MLA+ Berlin (Müller Michael Architekten PartGmbB) / MLA+ Rotterdam (MLA+ B. V.) / manufacturing cities Hamburg / HOSPER landschapsarchitectuur en stedenbouw Standort: Berlin / Hamburg / Rotterdam www.mlaplus.com www.manufacturingcities.com www.morelandscape.nl Team: Markus Appenzeller, Martin Probst, Christoph Michael, Maximilian Müller, Robert Younger, Ildar Biganyakov, Kai Michael Dietrich Fachplanung weiterer Disziplinen: MORE Landscape (Hanneke Kijne, ehem. Hosper landschapsarchitectuur en stedenbouw), Martin Aarts, Uli Hellweg, Studio Amore (Burke Harmel Jank GbR), Sven Kröger
DENKMODELL 1
DENKMODELL 2
DENKMODELL 3
DENKMODELL 4
DENKMODELL 5
DENKMODELL 6
Erläuterungen der Verfasser
Die Welteninsel Berlin Brandenburg 2070 – Vom Stern zur Galaxie: Vieles ist heute unsicher. Wie werden wir in 50 Jahren leben? Wie wird der Klimawan-del unsere Städte verändern? Wie werden Städte geführt? Diese Fragen las-sen sich nur schwer für lange Zeiträume zuverlässig definieren. Technologie, Urbanisierung und sozio-ökonomische Entwicklungen verändern Agglomera-tionen immer schneller, und eine Veränderung dieser Dynamik scheint un-wahrscheinlich. Berlin und sein Umland sind beides: gebaute – oder eben nicht gebaute – Realität, aber auch Lebensgefühl und Denkweise. Gerade die letzten 100 Jahre und gerade Berlin zeigen, dass sich das Gebaute und das Geplante radikal, geradezu revolutionär verändern können. Berlin und Brandenburg als Denkbilder – als State of Mind – entwickeln sich evolutionär. Sie verbinden mühelos Fontane und Berghain, Humboldt und Scharoun oder Schinkel und Eberswalde. Was muss eine Zukunftserzählung 2070 für Berlin und das Brandenburger Umland darum leisten? Wir meinen: Sicher etwas an-deres als die Leitbilder des Wettbewerbs von 1910. Sie muss nicht präzise räumliche Vorgaben machen, sondern vor allem Denkbilder erzeugen. Diese Bilder nehmen das spezielle Berlin-Brandenburger Lebensgefühl auf, stärken es und erweitern es wo notwendig. Sie laden das, was diese Region ausmacht, positiv auf. Deshalb verzichtet unser Vorschlag auf detaillierte Pläne und er-setzt sie durch sechs strategische Narrative, die zu einem großen Gesamtbild zusammengeführt werden.
Leitbild. Der Stern ist das aktuelle Leitbild der Stadtentwicklung Berlins. In seiner Struktur wird er dem Wesen des Agglomerationsraums nicht gerecht. Berlin war nie eine monozentrische Stadt. Das Umland hat selbst veritable Zentralitäten, denen man mit dem singulären Bild des Sterns nicht gerecht werden kann. Wir schlagen deshalb die Welteninsel Berlin-Brandenburg als neues Leitbild vor. Als Begriff geprägt von Alexander von Humboldt, ent-spricht sie nicht nur mehr dem polyzentrischen Berlin und seinem Branden-burger Umland, sondern ist auch tief lokal verwurzelt. Die Welteninsel ist dy-namisch, lässt Raum für neu entstehende Zentralitäten, die heute noch nicht absehbar sind, und fördert auch die Stärkung bestehender Zentren. Die Wel-teninsel kennt Masse und Leere, Lebensräume, Sternbilder, Sternenstaub, Gravitation und Umlaufbahnen. Phänomene, die wir in Berlin-Brandenburger Narrative überführt haben
100 % Stadt 100 % Landschaft. Der Westen Berlins war lange eine Großstadt ohne Hinterland. Freiraum war ein knappes Gut, das geschützt wurde. Die In-sellage erzeugte Extreme: hohe städtische Dichte hier, Leere und Landschaft jenseits des Grenzzauns. Im Osten Berlins entstanden – aus dem sozialistischen Städtebau heraus – an vielen Stellen ähnliche Raumkonstellationen. Heute ha-ben Berlin und Brandenburg deshalb eine einzigartige Beziehung, die eine der Schlüsselqualitäten der Region ist. Sie ist nicht geprägt von einer endlosen suburbanen Zone. Hier treffen Extreme aufeinander, die es so am Rand keiner anderen Metropole gibt: 100 % Stadt hier – hohe Dichte, städtisches Flair und vom Menschen dominierte Räume – und 100 % Landschaft dort – geringe Dich-te und ländliche Naturräume. Unser Vorschlag: Unbewusst und ungeplant hat sich die Welteninsel eine Entwicklungsstrategie von 100 % Stadt, 100 % Land-schaft geschaffen, die zukünftigen Herausforderungen von Klimawandel über Energiewende bis hin zum Erhalt von natürlichen Lebensräumen in idealer Wei-se gerecht werden kann. Sie sollte nicht nur am Rand der einzelnen Siedlungs-kerne genutzt werden, sondern auch an den inneren Peripherien. Große freie Flächen sollten frei bleiben: Parks, Brachen, ungenutzte Industrie- und Bahn-gelände. Berlin und die Städte und Dörfer um Berlin können sich nach innen verdichten – Platz ist vorhanden, man muss ihn nur effizient nutzen.
Das (sic!) blaue Archipel. Berlin ist eigentlich eine Stadt am Wasser, Branden-burg ist eine Wasserlandschaft. Beide nutzen diese Qualitäten zu wenig. Es gibt keine starke Beziehung beider, denn Wasser verbindet nur, wenn die Räume, in die das Wasser eingebettet ist, erlebbar sind und Verbindungen erlauben. Unser Vorschlag: Wasserverbindungen zwischen Berlin und seinem Umland werden verstärkt und erweitert. Die Hauptausfallstraßen und Achsen Berlins werden so modifiziert, dass hier neue ‚Aquamagistralen‘ entstehen. Die neuen und die bestehenden Wasserläufe werden durch begleitende Ökosysteme und durch Rad- und Fußverkehrsnetze zum Tor zum blauen Archipel. Wasser und Natur durchdringen Berlin und erhöhen die Resilienz. In Berlin entsteht ein öffentlicher Raum, der nicht nur grünblaue Qualitäten der Stadt hinzufügt, sondern Berlinern den Zugang zur Brandenburger Landschaft ermöglicht. Die Sternbilder. Berlin wäre nicht Berlin ohne Potsdam, Bernau oder Orani-enburg. Brandenburg wäre nicht Brandenburg ohne Berlin in seiner Mitte. Seit dem Aufstieg Berlins ist dieses Spannungsverhältnis ein wichtiger Faktor für die Ausbildung lokaler Identitäten. In Berlin selbst lässt sich ein ähnliches geladenes Verhältnis zwischen den Bezirken und Kiezen beobachten. Diese ‚ Kultur des Unterschieds‘ ist eine der Stärken von Berlin und Brandenburg, die nicht nur aus Lokalpatriotismus besteht, sondern sich immer auch auf die vor Ort vorhandenen Möglichkeiten bezieht und diese weiterentwickelt. Gerade Orte im Berliner Umland können hier Stärken ausspielen, die Berlin nicht bie-ten kann. Unser Vorschlag: Schaffen von Clustern von Orten, die eine Stärke ins Zentrum rücken – Natur mit Kultur, nachwachsende Rohstoffe oder Wissen. Sie sind die Einheiten einer neuen Lebens-, Bildungs- und Produktionswelt. Sowohl virtuell als auch räumlich gut vernetzt mit dem Nahverkehr, bieten sie, was die großen, etablierten Sterne nicht im Angebot haben. Als offene Sys-teme können sie zu Sternbildern wachsen, die nicht nur regionale Bedeutung haben, sondern sichtbares Zeichen in der Welteninsel sind.
Der neue Himmel über Berlin. Die Veränderung des Weltklimas ist fossilen Brennstoffen geschuldet, die irgendwann zur Neige gehen werden. Städte müssen ihren Energie- und Nahrungsmittelbedarf anders stillen – nicht an fer-nen Orten, sondern in der Region oder in der Stadt selbst. Dabei sollte kein Quadratmeter zusätzlich versiegelt werden und möglichst viel Fläche mehr-fach genutzt werden. Unser Vorschlag: Die Gebäude in der Welteninsel haben eine fünfte Fassade – die Dächer, die kaum genutzt werden. Sie können zur Energie- und Nahrungserzeugung aktiviert werden. Beinahe 50 Prozent des heutigen Stromverbrauchs von Berlin würden sich über Solarnutzung decken lassen. Viele der Flachdächer in Berlin könnten darüber hinaus als Dachacker zum Anbau von Gemüse genutzt werden. Biogas könnte in lokalen Ballons ge-speichert werden. Großkraftwerke und -märkte werden ersetzt durch Energie-produktionsnetzwerke und städtische Landbaugenossenschaften. Der neue Himmel über Berlin ist dann nicht mehr grau und menschenleer, sondern grün und voller Leben. Im Berliner Umland können die omnipräsenten ehemaligen Militärstützpunkte zu hochverdichteten Produktionsstandorten für Nahrung und Energie umfunktioniert werden. Durch ihre Kompaktheit und den industri-ellen Maßstab entstehen hier die Energiezentralen des postfossilen Zeitalters. Die Stadt, die immer wird und niemals ist. Berlin ist eine Stadt, die niemals fer-tig sein wird. Darum wird auch Brandenburg niemals fertig sein – niemals fer-tig sein können. Dies gilt sowohl räumlich als auch in Bezug auf seine Bewoh-ner. Sie wollen mitreden und mitbestimmen. Sie wollen ihre Stadt und ihre Landschaft gestalten. Jeder ist Kiez, Berlin oder Brandenburg. Die Bewohner können eine wichtigere, ja sogar die entscheidende Rolle in der Stadt- und Regionalentwicklung spielen. Unser Vorschlag: Stadt und Region werden in Makro- und Mikrozonen unterteilt. Die Makrozonen sind die Teile, die für das Funktionieren des Ganzen unabdingbar sind: große Naturräume, Hauptstra-ßen-Netze, Nahverkehr, Versorgungsnetze, insofern sie nicht dezentral orga-nisiert werden können, und strategische Industrieflächen. Die Mikrozonen sind die Viertel, die Kieze, die Dörfer. Planung und Unterhalt der Makrozonen ob-liegen den lokalen oder regionalen Regierungen. Die Mikrozonen werden von ihren Bewohnern mithilfe einer professionellen Verwaltung selbst gesteuert. Moderne Technologie – Internet und Mobilfunknetzwerke – wird genutzt, um jeden Bewohner einzubinden in die Beschlussfassung. Wenn jeder Kiez auto-nom wird, entsteht so ein Wettbewerb zwischen den Kiezen. Diese können wählen, wie sie sein wollen: grün-ruhig oder städtisch-lebendig, wirtschafts-freundlich oder eher sozial. Aus der Stadt der Kieze und der Landschaft der Dörfer und Kleinstädte kann so ein buntes Bild verschiedener Gravitationszo-nen für urbanes menschliches Zusammenleben in der Welteninsel entstehen. Die Materialumlaufbahnen. Bauen ist mit hohem Energieaufwand verbun-den. Zement muss gebrannt, Stahl geschmiedet und Kunststoff synthetisiert werden. Wird ein Gebäude renoviert oder abgerissen, wandern diese Stof-fe auf die Deponie. Ein solcher Umgang mit Materialien ist weder sinnvoll noch nachhaltig; die Knappheit von nicht erneuerbaren Rohstoffen führt heu-te schon zum Denken in Materialkreisläufen und zu einer Verschiebung hin zu erneuerbaren, pflanzlichen Rohstoffen. Dadurch entsteht auch ein neues Ver-hältnis zwischen der städtischen Metropole Berlin und ihrem Brandenburger Umland. Unser Vorschlag: Regionale Rohstoff- und Baustoffkreisläufe sollten etabliert werden. Baustoffe für Berlin kommen nicht mehr aus fernen Ländern, sondern werden regional erzeugt. In neuen, hochtechnisierten Produktions-stätten wird lokales Holz zur Hauswand. Einmal produziert, werden diese und andere Bauteile katalogisiert in Datenbanken. Sie werden nicht mehr weg-geworfen, sondern warten – wenn nicht mehr genutzt – in speziellen Bau-teillagern auf eine zweite, dritte oder vierte Nutzung. So entstehen ‚Mate-rialumlaufbahnen‘, die – wenn einmal erreicht – mit minimalem Energie- und Materialaufwand in Gang gehalten werden können.
Im Jahr 1920 war die Stadt Berlin nicht einmal ein halbes Jahrhundert Deutschlands Hauptstadt. Sie war alles andere als die unumstrittene Mitte eines großen europäischen Staates wie etwa London und Paris, sie war eher wie Rom und Moskau eine junge Hauptstadt, deren Ruf nicht immer der beste war. Im Groß-Berlin-Gesetz von 1920 gab es keine Bestimmungen, die ihren Status als Hauptstadt der jungen Weimarer Republik eindeutig regelten. Dennoch gestaltete der Gesamtstaat seither die Entwicklung der Metropole entscheidend mit. Heute prägen Bundesprojekte nicht nur die öffentlichen Debatten, sondern zunehmend auch das Bild der Hauptstadt. Staat schafft Stadt, mal zur Freude, mal zum Ärger der Berliner – wie schon seit Jahrhunderten. Neu aber ist, dass die Hauptstadt Berlin im Ausland durchaus beliebt ist, als heiteres und tolerantes Schaufenster eines nicht immer geschätzten Staates. 2021 darf Berlin sich schon wieder erinnern – an 150 schwierige Jahre als deutsche Hauptstadt.
Gustav Böß, Oberbürgermeister 1919–1929 Berlin von heute. Stadtverwaltung und Wirtschaft. Berlin 1929
Standorte für Parlament und Regierung
1920 gab es in Berlin drei stadtprägende Standorte staatlicher Präsenz: das Schloss der Hohenzollern, eigentlich ein preußisches Bauwerk, die Wilhelmstraße als Symbol staatlichen Regierungshandelns und den Königsplatz, Ort des Reichstagsgebäudes, des mächtigsten Bauwerks des deutschen Staates in Berlin. Das Schloss, ein Meisterwerk einer über Jahrhunderte agglomerierten Architektur, hatte im späten 19. Jahrhundert längst die Rolle als alleiniges Zentrum der Herrschaft verloren. Die Wilhelmstraße stieg zum offiziellen Regierungszentrum des neuen Reichs auf, zum Synonym der deutschen Reichsregierung schlechthin. Mit dem Bau des Generalstabsgebäudes von 1867 bis 1871, der „Seele des Heeres“, begann die Ansiedlung von staatlichen Herrschaftsfunktionen im Spreebogen, die mit dem Bau des Reichstagsgebäudes von 1884 bis 1894 ihren Höhepunkt und vorläufigen Abschluss fand.
