt werden können.
1. INFRASTRUKTUR UND TRANSPORT – Von der Zentralität zum Netz. Im Gegensatz zu einer zentralisierten und hierarchischen Konzeption der Verkehrsinfrastruktur schlagen wir hier eine Hinwendung zu einem offenen Netzwerkmodell vor: dezentralisiert und demokratisch. Anstatt das aktuelle Modell, das die vier großen Bahnhöfe in Berlin umkreist, immer stärker zu betonen, schlagen wir eine Reihe von verteilten Knotenpunkten vor. Eine Konstellation von kleinen Verkehrsknotenpunkten, die – über das gesamte Gebiet demokratisch verteilt – dazu beitragen, die großen infrastrukturellen Ungleichheiten zwischen innerstädtischen und Randgebieten anzugleichen. Nach diesem Modell würden die Be-griffe Zentrum und Peripherie obsolet werden, da wie bei einem neuronalen Netz alle Punkte gleich zugänglich und perfekt miteinander verbunden sind. Zu diesem Zweck werden die bestehenden harten Infrastrukturen (Bahn und eigenes Auto) mit neuen Modellen von Smart Mobilities und weichen Infra-trukturen umgesetzt.
2. INDUSTRIE UND ENERGIE – Von der Konzentration zur Dispersion. Derzeit weist Berlin-Brandenburg eine ungleiche Verteilung seiner Industrien auf, die verdichtet in großen, von den Ballungsräumen entfernten Kernen die Spannungen und Ungleichheiten zwischen Stadt und Land, zwischen Zentrum und Vororten verstärken. Ebenso ist die Lage der Energieproduktionszentren unregelmäßig und erzeugt einen negativen ökologischen Fußabdruck. Für BB2070 schlagen wir einen schrittweisen Übergang zur Industrie 4.0 und zu erneuerbaren Energien vor: das Erreichen eines territorialen Modells, das die großen Drehkreuze sprengt und diese über das gesamte Gebiet in zahlreichen kleinen Industriegebieten in unmittelbarer Nähe und mit integrierter Energieproduktion verteilt. Dieses neue Modell hat geringere Auswirkungen auf das Gebiet und die Gesellschaft, wodurch es organisch in Großstadt- und Naturareale integriert werden kann. Es verwirft das bereits veraltete konventionelle Modell, das aufgrund seines großen, aggressiven ökologischen Fußabdrucks die Koexistenz von Industrie und Gesellschaft, Energie und Natur verhindert hat.
3. NATUR – Von der Zurückgezogenheit zur Integration. In BB2070 ist die Natur nicht mehr eine Wildnis, von der sich städtische Siedlungen unterscheiden. Stattdessen hat sie sich zu unzähligen ‚Naturen‘ vervielfacht, die nicht mehr entdeckt, sondern gebaut werden, die nicht mehr gefunden, sondern geschaffen werden, die nicht mehr durchquert werden, sondern … und was noch wichtiger ist: Sie sind keine differenzierten und sequentiellen Elemente, sondern hybrid in die Großstadtelemente integriert und mit ihnen verbunden.
4. WOHNEN UND ARBEITEN (SIEDLUNGSRÄUME) – Von der Zonenbildung zur Hybridisierung. Die strikte Zoneneinteilung der städtischen Programme, die jahrzehntelang die Gestaltung der modernen Stadt be-stimmte, hat zu einer territorialen Ungleichheit zwischen großen Wohnvororten an der Peripherie und dichten Arbeitszonen in den Zentren geführt. Dies resultierte in einer einseitigen Abhängigkeit zwischen ihnen sowie in großen Ballungsgebieten aufgrund fehlender gemischter Programme in einen Mangel an Ausstattungen. Infolgedessen sind öffentliche und private Bereiche nun-mehr in separaten Gegenden gefangen. Angesichts dieser Ungleichheit wird eine Hybridisierung von Privatleben und Arbeit vorgeschlagen. Ein neues Paradigma, nicht nur städtisch, sondern auch sozial, in dem neue Modelle des Verhältnisses von Leben und Arbeit eine ausgewogene Koexistenz von beiden ermöglichen. Eine gemischte territoriale Struktur, die neue städtische Instrumente wie Telearbeit, Co-working und Co-living integriert, um innovative Formen eines heterogeneren Metropolitanismus zu schaffen.
