Bosshard & Luchsinger Architekten AG Standort: Wien www.bosshard-luchsinger.ch Team: Adrian Judt, Diego Martinez, Sebastian pichler, Paul Pichler, Clara Linsmeier, Sebastian Sattlegger Landschaftsplanung: Knoll Consult Fachplanung weiterer Disziplinen: ARGUS Stadt und Verkehr Partnerschaft mbB, Prof. Dr. Ingrid Breckner (Soziologie), FORMAT (Städtebau)
Mehr Weg als Ziel. 50 Jahre Prozessdesign. Wenn wir über eine Zukunftsvision für die Hauptstadtregion Berlin-Brandenburg, also einen Planungshorizont von etwa 50 Jahren sprechen, müssen wir uns als Planer fragen: Was wissen wir und können wir daher Voraussagen treffen? Welche unbekannten Entwicklungen wollen wir mitgestalten? Die Metropolregion Berlin-Brandenburg und die märkische Landschaft lassen sich in drei räumliche Zonen gliedern: Die Kernstadt Berlin ist dicht bebaut und strukturiert durch Kieze von unterschiedlichen Identitäten mit einer noch vorhandenen Mischung an Funktionen. Die zweite Zone umfasst die sich im 20. Jahrhundert ausdehnende Stadtlandschaft. Sie ist ein Kaleidoskop städtebaulicher Leitbilder, individueller Wohnwünsche und wirtschaftlicher Entwicklungen, das sich clusterartig entlang der Transportwege in die Landschaft hinein ausgedehnt hat. Sie ist geprägt von einem direkten Näheverhältnis zu Berlin und bildet das metropolitane Umland um die Kernstadt. Im landschaftlich geprägten Raum der Mark Brandenburg liegen Dörfer und Kleinstädte, die sich zu größeren Landgemeinden zusammengefunden haben. Die Region zeichnet sich aus durch ihre Dichotomie von in der Landschaft frei stehenden Ortschaften sowie administrativen und funktionalen Verflechtungen der Gemeinden und Kreise. Im Rückblick der vergangenen 100 Jahre können wir festhalten, dass Großgrünräume und Gewässer stabile Elemente der räumlichen Prägung sind. Zudem lenken Infrastrukturenund Mobilitätskorridore die städtische Expansion. Sowohl der Raum der Metropolregion als auch der ländliche Raum ist durch unterschiedlich funktionale Netzwerke und administrative Bereiche geprägt. Für die Weiterentwicklung der Metropolregion Berlin-Brandenburg als eine in Zukunft vitale Großstadtregion sind daher drei Bausteine zentral. 1. Die vorhandenen unversiegelten Flächen und Landschaftsräume müssen gesichert und qualifiziert werden und ihr Wert für Nahrungsmittelproduktion, Erholungsfunktionen, Energiegewinnung und nicht zuletzt für den Klimaschutz anerkannt werden. 2. Das Umfeld von ÖPNV-Stationen sowie die linearen Stadträume der Magistralen müssen funktional und räumlich gestärkt werden. Sie bilden die Grundpartitur für eine nachhaltige, funktionsgemischte Stadt der kurzen Wege. 3. Über die Landesgrenzen Berlin / Brandenburg hinweg müssen Lasten gleichwertig verteilt und Ressourcen aufeinander abgestimmt aktiviert werden. Durch eine länderübergreifende Bodenpolitik, nachhaltige Wertschöpfung und den Einbezug zivilgesellschaftlicher Akteure kann eine nachhaltige Entwicklung ermöglicht werden.
Handlungsansätze. Haushalte als Grundeinheit einer vitalen Metropolregion. Statt der Frage nach der zukünftigen Anzahl an Einwohner*innen in der Metropolregion Berlin-Brandenburg rückt die Betrachtung von Haushalten ins Zentrum unserer Überlegungen. Denn während im letzten Jahrhundert der Mann als Alleinernährer der klassischen Kernfamilie fungierte und als solcher den Wohnort bestimmte, erfolgt in Zukunft die Entscheidung über den Wohnstandort auf Basis demokratischer Strukturen in heterogenen Haushaltskonstellationen (Single, Patchwork, LGBT, Kommune 2.0, Golden Ager …). Bereits heute lassen sich die Tendenzen dieser Abwägungsprozesse zwischen Nähe zu Arbeitsplätzen, Bildungseinrichtungen, Freizeitangeboten und individuellem Statusausdruck erkennen. Nur eine gesamtheitliche Betrachtung von berufstätigen, versorgenden und zu versorgenden Haushaltsmitgliedern bietet eine Grundlage für eine inklusive Stadtentwicklung, die die Geschlechter- und Generationsperspektive gleichermaßen berücksichtigt. Schlussfolgernd heißt das, dass der städtische Raum vielen unterschiedlichen Bedarfen Rechnung tragen muss und ein vielfältiges Angebot an Programmierungen und Mobilitäten ermöglichen sollte. Dafür ist ein taktisches Prozessdesign für kooperative und inter-institutionelle Planung zu entwickeln, das die Bedarfe der Stadtnutzer*innen gegenüber den großen Planungsakteuren vertritt.