Spreebogen
Kein anderer Ort vermittelt die wechselvolle Geschichte staatlicher Präsenz in Berlin so eindringlich wie der Spreebogen – Spiegel republikanischer, diktatorischer, alliierter und nun wieder demokratischer Herrschaft in der Stadt.
Wilhelmstraße
Im Kaiserreich bildete sich entlang der Regierungsmeile Wilhelmstraße eine auch von der Öffentlichkeit wahrgenommene Differenzierung in eine westliche „Reichsseite“ und eine östliche „Preußenseite“ heraus. Nach dem Zweiten Weltkrieg war dort – im wichtigsten Gebäude des Staates – der Hauptsitz der DDR-Regierung.
Schlossareal
Das Schloss verlor 1918 mit dem Ende von Krieg und Kaiserreich seine Funktion als Herrschaftssitz. Ab den 1920er Jahren diente es vor allem als Museum. In der DDR-Zeit wurde die Ruine des Schlosses 1950 gesprengt. An seiner Stelle entstand ein Staatsforum der DDR. Heute erlebt das Schloss als Humboldt Forum seine – durchaus umstrittene – Wiederauferstehung.
Geschenkt: Kulturbauten
Der Gesamtstaat hat in seiner Hauptstadt aber nicht nur für sich gebaut, sondern auch die Kultur bereichert. Zu den Geschenken des Bundes gehören heute unter vielen anderen die neue Bauakademie, das Museum für Gestaltung für das Bauhaus-Archiv, das Freiheits- und Einheitsdenkmal, das Humboldt Forum und natürlich das Museum des 20. Jahrhunderts am Kulturforum. Nicht immer sind diese Geschenke gern gesehen, oft sind sie umstritten, summa summarum bereichern sie aber die Metropole.
Pedro Pitarch Standort: Madrid www.pedropitarch.com Pedro Pitarch, Gonzalo Rojas, Maria Escudero Landschaftsplanung: Pedro Pitarch Fachplanung weiterer Disziplinen: Rafael Zarza (Graphics)
TEILRAUM 1: „NEU-SÜDKREUZ“
Das Südkreuz als großstädtischer Infrastrukturknoten bedient die Region, versteht sich aber auch als Tor zur Welt; der Ort ist lokal und global zugleich. Zurzeit ist der Bahnhofsbereich von Verkehrstrassen dominiert, die eine „transitorientierte Gemeinschaft“ nicht abbilden. Die vorhandenen Restflächen und Brachen lassen keine Ordnung erkennen. Der Entwurf sieht eine Freistellung des Bahnhofs mit multifunktionalen Angeboten vor. Räumlich gefasst wird der freigestellte Stadtraum durch bauliche Ergänzungen mit umliegenden Wohnquartieren und experimentellen Gebäudetypen mit hohem Verdichtungspotenzial. Der Bereich um den Bahnhof wird zur gestalteten Platzfläche. Ein Ort von dieser Funktionsvielfalt erfordert mehrere Ebenen, die auch automatisierte, individuelle Verkehrssysteme (fliegende Taxis, Monorailsysteme, Seilbahnen) berücksichtigt.
TEILRAUM 2: TXL – „URBAN TECH REPUBLIK“
Die offene Fläche eines Flughafens ist wie eine „Insel“ – ein Ort, der sich in seiner Dimension den Anwohnern nicht erschlossen hat. Mögliche Grundlagen für Entwicklungsplanungen sind hier nicht die traditionellen Planungsinstrumente, es sind informelle Instrumente, wie zum Beispiel „Protokolle“, die temporäre Vorhaben definieren. Der Entwurf benutzt futuristische Objekte und collagiert sie zu räumlichen Konglomeraten, die einen neuen „Industrie 4.0“-Standort abbilden. Trotzdem bleibt die Ordnung des Flughafens erhalten, indem die Landebahn in ihrer räumlichen Struktur als Standort von Produktionsstätten vorgesehen wird. Das dreidimensionale Bild des Standorts TXL ist nicht als bauliche Vorgabe für die nächsten 50 Jahre entwickelt, es sind „informelle Formen des Urbanismus, die auf einem flüchtigen Charakter der Ereignisse beruhen“. Hier soll ein Experimentierfeld für den Städtebau entstehen.
TEILRAUM 3: „KÖNIGS WUSTERHAUSEN“ (KW)
Die Stadt wurde als Wohn- und Schlafstadt in den letzten Jahren sehr beliebt. Der öffentliche Nahverkehr ist mit dem S- und Regionalbahnanschluss gut getaktet. Die Anbindung über die Autobahn A 10 nach Berlin und über die A 13 nach Dresden und Cottbus begünstigt den motorisierten Individualverkehr. Die Landschaft bietet ausgezeichnete Freizeitangebote mit den Seen rund um den Müggelsee im Norden und der Heideseenlandschaft im Süden. Der Stadtbereich zerteilt sich in die Quartiere um das Schloss, das Bahnhofsviertel und das Wohnquartier zwischen Cottbuser und Luckenwalder Straße. Durch die Nähe zum BER kommt ein Standortvorteil hinzu, der im Stadtbild keine Entsprechung findet. Der Entwurf behandelt die Nachverdichtung der Plattenbausiedlung unter dem Gesichtspunkt „Wohnen und Arbeiten“, die räumliche Verbindung der drei genannten Bereiche und die Schaffung von öffentlichen Räumen im Zusammenspiel mit kommunalen Einrichtungen. Ziel der Interventionen mit architektonischen Mitteln ist es, den urbanen Charakter in einen Zusammenhang von öffentlichen und privaten Räumen zu stellen. KW soll, während es wächst, eine unverwechselbare Identität erhalten.
Erläuterungen der Verfasser
ARCHIPEL LABOR: EIN ATLAS VON URBANEN INSELN FÜR BERLIN Die zeitgenössische Stadt wird nicht mehr durch Pläne definiert. Die Planung hat aufgehört, eine effektive Disziplin in der Erzeugung des Urbanismus und in der Städteproduktion zu sein. Sie hat aufgehört, Instrumente und urbane Modelle bereitzustellen, die an die Bedürfnisse von Gesellschaften im ständigen Wandel angepasst sind. Der Archipel bietet einen neuen Entwurf, ein neues Stadtmodell für die europäische Metropole. Der Archipel unterscheidet Fragmente einer Stadt, die urbanen Inseln, die sich aus der Spannung zwischen einem Kontext und der sie umgebenden urbanen Masse ergeben. Die Inseln sind Prototypen der Stadt in der Stadt. Eine Reihe von aufkommenden urbanen Bedingungen, die in unseren Städten latent vorhanden sind, aber noch nicht ordnungsgemäß in die Planung einbezogen wurden. Jedes Stück, jede Szene, jede Insel verhält sich wie ein Labor. Wir etablieren eine Laborsituation der Stadt als Archipel. Dieses Projekt schlägt eine Neuinterpretation der Städteplanung vor, die nicht nur auf der quantitativen Bewirtschaftung des Stadtgebiets beruht, sondern auch auf der Definition von Verbindungen und Beziehungsnetzen zwischen urbanen Eigenschaften.
SECHS TYPOLOGIEN FÜR EINEN ZEITGENÖSSISCHEN METROPOLITANISMUS – Es werden sechs Typologien definiert. Jede von ihnen entspricht einer bestehenden großstädtischen Situation, die eine Stadt erzeugt und die Gesellschaft ausmacht; aber sie sind nicht innerhalb der beruflichen Praxis des Urbanismus konzipiert. Aus der Gruppe der Inseln, aus denen der Archipel besteht, werden drei konkrete Beispiele vorgestellt. Jedes entwickelt gemeinsam zwei urbane Typologien. Jedes stellt ein paar gegensätzliche, aber dennoch koexistierende Situationen vor. Sechs Situationen, deren Details es uns nicht nur ermöglichen, die urbanen Inseln separat zu erklären, sondern auch ein einheitliches Projekt zu verfolgen, das die Narration der Stadt Berlin als Archipel darstellt. 1. Urbane Häuslichkeit: Über die Domestikation des Urbanismus (Wohnen); 2. Ein altermodernes Ereignis: Über Pop-up-Urbanismen (Freizeit); 3. Konvergenzkultur: Über den Aufbau der Öffentlichkeit (Kultur und Gesellschaft) ; 4. Industrie 4.0: Über die vierte Industrielle Revolution (Industrie); 5. Pendler-Urbanismus: Über den „Take-away”-Alltag (Infrastruk-tur); 6. Fluide Arbeit: Über die Überwindung von Grenzen zwischen Produktion und Konsum (Arbeit).
VIER TERRITORIALE STRATEGIEN – Berlins Urbanismus definiert sich durch seinen Zustand als ‚Netzwerk‘, durch die Verbindungsmöglichkeiten zwischen den im Territorium verstreuten urbanen Akteuren, und nicht nur durch sein urbanes Gefüge oder seine räumliche Form. Die großstädtische Essenz Berlins hängt von seiner Fähigkeit ab, Verbindungen zwischen unterschiedlichen metropolitanen Elementen herzustellen … sie hängt davon ab, wie verschiedene Kontexte in soziale Kondensatoren, in vernetzte Stadtinseln eines großstädtischen Archipels verwandelt werden können.
1. INFRASTRUKTUR UND TRANSPORT – Von der Zentralität zum Netz. Im Gegensatz zu einer zentralisierten und hierarchischen Konzeption der Verkehrsinfrastruktur schlagen wir hier eine Hinwendung zu einem offenen Netzwerkmodell vor: dezentralisiert und demokratisch. Anstatt das aktuelle Modell, das die vier großen Bahnhöfe in Berlin umkreist, immer stärker zu betonen, schlagen wir eine Reihe von verteilten Knotenpunkten vor. Eine Konstellation von kleinen Verkehrsknotenpunkten, die – über das gesamte Gebiet demokratisch verteilt – dazu beitragen, die großen infrastrukturellen Ungleichheiten zwischen innerstädtischen und Randgebieten anzugleichen. Nach diesem Modell würden die Be-griffe Zentrum und Peripherie obsolet werden, da wie bei einem neuronalen Netz alle Punkte gleich zugänglich und perfekt miteinander verbunden sind. Zu diesem Zweck werden die bestehenden harten Infrastrukturen (Bahn und eigenes Auto) mit neuen Modellen von Smart Mobilities und weichen Infra-trukturen umgesetzt.
2. INDUSTRIE UND ENERGIE – Von der Konzentration zur Dispersion. Derzeit weist Berlin-Brandenburg eine ungleiche Verteilung seiner Industrien auf, die verdichtet in großen, von den Ballungsräumen entfernten Kernen die Spannungen und Ungleichheiten zwischen Stadt und Land, zwischen Zentrum und Vororten verstärken. Ebenso ist die Lage der Energieproduktionszentren unregelmäßig und erzeugt einen negativen ökologischen Fußabdruck. Für BB2070 schlagen wir einen schrittweisen Übergang zur Industrie 4.0 und zu erneuerbaren Energien vor: das Erreichen eines territorialen Modells, das die großen Drehkreuze sprengt und diese über das gesamte Gebiet in zahlreichen kleinen Industriegebieten in unmittelbarer Nähe und mit integrierter Energieproduktion verteilt. Dieses neue Modell hat geringere Auswirkungen auf das Gebiet und die Gesellschaft, wodurch es organisch in Großstadt- und Naturareale integriert werden kann. Es verwirft das bereits veraltete konventionelle Modell, das aufgrund seines großen, aggressiven ökologischen Fußabdrucks die Koexistenz von Industrie und Gesellschaft, Energie und Natur verhindert hat.
3. NATUR – Von der Zurückgezogenheit zur Integration. In BB2070 ist die Natur nicht mehr eine Wildnis, von der sich städtische Siedlungen unterscheiden. Stattdessen hat sie sich zu unzähligen ‚Naturen‘ vervielfacht, die nicht mehr entdeckt, sondern gebaut werden, die nicht mehr gefunden, sondern geschaffen werden, die nicht mehr durchquert werden, sondern … und was noch wichtiger ist: Sie sind keine differenzierten und sequentiellen Elemente, sondern hybrid in die Großstadtelemente integriert und mit ihnen verbunden.
4. WOHNEN UND ARBEITEN (SIEDLUNGSRÄUME) – Von der Zonenbildung zur Hybridisierung. Die strikte Zoneneinteilung der städtischen Programme, die jahrzehntelang die Gestaltung der modernen Stadt be-stimmte, hat zu einer territorialen Ungleichheit zwischen großen Wohnvororten an der Peripherie und dichten Arbeitszonen in den Zentren geführt. Dies resultierte in einer einseitigen Abhängigkeit zwischen ihnen sowie in großen Ballungsgebieten aufgrund fehlender gemischter Programme in einen Mangel an Ausstattungen. Infolgedessen sind öffentliche und private Bereiche nun-mehr in separaten Gegenden gefangen. Angesichts dieser Ungleichheit wird eine Hybridisierung von Privatleben und Arbeit vorgeschlagen. Ein neues Paradigma, nicht nur städtisch, sondern auch sozial, in dem neue Modelle des Verhältnisses von Leben und Arbeit eine ausgewogene Koexistenz von beiden ermöglichen. Eine gemischte territoriale Struktur, die neue städtische Instrumente wie Telearbeit, Co-working und Co-living integriert, um innovative Formen eines heterogeneren Metropolitanismus zu schaffen.
DREI KONKRETE TEILRÄUME 1. TXL – URBAN TECH REPUBLIC. Die TXL ist eine großstädtische Insel, die zwei der sechs definierten städtischen Typologien entwickelt: Industrie 4.0 und Altermoderne. Das Projekt macht sich die große infrastrukturelle Lücke zunutze, die der alte Flughafen Tegel hinterlassen hat, und führt eine Reihe von innovativen weichen Industrien zusammen, die im Gegensatz zu den traditionellen Industrien auf Forschung, Informationsproduktion und Kundenanpassung basieren. Das große Ausmaß dieser städtischen Interventionen ermöglicht ihre Koexistenz mit anderen, eher informellen Formen des Urbanismus, die auf dem flüchtigen Charakter der Ereignisse beruhen. So koexistieren innerhalb desselben Masterplans formelle Planungsinstrumente (auf Basis der Definition von Geltungsbereichen) mit anderen, informelleren (auf Basis der Definition von Protokollen für temporäre Entfaltung).