DREI KONKRETE TEILRÄUME 1. TXL – URBAN TECH REPUBLIC. Die TXL ist eine großstädtische Insel, die zwei der sechs definierten städtischen Typologien entwickelt: Industrie 4.0 und Altermoderne. Das Projekt macht sich die große infrastrukturelle Lücke zunutze, die der alte Flughafen Tegel hinterlassen hat, und führt eine Reihe von innovativen weichen Industrien zusammen, die im Gegensatz zu den traditionellen Industrien auf Forschung, Informationsproduktion und Kundenanpassung basieren. Das große Ausmaß dieser städtischen Interventionen ermöglicht ihre Koexistenz mit anderen, eher informellen Formen des Urbanismus, die auf dem flüchtigen Charakter der Ereignisse beruhen. So koexistieren innerhalb desselben Masterplans formelle Planungsinstrumente (auf Basis der Definition von Geltungsbereichen) mit anderen, informelleren (auf Basis der Definition von Protokollen für temporäre Entfaltung).
2. NEU-SÜDKREUZ. Besonders in Städten wie Berlin überschreitet der starke Gemeinschaftssinn der Bürger die Grenzen zwischen Mikro und Makro, zwischen global und lokal. Im Gegensatz zu vielen europäischen Städten, in denen die Stadtentwicklung um Infrastrukturknoten herum auf sogenannten Transitorientierten Entwicklungen (Transit Oriented Developments) basiert, erweitert Groß-Berlin diesen Begriff, indem es ihn mit seiner ausgeprägten sozialen Heterogenität überlagert und dadurch eher transitorientierte Gemeinschaften generiert. Neu-Südkreuz ist ein gutes Beispiel dafür. Dem-zufolge wird eine Reihe städtischer Wohngebiete bereitgestellt – eine Vielfalt von Programmen und Hausnutzungen, die befreit von den traditionellen Einschränkungen der gewohnten Wohnumwelt in die städtischen Räume ein-dringen. Abgerundet wird das Gesamtkonzept mit einem Katalog von Handlungsprotokollen für die für Berlin so charakteristischen urbanen Lücken, die die Umgebung dieses Gebiets prägen. Er umfasst eine Reihe von Strategien für die gemeinschaftliche Nutzung von vier Kategorien von Leerflächen: verlassene Grundstücke, Blockinnenhöfe, verbleibende Restflächen und stillgelegte Infrastrukturen.
3. URBANE INSEL KÖNIGS WUSTERHAUSEN. Anstelle einer konventionellen Wohnsiedlung, die wie in den meisten europäischen Städten zu einer Wohn- und Schlafstadt wird, schlagen wir hier eine Hybridisierung von Wohnen und Arbeiten, von privater und öffentlicher Sphäre vor. Die Wohnblöcke werden nicht auf den unverwechselbaren Charakter des Intimen und Privaten reduziert, sondern vergrößert und auf die Stadt ausgeweitet. Hierbei werden öffentliche Kapseln einbezogen, wodurch ein sozialer Wert der Begegnung, des Dialogs, der Produktion und des Austauschs erreicht wird. Der Masterplan umfasst drei übereinander liegende Informationsebenen: eine Insel aus städtischen Fragmenten, verstreut in einem Meer aus Natur und Landwirtschaft; eine Masse von Wohnblöcken, in denen öffentliche Räume verteilt sind; eine Matrix von Arbeitszentren sowie kulturellen und städtischen Einrichtungen. Die Verbindung zwischen den Fragmenten wird durch eine Reihe von Gehwegen für Fußgänger sowie durch ein System mit Elektrofahrzeugen (Fahrräder, Gondeln, Seilbahnen und Drohnen) hergestellt