Berlin-Brandenburg 2020 – 2070 – learning from the cities
Engere Wahl und nicht prämierte Beiträge
Verfasser
studio2020 Matzat Henkel GbR / von Ey Architektur PartG mbB / Ebbing Standort: Berlinwww.studio2020.eu Landschaftsplanung: Stephan Bracht
TEILBEREICH 1 – „DAS SCHÖNEBERGER SÜDGELÄNDE“
TEILBEREICH 2 – „GARTENSTADT GROSSZIETHEN“
TEILBEREICH 3 – „SEESTADT KÖNIGS WUSTERHAUSEN“
Erläuterungen der Verfasser
Wenn wir uns fragen, was Berlin und Brandenburg so speziell und zu einer der großartigsten Metropolen der Welt macht, dann ist es die Diversität der Architekturen und Quartiere, die aus völlig unterschiedlichen Epochen der gesamten Stadtbaugeschichte stammen. Der Hobrechtsche Blockrand, die gebaute Moderne, die sozialistischen Stadtplanungen, die Nachwendearchitektur der kritischen Rekonstruktion, aber auch die Dörfer, die ländliche Weite, die endlosen Kiefernwälder und die Seenlandschaft im Brandenburger Umland tragen für uns gleichberechtigt zur Qualität und zum einzigartigen Charakter der Metropolregion bei. All das möchten wir nicht missen und infrage stellen. Daher lehnen wir ein Tabula-rasa-Denken sowie utopische Fiktionen für Berlin und Brandenburg zugunsten eines „learning from the cities“ ab. Wir sind überzeugt davon, dass unsere Strategie der Aneignung und empirischen Form hervorragend dazu geeignet ist, eine selbstverständlichere, nachhaltigere und somit lebenswertere Perspektive für die Entwicklung von Stadt und Region aufzuzeigen. Unser referenzieller Blick richtet sich auf die gesamte Geschichte des Städtebaus in Europa, um bewährte Lösungen zu finden, mit denen die vorgefundenen Typologien behutsam transformiert und weiterentwickelt werden können.
Großmaßstäbliche Umsetzung – Im Sinne unserer Strategie haben wir acht Stadtmodelle, die sich in sozialer, stadtästhetischer, ökologischer und somit lebenswerter Hinsicht bewährt haben, zu einer großräumlichen Collage City gefügt. Dies ermöglicht, auf unterschiedliche städtebauliche Kontexte angemessen zu reagieren: Ebenezer Howards Ideen einer Gartenstadt können dem suburbanen Sprawl entgegenwirken und durchgrünte Quartiere mit stadträumlichen Qualitäten schaffen. / Der organische Blockrand, den Eliel Saarinen in seinen Plänen für Groß-Helsinki vorschlug, ermöglicht es, den erfolgreichsten Typus der Berliner Stadttextur weiterzudenken. / Die Grands Ensembles von Fernand Pouillon liefern die Referenz für Verdichtung und stadträumliche Aufwertung von Plattenbau- und Großsiedlungen an den Randbereichen Berlins. / Mit den Plänen von Auguste Perret zum Wiederaufbau von Le Havre kann in vorgenannten Situationen, jedoch noch großmaßstäblicher, agiert werden, um neue Subzentren zu schaffen. / Die Neuinterpretation von Otto Wagners Idealentwurf für eine Großstadt mit seinen gerasterten und hierarchisierten Stadträumen wird zur Etablierung neuer Mittelstädte an den Ausfahrtsradialen transformiert. / Die Cité industrielle von Tony Garnier hat das Potenzial, weniger dichte, durchgrünte Subzentren im Berliner Umland auszubilden. / Eine Analogie zu den länglichen Blockrändern, die Hendrik Petrus Berlage in seinem Plan Zuid für Amsterdam vorsah, schafft den selbstverständlichen Anschluss an den Berliner Blockrand mit einer Qualitätsverbesserung der Wohnungen. / Der hochverdichtete Blockrand, wie ihn Ildefons Cerdà für Eixample plante, steht Pate für neu zu schaffende durchmischte Stadtquartiere im Zentrum der Kernstadt, wie zum Beispiel auf dem Tempelhofer Feld oder dem Schöneberger Südgelände. / Die neuen Ortschaften werden an das bestehende System der großen Radialen angebunden und erhalten einen räumlichen, funktionalen und verkehrstechnischen Bezug zur Berliner Innenstadt als Mittelpunkt.