2. NEU-SÜDKREUZ. Besonders in Städten wie Berlin überschreitet der starke Gemeinschaftssinn der Bürger die Grenzen zwischen Mikro und Makro, zwischen global und lokal. Im Gegensatz zu vielen europäischen Städten, in denen die Stadtentwicklung um Infrastrukturknoten herum auf sogenannten Transitorientierten Entwicklungen (Transit Oriented Developments) basiert, erweitert Groß-Berlin diesen Begriff, indem es ihn mit seiner ausgeprägten sozialen Heterogenität überlagert und dadurch eher transitorientierte Gemeinschaften generiert. Neu-Südkreuz ist ein gutes Beispiel dafür. Dem-zufolge wird eine Reihe städtischer Wohngebiete bereitgestellt – eine Vielfalt von Programmen und Hausnutzungen, die befreit von den traditionellen Einschränkungen der gewohnten Wohnumwelt in die städtischen Räume ein-dringen. Abgerundet wird das Gesamtkonzept mit einem Katalog von Handlungsprotokollen für die für Berlin so charakteristischen urbanen Lücken, die die Umgebung dieses Gebiets prägen. Er umfasst eine Reihe von Strategien für die gemeinschaftliche Nutzung von vier Kategorien von Leerflächen: verlassene Grundstücke, Blockinnenhöfe, verbleibende Restflächen und stillgelegte Infrastrukturen.
3. URBANE INSEL KÖNIGS WUSTERHAUSEN. Anstelle einer konventionellen Wohnsiedlung, die wie in den meisten europäischen Städten zu einer Wohn- und Schlafstadt wird, schlagen wir hier eine Hybridisierung von Wohnen und Arbeiten, von privater und öffentlicher Sphäre vor. Die Wohnblöcke werden nicht auf den unverwechselbaren Charakter des Intimen und Privaten reduziert, sondern vergrößert und auf die Stadt ausgeweitet. Hierbei werden öffentliche Kapseln einbezogen, wodurch ein sozialer Wert der Begegnung, des Dialogs, der Produktion und des Austauschs erreicht wird. Der Masterplan umfasst drei übereinander liegende Informationsebenen: eine Insel aus städtischen Fragmenten, verstreut in einem Meer aus Natur und Landwirtschaft; eine Masse von Wohnblöcken, in denen öffentliche Räume verteilt sind; eine Matrix von Arbeitszentren sowie kulturellen und städtischen Einrichtungen. Die Verbindung zwischen den Fragmenten wird durch eine Reihe von Gehwegen für Fußgänger sowie durch ein System mit Elektrofahrzeugen (Fahrräder, Gondeln, Seilbahnen und Drohnen) hergestellt
Thomas Stellmach Planning and Architecture / fabulism GbR Standort: Berlin / Berlin www.tspa.eu www.fabulismoffice.com Team: TSPA: Filippo Imberti / Anke Parson / Alessandra Sammartino / Aurelija Matulevičiūtė / Isabell Enssle Landschaftsplanung: Lysann Schmidt Landschaftsarchitektur Fachplanung weiterer Disziplinen: Melissa Gómez (Beraterin für nachhaltige Mobilität und urbane Innovation), Marcus Andreas (Berater für Nachhaltigkeit), Florian Strenge (Berater für Urbanismus & Design-Prozesse)
TEILRAUM 1: „SCHNITTPUNKT STADT ORANIENBURG“
Vorhandene Restflächen, die offene Bauweise in der Innenstadt und die integrierte Landschaft eignen sich für eine Nachverdichtung. Mit Bezug auf die drei Entwicklungsszenarien „sichere Gesellschaft“, „globale Gesellschaft“ und „neoökologische Gesellschaft“ werden geeignete Standorte bestimmt, die auch verschiedenste kulturelle Einrichtungen aufnehmen können und eine ökologische Entwicklung zulassen. Dabei steht die Integration ökologischer Korridore eines städtischen Wassermanagements im Mittelpunkt der Planung. Südlich des S-Bahnhofs wird ein neues Stadtquartier mit ausgedehnten Freizeiteinrichtungen vorgesehen. Im nördlichen Innenstadtbereich werden Gewerbeflächen verdichtet und ein „Biopark“ angegliedert. Kleinere Projekte wie ein Flussbad, ein Wasser-Hub zur Energiegewinnung an der Schleusenanlage oder ein schwimmendes Theater in der Havel sowie viele andere kleine Eingriffe werten die Wasserlandschaft auf und machen Oranienburg attraktiver. Dies wird nicht nur neue Bewohner anziehen, sondern auch Gewerbe, Dienstleistungsunternehmen und Produktionsstätten, die sich in den Maßstab der Stadt und in die Landschaft integrieren sollen.
Der Landkreis Teltow-Fläming gilt als außerordentlich produktiver Standort für landwirtschaftliche Erzeugnisse im Metropolenraum. Die flächendeckende Landwirtschaft führt zwangsläufig zu Umweltbelastungen, die durch den umweltbewussten Umbau der Produktionen in einen Regionalpark münden könnten, der Bestandteil übergeordneter ökologischer Korridore wird. Grundlage muss der Schutz der vorhandenen Biosysteme sein. Die Landschaft und die Gewässer müssen in einen unbelasteten Zustand zurückgeführt werden, um die Nahrungsmittelproduktion kontrolliert kleinteiliger zu organisieren. Wasser ist ein hohes Gut, dass einer permanenten Pflege bedarf. Wasserspeicherung, -infiltration, -reinigung und -verteilung sind Bestandteile eines Kreislaufs, der zur Eigenversorgung des Metropolenraums beiträgt. Regionalparks wie in Trebbin sollen weiterhin Gewerbe- und Dienstleistungsstandorte wie auch industrielle Produktionsstätten aufnehmen, sie sollten jedoch das biologische Gleichgewicht fördern und nicht belasten.
TEILRAUM 3: „KREUZBERGER KONFETTI“
Das Entwurfskonzept soll verdeutlichen, dass selbst Quartiere, die mit einer herausgehobenen Kiez-Kultur aufwarten, durch Nachverdichtung und Bearbeitung der Grünflächen vorbildhafte Funktionen für andere Quartiere haben können. Ausgehend von der Rekultivierung und Renaturierung des ehemaligen Luisenstädtischen Kanals werden die vorhandenen Grünräume in Beziehung gesetzt. Böcklerpark, Waldeckpark und Mariannenplatz werden über intensiv begrünte Wegenetze mit dem Landschaftspark am Kanal verbunden. Die vorgeschlagenen baulichen Ergänzungen tragen dazu bei, dass die Straßenräume gefasst werden und ihre Blockwirkung gestärkt wird. Belastete Durchgangsstraßen wie die Linden- und die Skalitzer Straße bleiben erhalten; andere wie die Heinrich-Heine-Straße und die Oranienstraße werden mit gesicherten Spuren für Fußgänger, Fahrräder und Pkw ausgebildet. Grundsätzlich gilt aber, dass der Verkehr aus dem Inneren der Blöcke herausgenommen wird.
Erläuterungen der Verfasser
Landschaften der Unterschiede – Es ist vergebens, die politischen, kulturellen oder wirtschaftlichen Entwicklungen der nächsten 50 Jahre vorherzusagen. Um dies zu erkennen, genügt ein Blick in die Vergangenheit. Es gibt jedoch Herausforderungen, von denen wir wissen, dass sie weit über 2070 hinausreichen werden. Wir wissen, dass sich das Klima verändern und dass Brandenburg im Schnitt wärmer und trockener werden wird. Wir wissen, dass dies Folgen für die Nahrungsmittelproduktion und die Biodiversität haben wird und dass sich die Strukturen in Industrie, Land- und Energiewirtschaft an-passen werden müssen. Auch Landschafts-, Wasser- und Biosysteme werden sich wandeln. Diese Transformation wird Jahrzehnte dauern. Sie kann auf den Stärken von Berlin-Brandenburgs Landschaft aufbauen: den Seen und Flüssen als Rückgrat einer Kulturlandschaft, die sich durch Heterogenität und Polyzentralität auszeichnet. Wir schlagen vor, einen langfristigen Transformationsprozess dieser Systeme anzustoßen, um eine widerstandsfähige und produktive Zukunft Brandenburgs und Berlins sicherzustellen. Diese Transformation schafft den Rahmen, in dem sich das Leben der Bürger in seinen gesellschaftlichen und ökonomischen Facetten frei und zukunftssicher entfalten kann. Beginnend mit den Ökosystemen Brandenburgs bildet sie die Grundlage für systemischen und nachhaltigen Wandel. Dieser Transformationsprozess schlägt sich in vier Landschaften nieder.
1) Wasserlandschaft: Die Wasserlandschaft prägt und verbindet Brandenburg und Berlin in Hinsicht auf Industrie, Biodiversität, Landwirtschaft, Energie und Verkehr sowie was den Charakter der Kulturlandschaft, ihrer Seen und Flüsse betrifft. Zugleich weist das Einzugsgebiet der Elbe, in dem Brandenburg weit-gehend liegt, die zweitgeringste Wasserverfügbarkeit pro Kopf in Europa auf. Der Klimawandel wird dies verschärfen: Durch verringerte Niederschläge und erhöhte Verdunstung im Sommer wird Brandenburg noch trockener werden, unterbrochen von vermehrt auftretenden Starkregenereignissen, was wiederum Gewässer und Böden belastet. Daher denken wir die Struktur Berlin-Brandenburgs als Netz von Wasserkreisläufen und rücken das tägliche Leben mit dem Wasser in den Vordergrund. Ein System von Grünkorridoren geschützter Lebensräume für die Tier- und Pflanzenwelt erhöht die Biodiversität. Es werden Gewässer und Moorlandschaft noch weitergehender geschützt; monokulturelle großflächige Landwirtschaftsflächen werden zu klimafesten Landwirtschaftsbetrieben gewandelt. Dies sind die Elemente einer Kreislaufwirtschaft für eine nachhaltige, respektvolle und profitable Nutzung des Landes.
2) Stadtlandschaft: Berlins Hauptverkehrsstränge haben die sternförmige Siedlungsstruktur der Stadt bedingt, was Freiräume erhalten und durch die Verdichtung entlang der ÖPNV-Achsen dem Verkehrskollaps vorgebeugt hat. Doch der Siedlungsstern allein wird dem vielfältigen Charakter der Berliner und Brandenburger Region nicht gerecht. Es braucht eine flexiblere, vielfältigere Struktur. Daher durchdringt und stützt das Netz der Wasserlandschaft den Siedlungsstern des 19. und 20. Jahrhunderts. Es entstehen Schnittpunkte, an denen neue starke Zentren entstehen, die zu Netzen zusammenwachsen: Berlin und Brandenburg, Natur und Stadt werden zu einer Landschaft der Unterschiede natürlicher und menschengemachter Räume verknüpft. Der Zersiedelung wird ein Ende gemacht, und die bestehende Siedlungsstruktur wird gezielt an existierenden und neuen Knotenpunkten verdichtet und transformiert: Dies sind die Zentren von morgen – keine Außenstädte, sondern Mittelpunkte mit einzigartiger Lebensqualität, urbaner Lebendigkeit, in der Natur und am Wasser.
3) Energielandschaft: Die Dezentralisierung findet auch energetisch statt: Energie wird effizient aus Wind, Sonne und Wasser gewonnen. Sonnenkollektoren und Windturbinen werden gezielt in die Landschaft integriert, wo Windgeschwindigkeit, Bodenbeschaffenheit, Topografie und Siedlungsstruktur dies am sinnvollsten erscheinen lassen; nicht mehr funktionale Industriegebiete dienen der dezentralen Speicherung der Energie als Wasserstoff, Wasserwärme oder in Pumpspeichern. Kurze Wege vermeiden Transportverluste, Dezentralität erhöht die Resilienz, Überschüsse werden ins Netz eingespeist, Öl und Gas spielen keine Rolle mehr, CO2-Neutralität ist Normalität. Bürgerstrom und Energiegemeinschaften auf Grundlage eines intelligenten Netzsystems machen Energieproduktion allen zugänglich.
4) Mobilitätslandschaft: Die heutige Durchschnittsgeschwindigkeit motorisierten Verkehrs in Berlin liegt bei 20 km/h. Das schafft man auch mit dem (E-)Fahrrad. Berliner Haushalte besitzen im Schnitt weniger Pkw als Haushalte anderer deutscher Städte. Wir sind auf dem richtigen Weg. Die leeren Straßen der Coronakrise haben erahnen lassen, was möglich sein kann: Straßen, die Spiel und Sport Raum geben, mehr Ruhe. Aber: Die technische Entwicklung ist unklar. Wir wissen nicht, welche Lösungen sich durchsetzen werden. Klar ist, dass sich Mobilität wandeln wird, dass das Auto und der Individualverkehr nicht mehr die Hauptrolle spielen werden, dass autonomes Fahren zu-nehmen wird. Daher schaffen wir die Voraussetzungen für eine nachhaltigere Mobilität. Das heißt: das Radwegenetz weiter ausbauen und auch für schnelle E-Mobilität zueignen, Raum für Intermodalitätspunkte zum Umsteigen zwischen Verkehrsmodi (gemeinschaftlich, öffentlich, individuell) schaffen, den motorisierten Individualverkehr einschränken, Schwerverkehr gezielt auf Transportachsen und Wasserwege leiten und dadurch gewonnene Flächen als öffentliche Räume umnutzen sowie Straßenräume als Shared Surfaces für verschiedene Mobilitätsmodi der Zukunft ertüchtigen.
Fokusgebiete – 1) Schnittpunkt Oranienburg: Oranienburg ist typisch für die Komplexität der Region: Es begegnen sich unterschiedliche urbane Strukturen, aktive und stillgelegte Industrieanlagen sowie eine vielfältige, von Wasser durchdrungene Landschaft. Am Schnittpunkt von Siedlungsstern und Landschaftsnetz entsteht ein Zentrum von morgen. Ökosysteme werden gestärkt und nachhaltigere Stadtstrukturen entstehen. Um das landschaftliche Netz entlang Lehnitzsee, Havel und Havelkanal verdichtet sich die Stadt. Über nachhaltiges Wassermanagement werden Niederschläge gesammelt und recycelt, gepuffert, infiltriert und bei Starkregen abgeführt. So wird die Stadt in heißen Sommern gekühlt und Bodennährstoffe bleiben erhalten. Das intermodale Verkehrskonzept setzt auf eine Kombination von regionalen ÖPNV-Verbindungen mit hoher Taktung und einem dichten Netz von (E-)Fahrradstrecken. An der Sachsenhausener Straße entsteht ein produktiver Park, der urbane Landwirtschaft, nachhaltige Produktion und urbanes Wohnen vereint. Am südlichen Ende des Lehnitzsees wird das ehemalige Industriegelände saniert und die Böden werden organisch gereinigt. Ein Teil des Gebiets wird in einen städtischen Park mit Freizeitangeboten umgewandelt, ein weiterer Teil zu einem gemischten Wohngebiet zwischen Park und Wasser entwickelt. Im nördlichen Grüngebiet Richtung Kuhbrücke entsteht ein Energiepark, in dem die in der Umgebung erzeugte Energie in Wasserstoff umgewandelt und gespeichert wird. Östlich der Lehnitzschleuse entsteht ein Forschungszentrum für Wasserwirtschaft.