Infrastrukturelle Themen und Leitbilder – Revival der Korridorstraße – Der atmosphärische Charakter der Kernstadt ist durch die Korridorstraßenräume der Gründerzeit geprägt. Ihre Querschnitte haben sich über die Zeit bewährt und waren stets in der Lage, sich den wandelnden Mobilitätsansprüchen anzupassen. Wir glauben nicht an ein Ende des motorisierten Individualverkehrs. Gleichwohl wird er sich radikal, hin zu ökologischen und automatisierten Modellen entwickeln, die deutlich weniger Platz im Straßenraum benötigen. Der freigewordene Raum wird für eine vor dem Hintergrund des Klimawandels notwendige Durchgrünung (lineare Parks), ein flächendeckendes Fahrradwegenetz sowie zur Aufwertung der Fußgängerbereiche genutzt.
Stadt der grünen Ringe – Im Zuge von drei infrastrukturellen Großprojekten werden die im Stadtgrundriss bereits vorhandenen Ringe und Radialen zu großstädtischen grünen Promenaden. So wird der Raum unter den Hochbahnen – etwa an der Skalitzer Straße und der Schönhauser Allee – für den motorisierten Individualverkehr genutzt. Auf den jetzigen äußeren Fahrstreifen entstehen lineare Parks, und ein innerer Ring verknüpft ideal alle zentralen Stadtteile für Fahrradfahrer und ÖPNV-Nutzer. Als zweite Maßnahme wird die Trasse der Stadtautobahn, die stadträumlich eine große Barriere darstellt, zurückgebaut und dennoch als großstädtische Hauptverkehrsstraße in Form einer Ringpromenade erhalten. Ihr Querschnitt kann deutlich reduziert werden, da der neue Verkehr beinahe emissionsfrei wird und die freigewordenen Flächen mit einer linearen Randbebauung der jetzigen Brandwandflächen geschlossen werden. Hier liegt ein Potenzial der Nachverdichtung, welches das Ausmaß der vor einigen Jahren vorgeschlagenen Randbebauung des Tempelhofer Feldes bei Weitem übertrifft. Eine zusätzliche Ringbahn verknüpft die Orte im Brandenburger Umland konzentrisch miteinander und bildet einen starken übergeordneten, identitätsstiftenden Verbund.
Nachverdichtung der Kernstadt – Aufgrund der prognostizierten Bevölkerungsentwicklung und des dringenden Bedarfs an Wohnraum ist zu evaluieren, wo neben den selbstverständlichen und selten vorhandenen Baulücken noch neue großmaßstäbliche Quartiere entstehen können. Hier bietet sich vor allem die Nutzung der vorhandenen Kleingartenflächen sowie eine teilweise Bebauung der Flughafenbrachen in Tempelhof und Tegel an.
Drei konkrete Teilräume – Das Schöneberger Südgelände – Bau eines neuen Bahnhofsquartiers am Südkreuz – Das Schöneberger Südgelände ist seit dem Wettbewerb 1911, den Bruno Möhring mit einer typischen Berliner Blockrandbebauung gewann, ein wichtiges städtebauliches Thema Berlins. Die heute größte zusammenhängende Kleingartenfläche Berlins bietet, bei Erhalt des Naturparks Schöneberger Südgelände, ein enormes Potenzial für ein 3.037.245 Quadratmeter großes urbanes Stadtquartier. Die Umgestaltung des Innsbrucker Platzes und der Rückbau des Autobahnkreuzes Schöneberg verweben das neue Quartier selbstverständlich mit den angrenzenden Stadtteilen Friedenau, Tempelhof und Schöneberg. Die Neuplanung fällt im Stadtgrundriss nur durch den Maßstabssprung in den geplanten Blockgrößen auf. Der Bahnhof Südkreuz erhält einen angemessenen städtischen Vorplatz und eine direkte Anbindung an das neue Quartier. Die geplante Stadttextur ist aus dem organischen Blockrand, wie ihn Eliel Saarinen in den Plänen für Groß-Helsinki und Tallinn vorlegt hatte, abgeleitet. Sie ermöglicht es, den gründerzeitlichen Block weiterzudenken und vermeidet mit den kleineren Blockzuschnitten die Probleme des Hobrechtschen Städtebaus mit seinen engen Hinterhöfen. Zudem schlagen wir eine neue Traufhöhe von 30 Metern vor, die eine höhere Dichte ermöglicht. Der hohe Versiegelungsanteil wird durch begrünte, nutzbare Flachdächer kompensiert. Dazu adaptieren wir die hängenden Gärten und die atmosphärische Anmutung des Novecento und der città animata in Mailand, die als durchgrünte moderne Stadt eine wunderbare Referenz für die Ausgestaltung eines neuen Berliner Quartiers im Kernbereich der Stadt liefert.