2) Trebbiner Wasserlandschaft: Der Landkreis Teltow-Fläming ist geprägt von Flussläufen und künstlichen Kanälen, Landwirtschaft, schrumpfenden Dörfern, belasteten Gewässern, Monokulturwäldern und Verlust an Biodiversität. Er ist zudem der landwirtschaftlich produktivste Landkreis der brandenburgischen Region. Dies bringt Umweltbelastungen mit sich. Wir stellen dar, wie die räumlichen und funktionalen Systeme des Gebiets nachhaltig zu Systemen der Kreislaufwirtschaft transformiert werden können. Der Regionalpark ist Teil der übergeordneten ökologischen Korridore. Er schützt und nutzt Landschaft, Biosysteme und Gewässer produktiv für Energie, Freizeit und Nahrungsmittelproduktion – eine neue Kulturlandschaft, die nicht bukolisch, sondern effizient und performativ ist. Kleinteilige Biolandwirtschaft löst Monokulturen ab, durch ein System aus Wasserspeicherung, -infiltration, -reinigung und -wiederverwertung wird Trinkwasserqualität erreicht und die Wasserversorgung saisonal ausgeglichen. Ein grünes Energiesystem produziert Wind- und Solarenergie und vernetzt Produktionsstandorte mit dezentralen Energiespeichern. Energie-kooperativen für günstiges und dezentrales Energiemanagement entstehen.
3) Kreuzberger Konfetti: In der nördlichen Luisenstadt und der südlichen Friedrichstadt ist die heterogene Baugeschichte Berlins nicht zu übersehen. Unser Konzept steigert die Kreuzberger Mischung zum Supermix, zeigt, dass urbane Dichte und Leben im Grünen keine Widersprüche sind, bereitet die Mobilitätsinfrastruktur für die Verkehrswende vor und schafft eine wasser- und klimabewusste Stadtlandschaft. Wir beschränken den Durchgangsverkehr auf Achsen wie die Skalitzer und die Lindenstraße, bilden Straßen wie die Heinrich-Heine- und die Oranienstraße als Shared Spaces aus. Dies schafft autofreie Superblöcke, die attraktiv durch Fußgänger- und (E-)Fahrradinfrastruktur erschlossen sind. Die hinzugewonnenen Flächen werden in Grünräume umgewandelt. Mobilität wird multimodal, Umsteigen leicht gemacht und Sharing-Modelle nehmen zu. Lennés Luisenstädtischer Kanal wird wieder geöffnet und erweitert; Mariannenplatz, Waldeckpark und Böcklerpark weiten sich zu einem Parksystem aus. Niederschläge werden intelligent gelenkt und kühlen die Stadt: Überflutungsereignisse werden durch dezentrale Versickerung in Parkflächen, Mulden, Baumrigolen und Retentionsräumen abgepuffert. Die attraktiven Grünräume laden zu Sport und Spiel ein, die Luftqualität ist exzellent. Es wird ohne weitere Bodenversiegelung gezielt verdichtet, auf-gestockt, umgenutzt und im Erdgeschoss belebt, Siebzigerjahre-Riegel, IBA- und Gründerzeitstrukturen werden vermittelt, ohne ihren Charakter zu verlie-ren. Die funktionale Mischung wird verstärkt, die Wege werden noch kürzer.
Jordi & Keller Architekten / Pellnitz Architektur und Städtebau Standort: Berlin www.jordi-keller.de www.pellnitz.de Team: M. Eng. Yannick Langer, Dipl.-Ing. Nandor Kovac, Frederic Jordi Landschaftsplanung: Christina Kautz Landschaftsarchitektur Fachplanung weiterer Disziplinen: Ludwig Krause (Verkehrs- und Stadtplaner)
TEILRAUM 1: „BRANDENBURG AN DER HAVEL
Mit dem geplanten Ausbau des 3. und 4. Eisenbahnrings im Metropolenraum ist eine Nachverdichtung von Brandenburg an der Havel um die doppelte Einwohnerzahl vorstellbar. Ziel der Planung ist eine Stadtentwicklung, die unter Berücksichtigung der historischen Identitäten eine engere Durchdringung von Stadt und Natur befördert. Zwischen Neustadt und Bahnhof wird der bauliche Bestand mit der Schließung von Blöcken strukturell ertüchtigt. Dabei bleiben die baulichen Anlagen innerhalb der Blöcke weitgehend erhalten. Potenzielle Entwicklungsflächen werden im Südwesten des Bahnhofs und im Westen der Altstadt bis an die Bahnlinie geführt. Auch südlich des Bahnhofs, entlang des Jakobsgrabens, wird die vorhandene offene Bauweise durch straßenständige Bebauung verdichtet. Die erweiterte Blockstruktur trägt zu einer deutlichen Harmonisierung der Stadtstruktur aus der Vogelperspektive bei.
TEILRAUM 2: „WESTKREUZ“
Das Aufeinandertreffen der Verkehrssysteme mit ihren Richtungswechseln erzeugt beim derzeitigen Verkehrsaufkommen, speziell zu Stoßzeiten, erhebliche Staus und Überlastungen der baulichen Anlagen. Die AVUS, die erste reine Autostraße der Welt und ehemals bedeutende Autorennstrecke, wird in diesem Konzept als Boulevard ausgebildet. Der Autoverkehr wird unterirdisch geführt, der Bahnverkehr oberirdisch. Die Gleisanlagen werden zu einer Grünanlage umgestaltet, die den nahen Lietzenseepark mit dem Grunewald verbindet. Die Nordkurve nimmt ein neues Fußballstadion auf. Die städtebaulichen Ergänzungen folgen der Charlottenburger Blockstruktur. Das dominierende Element soll ein Tor aus zwei Hochhäusern mit einer Höhe von bis zu 200 Metern sein, das auch an den drei anderen Bahnhöfen entstehen soll.
TEILRAUM 3: BERLIN-MITTE
Nur wenige Entwurfsverfasser haben ihren Blick auf Berlin-Mitte gelenkt. Das Zentrum ist der historischen Mitte um 1920 angenähert. Teile der angrenzenden Königsstadt werden ebenfalls mit dem Stadtgrundriss von 1920 ergänzt. Die Stralauer Vorstadt wird straßenbegleitend mit großformatigen Wohnungsbauten verdichtet. Die Entwurfsabsicht unterstützt die Vorstellung von einer Stärkung der historischen Mitte mit einem – in der aktuellen Planung nicht vorgesehenen und fachlich umstrittenen – rekonstruierten Stadtgrundriss und zusätzlichen Kultureinrichtungen. Der vorhandene Wohnungsbau soll eine „Koalition“ mit dem rekonstruierten Stadtgrundriss eingehen. Die Idee von Peter Joseph Lenné, „Schmuck- und Grenzzüge“ in die Stadt zu integrieren, wird wieder aufgegriffen. So sieht der Entwurf vor, dass das Engelbecken in Kreuzberg über den Strausberger Platz bis zum Volkspark Friedrichshain weitergeführt wird. Der Wasserlauf soll beidseitig als Grünraum mit Alleen und Aufenthaltsflächen ausgestaltet werden.
Erläuterungen der Verfasser
STERNARCHIPEL BERLIN-BRANDENBURG 2070 – STÄDTEBAULICHES ENTWICKLUNGSKONZEPT Berlin-Brandenburg ist aus verschiedenen Dörfern und Städten entstanden. Diese Entwicklung hat zu einem Archipel von Zentren innerhalb und außer-halb Berlins geführt, die durch sternförmig ausgehende Radialen und Bahnringe miteinander verbunden sind. Innerhalb des „Hundekopfes“ ist die Struktur durch Grüninseln im dichten, großstädtischen Häusermeer, außerhalb durch Siedlungsinseln in Grün- und Naturräumen geprägt. Zwischen den Strahlen der sternförmigen Entwicklung Berlins ragen die großen Landschaftsräume bis weit in die Mitte der Metropolregion hinein. Dieser Sternarchipel mit seiner Dialektik von Bebauung und Natur stellt eine der stärksten Qualitäten und eines der größten Potenziale der Metropolregion Berlin-Brandenburg dar, die es zu festigen und weiterzuentwickeln gilt. Neue Bau- und Wohnflächen sollen vor allem innerhalb dieser Struktur als Konversion, Verdichtung und Qualifizierung von bestehenden Siedlungsflächen entstehen. Das aktuelle Leitbild eines Siedlungssterns für die Metropolregion Berlin-Brandenburg wird mit dem hier vorgeschlagenen Leitbild des Sternarchipels erweitert und differenziert. Der Begriff des Siedlungssterns und auch seine Visualisierung im Landesentwicklungsplan für die Hauptstadtregion Berlin-Brandenburg evozieren eine uneingeschränkte Verdichtung innerhalb des Siedlungssterns und berücksichtigen damit nicht seine vielfältige Durchdringung mit Naturräumen. Der Begriff des Sternarchipels, der sowohl an das Konzept von Berlin als „grünem Archipel“ als auch an Ideen des Groß-Berlin-Wettbewerbs von 1910 an-knüpft, will diese dialektische Durchdringung von Stadt und Natur als neues Leitbild vorschlagen.
DEZENTRALISIERUNGSZIEL –––– Dem Dezentralisierungsziel der Bundesregierung zur Schaffung gleichwertiger Lebensverhältnisse vor allem im strukturschwächeren ländlichen Raum folgend geht das städtebauliche Entwicklungskonzept langfristig von einer Stärkung der vorhandenen Städte Brandenburgs – auch zur Entlastung Berlins – aus. Nach Flächenschätzungen kann mit den hier vorgeschlagenen Maßnahmen bis um das Doppelte an Einwohnern in die Metropolenregion aufgenommen werden, ohne einen Qualitätsverlust der Freiräume zu erleben und nur mit minimaler zusätzlicher Bodenversiegelung.
BAHNRINGE –––– Im Raum Berlin-Brandenburg werden neben dem „Hunde-kopf“ und dem Berliner Außenring zwei weitere Bahnringe angelegt, die vorhandene Zentren an den von Berlin ausgehenden Bahnradialen miteinander verbinden, stärken und eine Entlastung des Durchgangsverkehrs durch Berlin ermöglichen. Der 3. Ring wird zu großen Teilen auf vorhandenen Bahngleisen oder direkt am Berliner Autobahnring entlanggeführt und verbindet Orte wie Oranienburg, Bernau, Strausberg, Königs Wusterhausen, Beelitz und Nauen miteinander. Der 4. Ring verbindet die Städte der sogenannten zweiten Reihe wie Brandenburg an der Havel, Frankfurt an der Oder und Cottbus. Beide Ringe bieten auch die Möglichkeit, neue Standorte für Industrie, Verwaltung und Gewerbe (aktuell zum Beispiel Tesla) mit den nächsten Orten am jeweiligen Ring zu verknüpfen. Dadurch erhalten diese Orte sowohl eine Nähe zu den Neuansiedlungen als auch zu Berlin.
EILRAUM BRANDENBURG AN DER HAVEL –––– Die Stärkung der Städte der sogenannten zweiten Reihe wie Brandenburg an der Havel, Frankfurt an der Oder oder Cottbus ist einer der zentralen Punkte des strategischen Entwicklungskonzepts. Die großen Qualitäten dieser Städte – ihre Einbettung in die Landschaft, ihre historischen Stadtkerne und die gute Erreichbarkeit der Großstadt Berlin – prädestinieren sie für eine Rolle als wichtige Oberzentren in der Region. Es gilt die Geschichte dieser Städte zu berücksichtigen und die enge Verbindung und Durchdringung von Stadt und Natur weiterzuentwickeln. Exemplarisch für diese Städte der zweiten Reihe steht Brandenburg an der Havel. Die vorhandenen Strukturen und die landschaftlichen und organischen Elemente der Stadt werden aufgenommen und weitergeführt. Die existieren-de Bebauung mit ihren Blockstrukturen wird weiter verdichtet und bis an den Stadtrand geführt, so dass hier klare Kanten zum umgebenden Landschaftsraum entstehen. Dabei werden einerseits die organischen Formen der Stadt, die sich im historischen Zentrum finden, andererseits typische Elemente der industriellen Entwicklung wie Hochsilos in Form von neuen Hochpunkten thematisiert. Zugleich durchdringen die Naturräume jedoch auch die Stadt, so dass sich Stadt und Natur auf vielfältige Weise wieder verbinden.
TEILRAUM WESTKREUZ –––– Beispielhaft für die Grundideen des Gesamtplans steht die Planung für den Bereich um das Westkreuz: die Verdichtung innerhalb der Siedlungsgrenzen, die Überbauung und Konversion von Verkehrs- und Restflächen und die Stärkung der Kreuzungspunkte von Bahnringen und Bahnradialen. Der S-Bahnhof Westkreuz wird zum Regionalbahnhof ausgebaut, der wie beim Süd-, Ost- und Nordkreuz (Gesundbrunnen) einen Umstieg von den Regionalbahnen aus dem Umland auf den S-Bahn-Ring ermöglicht. Die Autobahn wird unterirdisch geführt sowie zu Teilen zurückgebaut und somit ihre fatale Barrierewirkung beseitigt. Auf dem großräumigen Areal wird ein dichtes, sozial und funktional gemischtes Stadtquartier geplant und mit den umliegenden Quartieren gut vernetzt. Am Westkreuz werden wie an den anderen drei Bahnkreuzen Süd-, Ost- und Nordkreuz jeweils zwei Hochhäuser von rund 100 bis 200 Meter Höhe als Tore zur Berliner Innenstadt errichtet. Diese Hochhauspaare rahmen die Hochhausgruppen an den zentralen Orten der Berliner Innenstadt. Zu großen Teilen auf den alten Bahngleisen wird ein Park angelegt, der den Grunewald über den Lietzenseepark mit der Ost-West-Achse verbindet. Die Ost-West-Achse wird zu einem grünen Boulevard mit Baumreihen und einer Fahrradschnellstraße in der Mitte ausgebaut
TEILRAUM BERLIN-MITTE –––– Die Metropolregion Berlin-Brandenburg kann nicht ohne ihr Zentrum, die historische Mitte von Berlin, gedacht wer-den. Auch wenn die strategische Entwicklung im vorliegenden Konzept vor allem eine Stärkung der Städte an den Ringen vorsieht, spielt Berlins Zentrum für die gesamte Region eine zentrale Rolle. Die historische Entwicklung Berlins von der kleinen Siedlung über die Königsstadt bis hin zum politischen Zentrum Deutschlands kann nur hier abgelesen werden. Ebenso strahlen die Kultureinrichtungen im Zentrum der Stadt auf die gesamte Metropolregion aus. Für den mittelalterlichen Kern wird vorgeschlagen, die vorhandenen DDR-Bauten mit einer kritischen Rekonstruktion des historischen Stadtgrundrisses in einen Dialog treten zu lassen, um so die lange Geschichte der Stadt Berlin wieder ablesbar zu machen und durch die historischen Adressen wie-der an die einzelnen Geschichten der Häuser erinnern zu können. Östlich des mittelalterlichen Zentrums von Berlin wird Lennés Projekt der „Schmuck- und Grenzzüge“ aufgegriffen: Die Verbindung vom Engelbecken über den Strausberger Platz zum Volkspark Friedrichshain wird zu einem durchgehenden Grünzug ausgebildet und über großstädtische Platzfiguren monumentalisiert.
STRATEGISCHE ÜBERLEGUNGEN ZUM PROZESS –––– Bis heute gibt es keinen gemeinsamen länderübergreifenden öffentlichen Diskurs zur strategischen Entwicklung der Metropolregion Berlin-Brandenburg. Der Wettbewerb Berlin-Brandenburg 2070 bietet mit seinen Plänen und Bildern die große Chance, diese Diskussion anzustoßen und voranzubringen. Die Preisträger des Wettbewerbs sollten in einem mehrjährigen öffentlichen Dialogverfahren in Zusammenarbeit mit der gemeinsamen Landesplanung und im Austausch mit den Bürgern der beiden Länder ein gemeinsames Gesamtkonzept für die langfristige Entwicklung erarbeiten
KOPPERROTH / SMAQ / Alex Wall Standort: Berlin / Berlin / Cambridge (USA) www.kopperroth.de / www.smaq.net / www.alexwall.com Team: Evelina Faliagka, Moritz Maria Karl, Dominik Renner Landschaftsarchitektur: Dipl.-Ing. Stefan Tischer, freischaffender Landschaftsarchitekt Fachplanung weiterer Disziplinen: Office MMK – Urban Technologies
TEILRAUM 1
An den Rändern der Siedlungsstrahlen werden Flächen in kleinteilige Parzellen gegliedert, um diese mit unterschiedlichen Nutzungen zu füllen. Mit diesen Maßnahmen wird nicht nur die intensive Landwirtschaft befördert, sondern auch die besiedelten Flächen werden räumlich gefasst. Diese Parzellen, gegliedert durch ein engmaschiges Wegenetz, erzeugen parkartige Landschaften. Vorhandene Siedlungen werden ergänzt und neue Entwicklungsbereiche für Wohnen, Freizeiteinrichtungen oder Energieprojekte in ein räumlich definiertes Umfeld gesetzt. Diese Zwischenlandschaft kann als ein Experimentierfeld für den ökologischen Landbau, für dezentrale Energieversorgung und alternative Siedlungsflächen genutzt werden, das gleichzeitig einer Zersiedelung des Umlands entgegenwirkt. Durch die Markierung besonderer Orte, die chiffrenartig als Kreise dargestellt werden, können Sondernutzungen, wie kleine Siedlungen, landwirtschaftliche Betriebe oder Energieanlagen, in den Landschaftsraum platziert werden.
TEILRAUM 2
Abgeleitet aus der räumlichen Ordnung von Kleingärten werden „Parzellengrößen“ von 150 × 150 Meter definiert. Jedes dieser Cluster kann unterteilt und erweitert werden, um unterschiedliche Nutzungen aufzunehmen; die Energie- und Wasserversorgung wird dezentral und in kollektiver Selbstverwaltung organisiert. 50 Prozent jeder Parzelle müssen land(wirt)schaftlich bewirtschaftet werden, um den Charakter einer Parklandschaft zu erhalten. Die Einfriedung der „Parzellen“ erfolgt durch Mulden und Senken, die den Rückhalt und die Versickerung von Oberflächenwasser entlang des Wegesystems aufnehmen. Durch Baum- und Heckenpflanzungen entstehen Naturkorridore, die das Mikroklima verbessern. Das vorgezeichnete Raster bildet das öffentliche Wegenetz ab. Die Parzellen werden durch Konzeptbewerbungen in Erbbaupacht vergeben. Mit diesem Flächennutzungskonzept werden soziale und ökologische Wohnformen im Sinne einer „Übergangsgesellschaft“ für freiheitliche Lebensformen gefördert.
TEILRAUM 3
Kleingartenanlagen entlang von Haupterschließungsstraßen, wie der Autobahn 114 und der S-Bahn-Trasse zwischen Französisch Buchholz und Blankenfelde mit dem Bahnhof Blankenfelde und einem neuen möglichen Bahnhof an der Bucherstraße, warten mit geringer baulicher Dichte auf. Diese Flächen eignen sich für bauliche Entwicklungen, zumal die technische Infrastruktur und die Erschließung mit öffentlichen Verkehrsmitteln vorhanden sind. Hier handelt es sich um das Konzept einer geordneten Nachverdichtung entlang der Radialen. Vorhandene Landschaftselemente wie Alleen, Schwemmwiesen oder die Panke werden renaturiert. Der angestrebte Nutzungsmix aus Wohnen, Büroarbeitsplätzen, produzierendem Gewerbe und Logistikzentren erzeugt eine Vielfalt von Gebäudetypologien, die eine hohe bauliche Dichte erlaubt. Im Übergang zu den historischen Angerdörfern und den Verkehrstrassen nimmt der Entwurf die Einfamilienhaussiedlungen wieder auf und integriert einen geringen Teil der Kleingartensiedlungen in den Landschaftsraum.
Erläuterungen der Verfasser
Berlin wächst, und mit Berlin auch das Brandenburger Umland. Im letzten Jahrhundert wurden Brandenburg und Berlin durch die Entwicklungen entlang der Radialstraßen und S-Bahnen der Strahlen des Siedlungssterns immer enger miteinander verflochten. Die Großstadtregion Berlin-Brandenburg auch weiterhin entlang der Infrastrukturlinien zu entwickeln und das Leitbild des Siedlungssterns zu konsolidieren ist sinnvoll. Es sind allerdings ein Perspektivwechsel und eine zukunftsfähige ökonomische und soziale Vision notwendig, deren Umsetzung auf einer Gleichgewicht schaffenden Stärkung des ländlichen Brandenburger Umlands gegenüber der Ausdehnungsdynamik aus dem Zentrum der Hauptstadt heraus basiert. Die künftige Metropolenentwicklung sollte dazu anhand von drei Aktionsfeldern erfolgen: 1. Regeneration der Landschaft als ökologische Umwelt, soziales Milieu und ökonomischer Wirkungsbereich; 2. Ausformulierung der Schnittstelle zwischen Stadt und Land in einer ablesbaren Kontur des Siedlungssterns, als „Ökoton”, „Saumbiotop” be-ziehungsweise „Übergangsgesellschaft”; 3. Verflechtung der Radialen mit den grün-blauen Strukturen und Vernetzung der Siedungsstrahlen mit umlaufenden orbitalen Straßen, um so den Stern zum Netz zu entwickeln.
Die Strategie des schrittweisen Umbaus zur stadtlandschaftlichen Metropole basiert zum einen auf dem Aufgreifen und Aktivieren existierender landschaftlicher und infrastruktureller Strukturen, zum anderen auf dem Auslösen latent vorhandener und der Injektion neuer innovativer Nutzungen sowie auf dem Zulassen unvorhersehbarer Nutzungen durch Spielräume in den drei Aktionsfeldern. Grundgedanke ist, dass eine zukunftsfähige Metropole nur aus der Landschaft entwickelt werden kann. Für Berlin und Brandenburg bilden die typischen Landschaftsstrukturen, Wasseradern, Alleen, Angerdörfer und Feldstrukturen den Ausgangspunkt. Geländeform, Böden, Gewässerstrukturen, lokales Klima und Habitate sind Grundlage sowohl für die Diversifizierung der Landschaftsstrukturen als auch baulicher Entwicklungsstrategien. Das Schmettausche Kartenwerk mit seinen historischen Messtischblättern bie-tet dabei wertvolle Anhaltspunkte für die Aktivierung der landschaftlichen Gegebenheiten. Entlang der vorhandenen, oft sehr gut ausgestatteten Infrastrukturen, vor allem der Radialen mit ihren Straßenbahnen, soll verdichtet werden. Das bestehende Erschließungsnetz der historischen Alleen wird für neue Formen der Mikromobilität (On-Demand-Bus, Shared-Mobility, E-Fahrrad) qualifiziert. Dadurch entsteht zwischen den Siedlungsarmen ein engmaschiges Erschließungsnetz. Autobahnzubringer, die innerhalb des äußeren Bahnrings liegen, werden zu Schnellradwegen und dienen dem Gütertransport. Innerstädtische und urbane Produktionen und Manufakturen können so gefördert werden. Der Individualverkehr vom Umland und vom Rand in Richtung Zentrum steigt am äußeren Ring auf die Bahn um. Eine sozial gerechte und offene Gesellschaft braucht räumliche und ökonomische Freiräume, in denen Lebens- und Integrationsmodelle in großer Vielfalt probiert und praktiziert werden können. Konzeptvergabe und wertsteigerungsfreie Modelle dienen der Stärkung des gemeinnützigen und genossenschaftlichen Wohnungsbaus und ermöglichen auch kleineren Akteuren den Zugang zur Baulandentwicklung. Die Strategie eines schrittweisen Umbaus zur stadtlandschaftlichen Metropole wird exemplarisch für drei Bereiche anhand der drei Themenschwerpunkte Regionalpark, Wohnungsneubau und Umbau eines Siedlungsarms dargestellt. Der gewählte Betrachtungsraum behandelt den Siedlungsstrahl Pankow-Buch-Bernau-Barnim.
Die städtische Kontur als räumliche Strategie: „Übergangsgesellschaft” zwischen Land und Stadt. Die Kontur zeichnet die Arme des Siedlungssterns nach und vermittelt den Übergang zwischen Stadt und ländlichem Raum neu. Sie bildet ein „Freiland” und eine poröse Membran zwischen zwei gleichwertigen Kulturlandschaften. Die Kontur liegt als durchschnittlich 1.000 Meter breite Zone mal in Brandenburg, mal im Land Berlin. Sie übernimmt soziale und öko-logische Funktionen, indem sie zwei Eigenschaften vereint: einerseits eine durch die Orientierung an der offenen Landschaft geprägte landschaftliche Intelligenz und andererseits eine durch Freiräume und Öffentlichkeit geprägte Fähigkeit zum Experiment, die bisher in erster Linie in der Großstadt gegeben war. Die Kontur vereint die Qualitäten, bündelt die Kräfte von Stadt und Land und wird so zur politischen Begegnungszone. Auf neutralem Gebiet bildet sie den Nährboden für Innovationen, ist Inkubator und Experimentierfeld für eine neue, nachhaltige Großstadtregion. Die Kontur bietet Platz für neue Wohn- und Arbeitsquartiere sowie infrastrukturelle Großprojekte und bringt so Entlastung für den Entwicklungsdruck auf die Brandenburger Landschaft. Mosaik – kontextuelle und immanente Vielfalt. Als “Ökoton” steht die Kontur für Vielfalt. Die Kontur bildet durch die kontextuelle Anordnung von fünf Stadt- und Landschaftsbausteinen ein räumliches Mosaik: I Naturschutz-gebiete, II Waldlichtungen, III Wohnen und regenerative Mikrolandwirtschaften, IV Neue Stadtquartiere, V Sondernutzungen, Großprojekte und Energie. Diese Bausteine dienen sowohl der Nachverdichtung des Siedlungssterns als auch der Renaturierung und Stärkung der ländlichen Bereiche Brandenburgs. Je nach Umfeld bietet das Mosaik Raum für urbane Entwicklungspotenziale oder ist Ort für innovative Landwirtschaft und modellhafte naturräumliche Strategien. Auch innerhalb der Mosaiksteine werden Mosaike ausgebildet. Dies ist die Stärke der Kontur: Jeder Baustein setzt sich aus einer Vielfalt von Lebensentwürfen, Waldkulturen und / oder Biotopen zusammen.
Regionalpark Barnim (Bernau-Werneuchen). Neben den bestehenden Naturparks sollen vier spezielle Parklandschaften – Regionalparks – entwickelt werden, wobei zwei davon bereits ausgeprägt sind. Dieser neuer Regional-park zwischen Bernau und Werneuchen soll den landschaftlichen Transformationsprozess als Inkubator initiieren. Die historischen Messtischblätter sind dabei Anhaltspunkt für die Rekonstruktion und Entwicklung, da Mikrotopografie und Bodengegebenheiten meistens noch übereinstimmen. Diese Naturflächen werden exponentiell im Verhältnis zum heutigen Zustand erweitert (ca. Faktor 10). Darüber hinaus werden bestehende Wälder sukzessive renaturiert oder der Plenterbewirtschaftung zugeführt und Naturparks sowie Natur- und Landschaftsschutzgebiete in das Netz integriert.
Kontur-Mosaik, Themenschwerpunkt: Wohnungsneubau. Die Kontur setzt sich aus fünf unterschiedlichen Stadt- und Landschaftsbausteinen zusammen und erzeugt durch eine Mischung von Neuansiedlungen und Neupflanzungen einen ökologisch, ökonomisch und sozial vielfältigen Lebensraum. Der beispielhaft betrachtete Teilraum liegt zwischen Buch und Schwanebeck und wird von der Autobahn A 10 durchkreuzt. Der Fokus liegt auf dem für den Themenschwerpunkt Wohnungsneubau relevanten Mosaikstein. Mit ihm soll ein Experimentierfeld ermöglicht werden, das ökologische und soziale Wohnformen fördert und in seiner Vielfalt für die Vision einer „Übergangsgesellschaft” steht. Mit diesem Mosaikstein soll eine Freiheit hinsichtlich der Lebensweisen und -formen innerhalb einer Parzelle ermöglicht und ein Beitrag zur dezentralen, kollektiven Energie- und Wasserversorgung geleistet werden. Struktur und Maßstäblichkeit der Siedlung orientieren sich an Berechnungsgrößen zur landwirtschaftlichen Selbstversorgung mit durchschnittlichen Parzellengrößen von ca. 150 m × 150 m, die entsprechend der Lage und Nutzung erweitert oder unterteilt werden können. Vorhandene landschaftliche und bauliche Strukturen werden entweder integriert oder begrenzen die Struktur. Jede Parzelle ist von einem öffentlichen Wegenetz umgeben. Die Wege können dabei flexibel unterschiedlichen Verkehrsarten zugeordnet werden. Durch ein Bewerbungsverfahren sollen gemischte Akteurskonstellationen in diesem Mosaik-stein gewährleistet werden. Der sozial-ökologische Innovationsgedanke muss in der Bewerbung dargelegt werden. Damit soll eine Vielzahl an Lebensformen gefördert werden. So werden neue Qualitäten ermöglicht: ökonomische Bauweise, gegenseitige Fürsorge und Fahrgemeinschaften, vielfältige Freiräume, aber auch Innovation unter landwirtschaftlich-ökologischen Aspekten. Die Parzellen werden in Erbpacht vergeben und nicht veräußert.