Gartenstadt Großziethen – Ein durchmischtes Wohnquartier am Stadtrand – An der südlichen Stadtgrenze zwischen Rudow und Lichtenrade wird der Stadtkörper geschlossen und gefestigt, indem der Schönefelder Ortsteil Großziethen auf einer Fläche von über 16 Quadratkilometern mit einer neuen Gartenstadt überformt wird. Um dem suburbanen Sprawl entgegenzuwirken, wird eine markante stadträumliche Form vorgeschlagen. Ebenezer Howards Prinzip „Ward and Center“ wird adaptiert und in den Stadtgrundriss eingepasst. Bestehende Wegeverbindungen wie die Karl-Marx-Straße werden ausgebaut und in den Stadtgrundriss integriert. Im Gegensatz zu den ersten Gartenstädten wählen wir eine höhere Dichte, die vom zentralen Park, der etwa 25 Prozent der Fläche des New Yorker Central Park umfasst, hin zu den Stadtanschlüssen abnimmt. Den Park rahmen 60 Meter hohe Wohnhochhäuser, wie sie auch im Hansaviertel zu finden sind; darauf folgt eine geschlossene Blockrandbebauung, die in Maßstab und Gestaltung an Röda Bergen orientiert ist und sich in einen offenen Blockrand, der die Baumgartnerhäuser in Basel mit wenigen standardisierten Typen adaptiert, auflöst. Jenseits des grünen Parkrings folgt eine offene Blockrandbebauung mit Mehrfamilienstadthäusern, wie sie zum Beispiel in Dresden-Striesen zu finden sind. Im Gegensatz zur Kernstadt werden hier geneigte Dächer, die den kleinmaßstäblicheren Charakter und die eher dörfliche Atmosphäre betonen, vorgeschlagen.
Seestadt Königs Wusterhausen – Erweiterung einer Stadt in der zweiten Reihe – Wenn wir Wohnraum für alle anbieten wollen, dann darf auch die Großsiedlung kein Tabu mehr sein. Eine wichtige Voraussetzung ist eine hohe architektonische und freiraumplanerische Qualität. Die hervorragenden Grands Ensembles von Fernand Pouillon sind die Referenz für Verdichtung und stadträumliche Aufwertung von Plattenbau und Großsiedlungen an den Randbereichen Berlins. Die lockere und doch präzise und hierarchisierende Anordnung der großmaßstäblichen Bauten ermöglicht die selbstverständliche Integration der Natur und Topografie sowie des bestehenden Sees und die Anbindung an die Achse aus dem Subzentrum Königs Wusterhausen mit seinen Plattenbauten gleichermaßen. Neuralgische Schnittstellen zwischen Platz und Park werden durch die Aktivierung von Erdgeschossen mithilfe vielfältiger Nutzungen zu attraktiven Orten. Einen solchen identitätsstiftenden Ort stellt die sternförmige Anlage mit zentralem grünem Park dar, der zu einem wesentlichen Bezugspunkt wird. Zur Identitätsstiftung trägt auch die neue Silhouette bei, die den Reiz der dritten Dimension und Höhenschichtung mit einer Steigerung der Wohnqualität verbindet.