Lifelines, Themenschwerpunkt: Umgestaltung eines Abschnitts einer Radialstraße innerhalb Berlins, Umgestaltung eines Abschnitts eines Siedlungsstrahls des Siedlungssterns (Brandenburg). Die Umgestaltung und Entwicklung eines Siedlungsstrahls hängt eng mit den Radialstraßen beziehungsweise den alten Landstraßen oder Alleestraßen zusammen. Der beispielhaft be-trachtete Teilraum liegt im nördlichen Pankow auf der Höhe der Angerdörfer Französisch Buchholz und Blankenburg. Die Entwicklung baut auf der historischen Landschaftsstruktur mit ihren Alleen, Gräben und Dörfern auf und bezieht jüngere Schichten wie Autobahn und S-Bahn mit ein. Die Umgestaltung folgt der These, dass die vorhandenen, sehr gut ausgestatteten Infrastrukturen in diesem durch geringe Dichte gekennzeichneten Abschnitt mehr Bewohner und Aktivitäten einer wachsenden Metropolregion stützen können und müssen. Die Radialstraßen werden eingebunden in ein Flechtwerk verschiedener Bewegungslinien und -formen, indem die Verläufe der Fließgewässer sowie der S-Bahn und Autobahn zu unterstützenden Radialen werden. Dieses Flechtwerk bildet die „Schlagadern” des Sterns und verknüpft das Mosaik der Kontur mit dem Inneren des Sterns. Entlang der Linien, zwischen den Linien und insbesondere dort, wo Bewegungen sich kreuzen, entstehen höhere Dichten – durch Nachverdichtungen, Ausbildungen von öffentlichen Räumen, Stadt-Projekte sowie vor allem durch die Förderung von Handel und Produktion in der Makers-Schiene. Die existierenden Transport-Infrastrukturen werden zu deren „Lebenslinien”
Der Bereich zwischen Südkreuz und Tempelhofer Feld entlang der S-Bahn-Trasse besteht derzeit aus aufgelassenen Gewerbestandorten, Bahnanlagen, Kleingärten, Randflächen des ehemaligen Flughafens und Restflächen um den Bahnhof Südkreuz. Die Stadtautobahn A 10 und der S-Bahn-Ring dominieren die stadträumliche Situation. Der Entwurf zeigt, wie man diese Quartiere durch eine Neuinterpretation lokal überkommener städtebaulicher Muster weiterentwickeln kann und grenzt sich deutlich gegen die Gartenstadt Neu-Tempelhof („Fliegersiedlung“) ab. Entlang der Ringbahn wirkt die Bebauung als harte Stadtkante; zur Fliegersiedlung nimmt der Bebauungsvorschlag in Teilbereichen die Proportionen des bestehenden Wohnungsbaus auf. Die Bebauung entlang der Bahntrasse durchmischt Wohnen, Arbeiten und Versorgung. Die ergänzende Bebauung südlich des Flughafengebäudes nimmt, wie auch das Gebäude selbst, Kultur- und Wissenschaftseinrichtungen auf. Eine Gruppe von drei Hochhäusern markiert das Zentrum und bildet gleichsam ein Tor nach Süden.
TEILRAUM 2: BERNAU
Nordwestlich und südöstlich des Bahnhofs Bernau bieten sich ausgedehnte Flächen für städtebauliche Planungen an. Zwei südwestlich in den Landschaftsraum hineinwirkende Konversionsflächen entlang der Bahnstrecke bestehen aus infrastrukturell erschlossenen Siedlungen, die mit unterschiedlichen Nutzungen eine neue Phase der Stadtentwicklung initiieren sollen. Die Nähe des Autobahndreiecks von A 10 und A 11 sowie der Vorteil günstiger S-Bahn-, Regionalbahn- und Fernbahnanschlüsse legen die Stadterweiterung an diesem Ort nahe. Das Konzept sieht hier im Kontrast zu den bestehenden Quartieren eine sehr hohe Verdichtung vor. Im Bereich des Bahnhofs wurden Blockstrukturen entwickelt, die die Bahntrasse umschließen und sich nach Norden und Süden hin öffnen. Nach Nordosten wird die Konversionsfläche mit einer Reihe von u-förmigen Gebäuden gesäumt, die eine großräumige Ergänzung zum Panke-Park ausbilden. Mit den ergänzenden Funktionen im südwestlich gelegenen Areal sollen Tourismus und Freizeit verstärkt werden.
TEILRAUM 3: SCHWEDT AN DER ODER
Die im Zweiten Weltkrieg stark zerstörte ehemalige Residenzstadt Schwedt an der Oder liegt am nordöstlichen Rand der Landesentwicklungsplanung. Von einem Bahnanschluss an die bestehende Verbindung Berlin-Stettin würde die Stadt Schwedt stark profitieren. Das Entwurfskonzept sieht vor, diese Anbindung herzustellen und das Bahnhofsareal von Schwedt städtebaulich mit neuen zentralen Funktionen zu fassen. Eine Bebauung der Lücken und Restflächen in der Stadt im Sinne der kritischen Rekonstruktion ermöglicht Konstellationen zur Wiedererlebbarkeit des historischen Stadtgrundrisses. Ein Alleinstellungsmerkmal ist die Landschaft des unteren Odertals mit ihren Naturschutzgebieten und dem Nationalpark. Das Heranführen der städtischen Bebauung an die Flusslandschaft würde nicht nur das Areal um die Uckermärkischen Bühnen, den Standort des 1962 gesprengten Residenzschlosses, stärken, sondern eine Aufwertung der gesamten Stadt bedeuten.
Erläuterungen der Verfasser
|| ZUSAMMENWACHSEN – LANDSCHAF(F)TSTADT || Berlin und Brandenburg wachsen zusammen Ein zukünftiges Gesamtkonzept für die Metropolenregion Berlin-Brandenburg setzt nicht nur gemeinsame politische Prozesse voraus, sondern vor allem eine gesamtheitliche städtebaulich-landschaftsplanerische Idee. Diese Idee basiert auf der Geschichte und auf den existierenden Potenzialen und Charakteristika der Berlin-Brandenburgischen Stadt- und Kulturlandschaft. Berlin-Brandenburger Städte wachsen nach innen. In Berlin gibt es große Potenziale für das Innenwachstum, für Verdichtung und räumliche Optimierung, von Baulücken über Brachen bis zur Transformation der Infrastrukturen. Zugleich muss der heute grüne Charakter der Stadt bewahrt bleiben. Dieser verkörpert ein einmaliges Erbe der Stadtentwicklung und wird zukünftig verstärkt für den klimatischen Ausgleich verantwortlich sein. Die Brandenburger Städte besitzen ebenso erhebliches Potenzial zum Wachstum innerhalb ihrer Grenzen. Dieses Innenwachstum kann die speziellen Charaktere der Brandenburger Stadttypen bewahren und verstärken. Zukünftige Mobilität wird durch Schienenverkehr geschaffen. Vor dem Hintergrund der Klima- und Energiewende stellt der Ausbau des Straßen- und Autobahnnetzes keine befriedigende Lösung dar. Dagegen eröffnen die Schienenverkehre eine nachhaltigere Perspektive, die durch die digitale Wende vorangetrieben wird. Konsequent wird sich das zukünftige Stadtwachstum an den alten und neuen Bahnlinien orientieren.
Berlin-Brandenburg und Europa. Durch die globale Verkehrswende und die Verstärkung der Schienen- und Wasserverkehre gewinnt Berlin-Brandenburg als Knotenpunkt diverser Kultur- und Handelskorridore im deutschen und europäischen Kontext an Bedeutung. Entsprechend wird das Schienen- und Wasserverkehrsnetz der Region Berlin-Brandenburg konsequent optimiert. Wachstum folgt den Radialen und verbindet die Städte. Die urbanen Erweiterungsgebiete folgen den sternförmigen Bahnradialen zwischen den geschützten Landschafts- und Kulturlandschaftsräumen. Sie verbinden so die zerstreuten Siedlungsansätze zu kompakteren Stadtstrukturen. Damit werden Flächen für die Ansiedlung von 1 Million neuen Einwohnern gewonnen, ohne die Charaktere der Stadtstrukturen radikal zu verändern – all dies im Einklang mit den großzügigen Landschaftsräumen.
Landschaft kommt in die Städte. Die von Wäldern, Seen und Agrarflächen geprägte Landschaft außerhalb Berlins stellt ein einzigartiges Zukunftspotenzial für die klimatische und ökologische Regeneration der Region dar. Den räumlichen Zusammenhang dieser Flächen zu stärken und deren Einbindung in den wachsenden, sich verdichtenden Stadtkörper zu verbessern, ist ein zentrales Motiv unseres Konzepts. So werden Naturgebiete respektive naturnahe Ge-biete mit entsprechender Infrastruktur und subtilen Wegeführungen für den Aufenthalt im Freien ertüchtigt. Kulturlandschaften verstärken die Wahrnehmung und das Verständnis der Region als Einheit und befördern in der Bevölkerung die Identifikation mit der Landschaft. So wird auch das gegenseitige Verständnis von Land- und Stadtbewohnern wachsen. Die radialen Wachstumsstränge ergänzen sich entlang der Schienen mit den zusammengefügten Räumen der Kulturlandschaft. Sie verstärken den Berliner Siedlungsstern zu einem komplementären Gefüge sich ergänzender Qualitäten: Stadt, Kulturlandschaft und Agrarlandschaft.
Der 3. Ring verbindet die Radialen. Den „Hundekopf” und den 2. Ring ergänzen wir durch einen neuen 3. Ring, um die Verbindung zwischen den Städten im Umland Berlins zu beschleunigen und so Umwege durch Berlin zu vermeiden. We-gen der Dichte und Nähe vieler Städte im Norden, Osten und Süden vernetzt der 3. Ring diese Orte und verbindet sich westlich von Potsdam mit dem 2. Ring. Dieser Kurzschluss optimiert die innere Dynamik der beiden Ringe, im Ergebnis wird der „Hundekopf” zum geometrischen Zentrum des Berliner Ringmodells. Durch den 3. Ring wird die Mobilität im Berliner Umland wesentlich erhöht und die Abhängigkeit der Städte von Berlin reduziert. Der 3. Ring wird in Phasen realisiert, hierfür bietet sich der Start im Nordost-Raum an, da hier die größte Wertschöpfung erwartet wird, synchronisiert mit dem Wachstum der brandenburgischen Zentren. Durch Anbindung an die Radialen wird schon bei einer phasenweisen Realisierung die angestrebte Netzoptimierung wirksam. Städtische Zentren an den Kreuzungen der Ringe und Radialen. Wie bereits am „Hundekopf“ entstehen an den Kreuzungen von Radialen und Ringen urbane Zentren aus gewerblichen Nutzungen, sozialen Infrastrukturen und Wohnungen, die von der optimalen Mobilität profitieren. Entlang des 3. Rings verstärken sich für die Wachstumszentren Brandenburgs die Möglichkeiten, sich unabhängig von Berlin zu entwickeln und miteinander zu verbinden.
100 % Stadt 100 % Landschaft. Der Westen Berlins war lange eine Großstadt ohne Hinterland. Freiraum war ein knappes Gut, das geschützt wurde. Die Insellage erzeugte Extreme: hohe städtische Dichte hier, Leere und Landschaft jenseits des Grenzzauns. Im Osten Berlins entstanden – aus dem sozialistischen Städtebau heraus – an vielen Stellen ähnliche Raumkonstellationen. Heute haben Berlin und Brandenburg deshalb eine einzigartige Beziehung, die eine der Schlüsselqualitäten der Region ist. Sie ist nicht geprägt von einer endlosen suburbanen Zone. Hier treffen Extreme aufeinander, die es so am Rand keiner anderen Metropole gibt: 100 % Stadt hier – hohe Dichte, städtisches Flair und vom Menschen dominierte Räume – und 100 % Landschaft dort – geringe Dichte und ländliche Naturräume. Unser Vorschlag: Unbewusst und ungeplant hat sich die Welteninsel eine Entwicklungsstrategie von 100 % Stadt, 100 % Landschaft geschaffen, die zukünftigen Herausforderungen von Klimawandel über Energiewende bis hin zum Erhalt von natürlichen Lebensräumen in idealer Weise gerecht werden kann. Sie sollte nicht nur am Rand der einzelnen Siedlungs- kerne genutzt werden, sondern auch an den inneren Peripherien. Große freie Flächen sollten frei bleiben: Parks, Brachen, ungenutzte Industrie- und Bahngelände. Berlin und die Städte und Dörfer um Berlin können sich nach innen verdichten – Platz ist vorhanden, man muss ihn nur effizient nutzen.
Der 3. Ring als Hochbahn. Zur Schonung von Kulturlandschaft, Landwirtschaft und Tierwelt wird der 3. Ring als Hochbahn konzipiert. Damit werden auch Kreuzungen mit Straßen, Autobahnen und Flüssen vereinfacht. Eine leichte Bautechnologie befördert das harmonische Verhältnis zu Natur und Landwirtschaft. Die erhöhte Sicht aus dem Zug schenkt dem Reisenden ein Landschaftserlebnis, die Bahnhöfe in den Städten werden zu attraktiven Orten. Drei exemplarische Orte. Für die Konkretisierung der Gesamtplanung haben wir drei Orte ausgewählt, die jeweils mit den Themen Mobilität, Stadtgeschichte, Wachstum und Landschaftsraum umzugehen haben. Zwei der Orte (Tempelhof-Südkreuz und Bernau) befinden sich an der Kreuzung von Radia-len und Ringen, der dritte Ort (Schwedt) ist entlang einer Radialen gelegen. Am Beispiel dieser Orte zeigen wir die Besonderheiten der Region Berlin-Brandenburg: städtische Charaktere mit widersprüchlichen Geschichten, mit Industrie und Gewerbe, mit Naturgebieten vielfältiger Art, mit guter Bahnvernetzung und Potenzialen zum Wachstum. Tempelhof-Südkreuz: Der Ort war auch früher ein exzeptioneller Ort, nicht bebaut und geprägt durch Bahnen, Wiesen, Kasernen und Übungsgelände. Heute stellen die benachbarten Kreuzungen von 1. Ring und Bahnradiale (Südkreuz) sowie von B 96, U-Bahn und Autobahnring (Tempelhof) ein einzigartiges Potenzial für eine städtebauliche Entwicklung dar. Zusätzliche Bedeutung erhält das Tempelhofer Feld als Erholungsraum und Kaltluftentstehungsgebiet für die Innenstadt. Wegen der optimierten überregionalen Erschließung bietet sich der Tempelhofer Damm für neue große Kulturprojekte in Berlin-Brandenburg an, für eine neue Landesbibliothek und für Hochschul- und Wissenschaftsstandorte im Ex-Flughafen. Die Flächen entlang der Bahn werden für gemischt genutzte Quartiere gewonnen. Die Kreuzung B 96 / U-Bahn / Stadtautobahn bietet einen idealen Ort für ein regionales Zentrum mit drei markanten Hochhäusern. Die Bahntrasse wird von einer Fahrradstrecke begleitet, die eine schnelle Verbindung zwischen Bahnhof und Flugfeld schafft. Der Autobahnring bietet sich idealtypisch für eine zukünftige Fahrradnutzung an. In der Summe wird Tempelhof-Südkreuz aus seiner stadträumlichen Isolation befreit und eine wichtige Aufgabe im Berliner Stadtgefüge erfüllen. Bernau bei Berlin: Bernau ist ein exemplarischer Fall für eine brandenburgische Stadt mit vielschichtiger Baugeschichte. Die Struktur der mittelalterlichen Mauer- und Wallanlage prägt Bernau bis heute. Die sozialistische Modernisierung ab 1975 hat die Substanz des Stadtkerns geschwächt, aber nicht ausgelöscht. Die Bahnstrecke führt von Berlin nach Nordosten, Richtung Stettin und Ostsee. Die beiden Militäranlagen zeugen von der Bedeutung der Bahnverbindungen für die Stadt. Mit dem Bau des 3. Rings und der Kreuzung mit der Nord-Süd-Radiale entsteht in Bernau ein Knotenpunkt von höchster Mobilität, der die Entwicklung eines Bahnhofsquartiers neben der Altstadt ermöglicht. Die Revitalisierung der beiden Militärkomplexe bietet Raum für Wohnungen und überregionale Forschungseinrichtungen. Die Renaturierung der Panke und der Panke-Park in unmittelbarer Nachbarschaft schaffen naturnahe Lebensbedingungen mit optimalen Verbindungen in die Region. Für den Regionaltourismus bietet der Barnim, von Bernau startend, einen optimalen Ausgangspunkt nicht nur für Bike-Touristen. Schwedt an der Oder: In Schwedt treffen drei Stadtmodelle aufeinander: die mittelalterliche Stadt (ab 1265), das barocke Residenzschloss (von 1685) mit seiner prächtigen Gartenachse zum Lustschloss Mon Plaisir und die sozialistische Idealstadt (Selmanagic 1960, Paulick 1962) für die Arbeiter in der Petroindustrie. In diesem Kontext wurde 1962 das Schloss gesprengt und durch den Kulturpalast ersetzt. Alle drei Stadtmodelle sind heute in einem fragmentarischen Zustand. Jenseits der Oder befindet sich der Oderpolder mit einer der wichtigen Oderbrücken. Mit der Bahn ist Schwedt über Angermünde an die Radiale Berlin-Stettin-Ostsee angebunden. Diese Verbindung wollen wir optimieren, so dass diese Radiale als Schnellbahn von Berlin nach Stettin zukünftig über Schwedt und dann entlang der Oder zur Ostsee führt. Städtebaulich bietet sich in Schwedt die Chance, Mobilität, Stadtgeschichte und Naturraum zu einem komplementären Neben- und Miteinander zu verschmelzen. Die Stadtmodelle werden reaktiviert: durch Stadtreparatur in der Altstadt, durch Aufbau des Schlossvolumens neben dem Theater, durch Belebung der grünen Achse und der Parkanlage Mon Plaisir und schließlich durch die bauliche Vollendung des Zentrums im sozialistischen Stadtmodell für wissenschaftliche und touristische Einrichtungen. Die neue Bedeutung des Bahnhofs führt zu einer städtebaulichen Verdichtung und besseren Anbindung, zugleich werden ehemalige Plattenbaugebiete renaturiert und das Schwemmland wird von Bebauung freigehalten. Durch diese Interventionen und den wachsenden regionalen Tourismus entlang der Oder, mit neuem Hafen, Oder-Stadtbad und Nationalpark, eröffnen sich für Schwedt beste Aussichten – an der Bahnstrecke zwischen Ostsee und Berlin gelegen.
Die Metropole war und ist mehr als Berlin! Bereits nach dem Dreißigjährigen Krieg begründete der Große Kurfürst die Ausdehnung der neuen Residenz in die Mark Brandenburg. Den Schlössern in Oranienburg und Potsdam folgte bald Charlottenburg. Vor allem aber bauten die preußischen Könige Potsdam aus – eine einzigartige Schlösser- und Parklandschaft im Südwesten Berlins. Während Potsdam historisch als Tochterstadt Berlins gelten darf, bleibt die Mutterstadt Berlins weithin vergessen: die „Chur- und Hauptstadt“ Brandenburg an der Havel, die bis ins 15. Jahrhundert bedeutendste Stadt der Region. Doch die Region hat noch weitere einzigartige Städte zu bieten. Das nähere wie weitere Umfeld Berlins ist voll von aufstrebenden Orten mit historischen Wurzeln, die mehr Aufmerksamkeit verdienen. All diese Städte und Gemeinden Brandenburgs sind längst Teil der Metropole geworden, ihre Gestaltung prägt unsere gemeinsame Zukunft.
Gustav Böß, Oberbürgermeister 1919–1929 Berlin von heute. Stadtverwaltung und Wirtschaft. Berlin 1929
Mutterstadt Berlins: Brandenburg an der Havel
Brandenburg an der Havel ist nicht irgendeine Stadt westlich von Berlin. Sie ist die älteste Stadt der ehemaligen Mark Brandenburg, die Hauptstadt der Mark bis ins späte Mittelalter hinein. Sie ist die Mutterstadt Berlins und die Großmutterstadt der Residenz Potsdam. Rechtlich handelte es sich um drei zu unterscheidende Siedlungsbereiche: die Altstadt, die Neustadt und die Dominsel. Drei großartige Kirchen und andere mittelalterliche Großbauten zeugen von der Bedeutung dieser Stadt. Im letzten Drittel des 19. Jahrhunderts wurde Brandenburg zur Industriestadt. Während der Weimarer Republik war Brandenburg ein Zentrum des Neuen Bauens. Die zur Zeit der deutschen Vereinigung stark verfallene Altstadt ist inzwischen durch eine erfolgreiche Stadterneuerung wieder zu einem Schmuckstück geworden. Heute ist Brandenburg an der Havel eine Perle im Städtekranz, dem zweiten Ring der Metropole.
Tochterstadt Berlins: Potsdam
Potsdam gilt als Gesamtkunstwerk, als Paradies, als Arkadien des Nordens. Es ist aber auch ein Werk der Hohenzollern, eine Residenz- und Garnisonstadt, eine multikulturelle Stadt. Eine junge Stadt, die erst im 17. Jahrhundert Bedeutung erhielt. Kaum eine andere deutsche Stadt wurde so stark durch herrschaftliche Eingriffe geprägt wie Potsdam. Die Funktion als Residenz der Hohenzollern verlor die Stadt 1918, die Funktion als Garnisonstadt 1994. Was zeichnet die Landeshauptstadt heute aus? Sie bietet ein städtebauliches Ensemble unterschiedlicher Schichten von internationaler Bedeutung, ein Weltkulturerbe aus Schlössern und Gärten, aber auch eine Kultur-, Bildungs- und Wissenschaftsstadt, die die Metropole außerordentlich bereichert.
Wissensstadt Potsdam
Schon im späten 19. Jahrhundert wurde auf dem Telegrafenberg Potsdams Ruf als Wissenschaftsstandort begründet. Nach der Wiedervereinigung wurde der Standort weiter ausgebaut – etwa in Golm und in Babelsberg.
Kulturstadt Potsdam
Kunst, Theater, Film, Musik: Potsdam hat sich verstärkt seit der Wiedervereinigung zu einem Kulturstandort entwickelt – mit Einrichtungen von nationaler und internationaler Bedeutung. Und einem besonderen Standort: dem Kulturquartier.
Wohnstadt Potsdam
Potsdam war immer eine besondere Wohnadresse: Neben Einwohnern prägten Soldaten die Garnisonstadt. Potsdam war von Anfang an multikulturell geprägt – mit Quartieren für Menschen unterschiedlicher Herkunft. Nach der Wiedervereinigung wurde das Wohnungsangebot erheblich ausdifferenziert.
Kleine Schwester im Umland: Hohen Neuendorf
Die Stadt Hohen Neuendorf erstreckt sich zwischen Birkenwerder und Frohnau im Landkreis Oberhavel nördlich von Berlin. Der 1349 erstmals erwähnte Ort geriet Ende des 19. Jahrhunderts nach dem Bau der Nordbahn in den Sog der wachsenden Großstadt. In den ersten Jahren der NS-Zeit wurde der Ort erheblich ausgebaut. In der DDR-Zeit erhielt er einen zusätzlichen Bahnhof am äußeren Eisenbahnring. Nach der Wiedervereinigung wuchs die Einwohnerzahl wieder erheblich. Bemerkenswert ist das besondere Zentrum an der Kreuzung der Ausfallstraße nach Oranienburg mit der Straße zum S-Bahnhof, eine Ansammlung von speziellen Bauwerken: Rathaus, Pagode, Hotel, Shoppingcenter.
Neues Leben für Militärstandorte
Kein anderes Gebiet in Deutschland war im 20. Jahrhundert so stark mit Militärflächen gepflastert wie der Raum Berlin-Brandenburg. Die Konzentration des Militärs begann schon in preußischer Zeit, erreichte in der Kaiserzeit einen ersten Höhepunkt, wurde in der NS-Zeit noch einmal zugespitzt und dann in der DDR-Zeit als Großstandort der sowjetischen Armee weiter genutzt. Etwa 100.000 Hektar Fläche sollen es gewesen sein, die 1994 beim Abzug der russischen Truppen hinterlassen wurden. Potsdam, Wünsdorf, Kummersdorf, Döberitz, Bernau, Beelitz und viele andere Orte in Brandenburg waren riesige Militärstützpunkte. Inzwischen ist ein Großteil davon umgenutzt worden – zu Erholungsgebieten, Technologiezentren, sozialen Infrastrukturen und zunehmend auch zu Wohnzwecken. Von Kasernen zu Wohnstätten!
Ländliche Reize
Brandenburg ist reich an historischen Städten und Militärarealen, umfasst aber – auch im Umland von Berlin – einprägsame ländliche Räume. Wie anderswo auch, aber doch lokal geprägt mit Dörfern, Verkehrsinfrastrukturen, Landwirtschaftsflächen, Erholungsgebieten, Gewerbegebieten, Wasserreservoirs und Windrädern. Stadt und Land sind kein Gegensatz, ebenso wenig wie Brandenburg und Berlin.
Wasserlandschaft, nicht nur zur Erholung
Die Bedeutung des Umlands von Metropolen für den Wasserhaushalt wurde lange Zeit unterschätzt. Mit dem Klimawandel, längeren Trockenperioden und Starkregengüssen rückt die große Bedeutung des Wassers, auch die Sicherung des Trinkwassers, endlich in das Aufmerksamkeitsspektrum der mitteleuropäischen Öffentlichkeit.
Um 1900 begannen in Europa die Versuche, die rasch expandierenden Großstädte politisch, administrativ und planerisch neu zu ordnen. Das war nicht nur in Berlin ein sehr schwieriger Prozess, der durch widersprüchliche Interessen behindert wurde und daher nur selten erfolgreich war.
Es sind vor allem vier Perioden, in denen dieses Thema Konjunktur hatte: (1.) vor dem Ersten Weltkrieg, als die Großstadtregionen erstmals in der Geschichte in größerem Um- fang Realität wurden, (2.) in den 1930er Jahren und während des Krieges, in denen Demokratien unter schwierigen Bedingungen großräumige Konzepte in Angriff nahmen und die hegemonialen Diktaturen auf ein gewaltiges Wachstum ihrer Hauptstädte setzten, (3.) in den 1960er Jahren, als die Suburbanisierung auf Hochtouren lief, und (4.) heute, in einer Zeit, in der sich die großen, wachsenden Städte um eine nachhaltige Zukunft kümmern müssen. Von besonderem Interesse sind hier vier europäische Hauptstädte, die sich im Laufe von mehr als 100 Jahren um die poli- tische Bildung und städtebauliche Gestaltung von Großstadtregionen bemüht haben und heute wei- ter darum ringen.
Vorgestellt werden im Überblick Geschichte, Programm und Praxis des Städtebaus in den Großstadträumen von Moskau, Wien, Paris und London. Während Groß-Wien und Bol’šaja Moskva wie Groß-Berlin Einheitsgemeinden sind, ist Grand Paris bis heute ein nicht realisiertes administratives Projekt geblieben, wohingegen Greater London keine Einheitsgemeinde meint, sondern einen regionalen Zusammenschluss von 32 boroughs (Stadtbezirke) und der City of London, mit beschränkten Kompetenzen unter Federführung der Greater London Authority.
Bol’šaja Moskva (Gross-Moskau) Hauptstadtregion zwischen Europa und Eurasien
Moskau ist eine Stadt mit breiten Prospekten und langen Magistralen, eine Stadt, in der man nur selten eine historische Struktur ausmachen kann. Auf dem Stadtplan sieht es dagegen anders aus: Fünf Ringe sind um das Zentrum, den Kreml, angelegt und erinnern an eine horizontal zerschnittene Matrjoschka. Der innerste Ring zeichnet die Umfahrung des Kremls im Uhrzeigersinn nach: durch das Altstadtviertel Kitajgorod, vorbei am Stadtpark Zarjad’e und entlang der hohen Kremlmauern am Fluss. Der Boulevard-Ring ist ein nach Süden geöffneter Bogen, der von Flussufer zu Flussufer führt und in seiner Mitte von einer Allee durchzogen ist. Die offiziell als Dritter Ring bezeichnete Autobahn wurde erst in den 2000er Jahren fertiggestellt und verläuft etwa parallel zu dem 54 Kilometer langen Moskauer Zentralring, der als Kleiner Moskauer Eisenbahnring bis 1960 die Stadtgrenze definierte. Ganz außen liegt die Umlaufbahn der MKAD (Moskovskaja kol’cevaja avtomobil’naja doroga ), ein über 100 Kilometer langer Autobahnring aus den frühen 1960er Jahren. Hier wird schon sichtbar, wie dicht Moskau bebaut ist. Den Horizont zieren Wohntürme und monumentale Plattenbauquartiere. Massiver Kern dieser überdimensionierten Matrjoschka ist der Kreml. Er offenbart Russlands Licht- und Schattenseiten: hier das historische Gemäuer, von dem aus Josef Stalin, Nikita Chruschtschow und Leonid Breschnew, von manchen bis heute als Helden verehrt, das sowjetische Volk sieben Jahrzehnte lang führten; dort die Heerscharen von Touristen, die mit ihren Kameras einen Hauch des prächtigen alten wie neuen Russlands einfangen möchten.
Generalplan für eine Millionenmetropole: Moskau 1935 bis 1941
Im zweiten Fünfjahresplan veränderte Josef Stalin ab 1933 die städtebaulichen und wohnungspolitischen Prioritäten grundsätzlich: Nicht mehr der Bau neuer Industriestädte, sondern der Ausbau von Moskau als Hauptstadt der Sowjetunion, ja der kommunistischen Weltbewegung rückte ins Zentrum. Der 1935 beschlossene Generalplan für Moskau spiegelt diese Entwicklung wider. Er war auf ein gewaltiges städtisches Wachstum orientiert. Die Fläche des Stadtgebiets wuchs von 28.500 auf 60.000 Hektar. Der wichtigste Entwicklungsraum für Wohnungsbau wurde im Südwesten ausgewiesen. Die neue Riesenstadt sollte von einem Grüngürtel aus Waldparks umgeben werden. Ein Höhepunkt des Stadtumbaus war 1935 die Eröffnung der ersten Metrolinie.
Wohnungsbau und Olympia als Motoren der Stadtentwicklung: Moskau 1955 bis 1985
Typenprojekte und industrielle Vorfertigung
Nach dem Tod Josef Stalins 1953 setzte eine Migrationswelle ein, die die Wohnungsknappheit in Moskau verschärfte. Im Kampf um Stalins Nachfolge behauptete sich Nikita Chruschtschow, der den Neubau von Wohnungen als zentrales Politikfeld erkannte. Für Moskau bedeutete dies eine großflächige Expansion der Mikrorajons bis an den äußeren Autobahnring MKAD.
Neben den Ikonen der Sowjetmoderne galten die Bauprogramme unter Nikita Chruschtschow und Leonid Breschnew den Massen. Was später in der gesamten UdSSR umgesetzt werden sollte, wurde in Moskau zunächst getestet. Unter Chruschtschow experimentierten Architekten und Ingenieure mit industrieller Vorfertigung, unter Breschnew weiteten sich die Bauprogramme von überschaubaren Quartieren zu „Mikrorajons“ für 150.000 Bewohner aus, deren Größe einer eigenen Stadt entsprach. Was beide Perioden vereinte: Der Wohnungsbau war der eigentliche Motor der Stadtentwicklung. Einen besonderen Akzent vermochten in den späten 1970er Jahren die Vorbereitungen der Olympischen Spiele 1980 zu setzen. Für die Stadt Moskau bedeuteten die olympischen Großbauten einen Modernisierungsschub für zuvor vernachlässigte Quartiere und führten zu einer Verbesserung der Infrastruktur des Verkehrs und der Stadttechnik.
Groß-Wien Schiach und fad? Jetzt schon zehn Mal: Lebenswerteste Stadt der Welt
Wien und Berlin, zwei alte Antipoden: Wien als altehrwürdige Hauptstadt des Heiligen Römischen Reichs – Berlin dagegen als rustikaler Emporkömmling. Durch die Reichsgründung unter preußischer Führung war der Bedeutungsverlust Wiens vorprogrammiert. Die Eingemeindung von Vorstädten 1892, die Donauregulierung und der Bau der Eisenbahn in die Länder der Doppelmonarchie schufen Voraussetzungen für eine rasante Industrialisierung. Die Konkurrentin an der Spree entwickelte sich aber wirtschaftlich schneller. Die Schaffung von Groß-Wien 1892 war jedoch ein Vorbild für Groß-Berlin. Nach dem Ersten Weltkrieg wurden in Wien der soziale Wohnungsbau, die kommunale Infrastruktur und die Nahversorgung auf demokratische und gemeinwirtschaftliche Grundlagen gestellt. Im austrofaschistischen Ständestaat verlor Wien 1934 seine Eigenständigkeit und wurde zur „bundesunmittelbaren Stadt“. Zwischen dem „Anschluss“ Österreichs an das Deutsche Reich 1938 und dem Beginn des Zweiten Weltkriegs 1939 entstanden monumentale Planungen für Wien nach dem Vorbild Berlins – auf dem Papier. Bereits 1938 wurde ein noch größeres „Groß-Wien“ geformt. Nach 1945 wurde Wien wie Berlin eine Viersektorenstadt unter Kontrolle der Alliierten, 1954 wurde Groß-Wien wieder verkleinert. Nach Abzug der Alliierten 1955 beschleunigte sich der autogerechte, suburbane Um- und Ausbau. Der Fall des Eisernen Vorhangs brachte wirtschaftliche Vorteile. Die neue Stadtregierung stärkt seit 2010 wieder die städtischen Institutionen. Besonders die kommunale Wohnungs- und Bodenpolitik bleibt ein viel diskutiertes Vorbild – auch für Berlin.
Das rote Wien (1919-1934)
Nach dem Ersten Weltkrieg erklärte sich Österreich zur Republik und verwies den Kaiser des Landes. Für alle Bereiche des täglichen Lebens entstanden genossenschaftliche und kommunale Institutionen. Wien wurde so in kürzester Zeit zum Labor austromarxistischer Reformen und Veränderungen. Der kommunale Wohnungsbau der Wohnbausteuerära in seinen monumentalen Blockstrukturen mit Schwimmbädern, Volksbildungseinrichtungen, Konsumgenossenschaften und der städtischen Infrastruktur ist Zeugnis dieser Ära. Das Experiment „Rotes Wien” fand mit dem Dollfuß-Putsch, dem gewaltsamen Machtantritt des klerikalen Ständestaats im Februar 1934, ein blutiges Ende.
Das schwarze Wien (1934-1938)
Die Stadtentwicklung im Austrofaschismus hatte folgende Schwerpunkte: Arbeitsbeschaffung durch Projekte wie die Höhenstraße und die Reichsbrücke, kleinteilige Siedlungen, Kirchen und ausschließlich private Stadterneuerung. Damals konnten etwa die RAVAG-Rundfunkzentrale und das Freihausviertel an der Operngasse realisiert werden, nicht aber die Projekte Führerschule im Fasangarten, der Zentralbahnhof mit Flughafen und das Dollfußdenkmal. Die Architektur kam im Gewand der klassischen Moderne daher, als rationalistischer Kontrapunkt zur burgenhaften Ästhetik der Superblocks des Roten Wien.
Grand Paris Ein uneingelöstes Versprechen
Am Beginn des 20. Jahrhunderts blickte Paris bereits auf eine lange Geschichte zurück. Seit dem Mittelalter war Frankreichs Hauptstadt immer wieder Gegenstand städtebaulicher Verschönerungsprojekte gewesen. Der große Stadtumbau zwischen 1853 und 1870 durch den Seine-Präfekten Georges-Eugène Haussmann hatte die Stadt in eine dem Kapitalismus und der Moderne verpflichtete Metropole transformiert und sie zu einem Vorbild für ganz Europa gemacht. Doch all diese Pläne hatten auf das Gebiet innerhalb der Stadtmauer fokussiert. Übergreifende Planungen, wie sie Ende des 19. Jahrhunderts für Städte wie Wien oder München entstanden waren und den Großraum der Stadt miteinbezogen, waren in Paris ausgeblieben. Erst zu Beginn des 20. Jahrhunderts rückte Grand Paris auf die Tagesordnung. Die verschiedenen Pläne für die Stadtregion, die seitdem entstanden, zeugen von einem reichen und egozentrischen Paris, dem eine schlecht ausgestattete Banlieue gegenübersteht. Paris intramuros entwickelte sich anders als der umliegende Großraum, wobei der Staat beim Bau von Neustädten, Verkehrswegen und anderen Großinfrastrukturen die zentrale Rolle spielte. Und obwohl 1976 endlich die Region Île-de-France ins Leben gerufen wurde, erfolgt ihre Ausgestaltung seither mit wenig Ehrgeiz. Seit der Jahrtausendwende wird mit Wettbewerben und Bauprogrammen wie Le Grand Pari(s), Grand Paris Express und Reinventing Paris die Idee eines Grand Paris ausformuliert, wobei teils konkurrierende Verdichtungs- und Entwicklungsprogramme dringend koordiniert werden müssen.
Erste Ideen für die Erweiterung einer eingeschlossenen Weltstadt
Zu Beginn des 20. Jahrhunderts war Paris immer noch von dem 1840 errichteten Befestigungsgürtel umschlossen und von seinen Vororten abgetrennt. Die letzte administrative Erweiterung war 1860 erfolgt, als Kaiser Napoleon III. beschlossen hatte, die Vororte innerhalb der Befestigungsanlagen zu annektieren. Erste Ideen für die Erweiterung der eingeschlossenen Stadt entstanden erst in den Jahren ab 1910 mit der Unterstützung des Musée social, der Association française des cités-jardins und der Société française des urbanistes. 1911 richteten das Département Seine und die Stadt Paris eine Erweiterungskommission ein, die einen Bericht für die Entwicklung von Paris und seinen Vororten veröffentlichte. Im Zentrum stand zunächst die Grünfrage. Die möglichen Optionen lauteten: Pocketparks, Grüngürtel oder Parksystem nach US-amerikanischem Vorbild. 1919 folgte ein Ideenwettbewerb für die Regulierung und Erweiterung von Paris nach dem Vorbild des Wettbewerbs Groß-Berlin von 1910. Der Preisträger Léon Jaussely, der bereits 1904 als Sieger aus dem Wettbewerb für die Stadterweiterung von Barcelona hervorgegangen war und 1909 zusammen mit Charles Nicod einen viel beachteten Beitrag zum Wettbewerb Groß-Berlin eingereicht hatte, schlug ein duales Parksystem rund um Paris vor, ferner plante er zwei Industriezonen flussaufwärts und flussabwärts der Seine sowie Stadterweiterungen in Form von Gartenstädten und -vororten. Doch sein Vorschlag blieb zunächst ohne konkrete Folgen.
Erste Ideen zu Erweiterungsplänen für Paris bis 1919
Trente Glorieuses 1946-1975: Große Pläne, große Infrastrukturen, große Siedlungen
Große Siedlungen
In den glorreichen 30 Jahren (Trente Glorieuses) zwischen 1946 und 1975 durchlebte die Region Paris einen institutionellen wie wirtschaftlichen Aufholprozess. 1961 entstand mit dem „Distrikt der Region Paris“ eine Verwaltungsstruktur, die von einem durch Präsident Charles de Gaulle ernannten hohen Beamten, Paul Delouvrier, geleitet wurde. Es folgte die Gründung eines regionalen Planungsbüros, des Institut d’Aménagement et d’Urbanisme (IAU), heute Institut Paris Region (IPR). 1965 trat ein neuer Regionalentwicklungsplan in Kraft, der mit der radial-konzentrischen Urbanisierung brach und dafür die Metropolenentwicklung entlang der Täler der Seine und Marne forcierte. Der Plan sah den Ausbau eines regionalen Eisenbahnsystems (RER) und die Entwicklung des neuen Großflughafens Roissy (Paris-Charles-de-Gaulle) vor. Um den erwarteten Bevölkerungszuwachs aufzunehmen, sollten fünf neue Trabantenstädte entstehen. Auch dieser Plan schenkte dem eigentlichen Stadtgebiet von Paris wenig Aufmerksamkeit, zusätzlich verstärkte der Bau des ringförmig um Paris verlaufenden Boulevard Périphérique die materielle Grenze zwischen Paris und seiner Banlieue. Mit der Beseitigung von „unsanierten“ Wohnblöcken und dem Ausbau der unterirdischen RER-Bahnhöfe wie Les Halles oder Étoile erfuhr das Zentrum von Paris dennoch große Veränderungen. Insbesondere der urbanisme sur dalle, der eine vollständige Trennung zwischen unterirdischem Autoverkehr und oberirdischem Fußgängerverkehr vorsah und eine besonders erfolgreiche Spielart der autogerechten Stadt in Frankreich darstellte, konnte sich in zahlreichen innerstädtischen Projekten realisieren. Ein besonders prominentes Beispiel ist die Esplanade im Hochhausviertel La Défense.
Greater London Städtebau zwischen Deregulierung und Regulierung
Greater London blickt auf eine bewegte, über 2.000-jährige Geschichte zurück und zählt heute rund 8,9 Millionen Bewohner. Die Hafenstadt an der Themse ist seit Jahrhunderten eine bedeutende Handels- und Dienstleistungsmetropole, ein wichtiger internationaler Finanzstandort und ein herausragendes Zentrum von Kultur und Kreativität, Innovation und Forschung. Seit den 1990er Jahren wächst die Stadt erneut dynamisch, bis 2041 wird eine Bevölkerungszunahme auf 10,8 Millionen Einwohner erwartet – auch wenn die aktuelle Entwicklung aufgrund des Brexit von Ungewissheit geprägt ist. Die städtebauliche Entwicklung Londons in den vergangenen 100 Jahren ist ein Spiegel politischer Strömungen auf nationaler und auf lokaler Ebene. Nach dem Zweiten Weltkrieg hat ein sehr aktiver Wohlfahrtsstaat in großem Umfang sozialen Wohnungsbau realisiert, der weite Teile Londons städtebaulich prägt. Unter Premierministerin Margaret Thatcher (1979 – 1990) wurde eine beispiellose Deregulierungspolitik vorangetrieben, die in der Abschaffung der Londoner Stadtregierung Greater London Council und einem Planungsvakuum gipfelte. Unter Tony Blair (1997 – 2007) wurde die Stadtregierung Greater London Authority im Jahr 1998 deutlich kleiner und moderner neu gegründet. Zum Millennium erlebte London eine städtebauliche Renaissance, zu den Olympischen Sommerspielen 2012 blickte die Welt auf den umgebauten Osten der Stadt. Seitdem arbeitet London an der Transformation zu einer nachhaltigen Metropole, stärkt den Radverkehr und versucht, auf dem Wohnungsmarkt für bezahlbare Mieten zu sorgen.
Visionen für die Stadtregion von morgen formulieren
Die Entwicklung der Stadtregion durch einen großen Plan, durch eine Vision zu steuern, die den gesamten Ballungsraum umfasst, ist ein Wunsch, der sich durch das letzte Jahrhundert der Planungsgeschichte zieht. Diese Pläne haben immer auch aktuelle gesellschaftliche und ökonomische Entwicklungen adressiert: die Trennung von Wohn- und Industriegebieten (County of London Plan, 1943) oder die Integration benachteiligter Bevölkerungsgruppen (London Plan). Zuletzt setzten sich gesamtstädtische Konzepte wie die für die Stärkung Londoner High Streets mit der Planung der äußeren Stadt auseinander – mit Gebieten, in denen eine geringere Bevölkerungsdichte, weniger Nutzungsmischung oder weite Wege zu Haltestellen des öffentlichen Nahverkehrs besondere planerische Ideen erfordern.
Den Londoner Osten transformieren
Der Londoner Osten entlang der Themse war über Jahrhunderte durch Hafengebiete, Industrieareale und Arbeiterwohnquartiere geprägt. Nach dem Niedergang dieser Nutzungen wurde ab den 1980er Jahren die Transformation des Londoner Ostens zu einem zentralen Thema der Stadtentwicklung. Zunächst gab es – wie beim Projekt Canary Wharf – große Rückschläge aufgrund einer mangelnden Anbindung, hoher Kosten der Dekontamination und zu geringer Nachfrage. Wirklichen Auftrieb erhielt die Entwicklung erst im Jahr 2005, als die Stadt den Zuschlag erhielt, die Olympischen Sommerspiele 2012 auszurichten. Mit dieser Entscheidung wurde nicht nur der Bau des Olympischen Parks im Lower Lea Valley als gigantisches Großprojekt angestoßen, sondern auch umfangreichen Projekten zur Erneuerung der angrenzenden Quartiere der Weg geebnet.