Erreichbarkeit von Lebenskreisen / Rahmung und Prozess. Um die beiden Lebenskreise, sowohl den 15-Minuten-Radius für alltägliche Funktionen als auch den 1h-Radius, für alle Haushaltsangehörigen zu ermöglichen, muss die vorherrschende Logik der funktionalen Trennung von Wohnen – Arbeiten – Verkehr – Freizeit weiterentwickelt werden. Denn wenn die ÖPNV-Strukturen in Berlin bereits überlastet sind (S-Bahn-Ring), dann liegt eine entscheidende Herausforderung der zukünftigen Entwicklung darin, die Zahl der Quer-Pendler*innen zu verringern und gleichwertige Arbeits- und Wohnvoraussetzungen im gesamten Siedlungsbereich der Metropolregion zu schaffen. Die räumliche Partitur der Magistralen und ÖPNV-Stationen bildet dabei eine Rahmung für die weiteren Prozesse der Stadtentwicklung. Unter Anwendung der bestehenden und aktualisierten Steuerungsinstrumente sowie durch Umstrukturierung, Verdichtung und Aktivierung können die aktuellen Nachfragen bedient und zusätzliche Flächen erschlossen werden. So kann die Metropolregion auch in den kommenden 50 Jahren auf sich verändernde Rahmenbedingungen reagieren und etwaige unnötig versiegelte Flächen und große Fehlplanungen können vermieden werden.
Grundpartitur im Siedlungsraum. Die Metropole der Zukunft ist geprägt von einer robusten räumlichen Rahmung, in der sich noch unbekannte funktional-räumliche Wirkungszusammenhänge entwickeln können. Aufbauend auf den bereits vorhandenen Entwicklungen bilden die Stationen der schienengebundenen ÖPNV-Trassen und die Hauptverkehrsadern Berlin-Brandenburgs eine stabile Struktur, die das Siedlungsgefüge zusammenhält und vernetzt. Zentrale Grundlagen dieses Konzepts sind die Vermeidung von Fahrten (durch die Stadt der kurzen Wege) und die Verlagerung vom MIV auf andere Verkehrsarten. Dies muss in Zukunft durch weitere Trassen und andere Mobilitätsträger verdichtet werden. Hubs und Bahnhofsquartiere. Die den Haltestellen inhärente Zentralität soll für die gesamte Stadt produktiv gemacht werden. Im Sinne einer Stadt der kurzen Wege ist es wichtig, die Haltestellen nicht nur als Mobilitätsstationen zu begreifen, sondern als zentrale Knotenpunkte für unterschiedlichste Nutzungen: Nahversorgung, Kultur- und Bildungseinrichtungen sowie öffentliche Einrichtungen sollten dezentral eine Anlaufstelle bieten. Zudem sollen als Ergänzung die untergenutzten Flächen im direkten Umfeld der Stationen zu kleinen, intensiv-urbanen Quartieren verdichtet werden. Sequenz der Magistralen. Ziel ist die Transformation der Ausfallstraßen zu urbanen städtischen Räumen durch das Verweben von Straßenraum und angrenzenden Funktionen über Aufenthalts- und Nutzungsqualitäten der Freiräume und räumlich-funktionale Verdichtung der Bebauung. Dazu ist es notwendig, den Transitverkehr zu reduzieren und den öffentlichen Raum attraktiv für unterschiedliche Ansprüche neu zu organisieren. Zudem sollen lokale Identitäten gestärkt und die Eintönigkeit soll einer räumlichen Sequenz weichen.
2. Aktivieren und Lenken von Entwicklungen. Unterschiedliche räumlich-kulturelle Strukturen benötigen unterschiedliche Ansätze der Stimulierung. Es ist daher notwendig, über die administrativen Grenzen hinweg strukturbezogene Planungskonzepte zu entwickeln. In der Kernzone der verdichteten Stadt ist es wichtig, den Tendenzen der Spekulation sowie steigenden Mietpreisen entgegenzuwirken und die Bewohner*innen der Kieze aktiv an der räumlichen Entwicklung teilhaben zu lassen. Zudem muss der Grün- und Freiraumversorgung im Kontext des Klimawandels ein höherer Stellenwert beigemessen werden. Die Europäische Stadt des 20. Jahrhunderts ist geprägt von Mobilitätskorridoren und funktionalen Clustern. Hier müssen programmatische Verdichtungen das Potenzial des bürgerlichen Engagements in EFH-Gebieten aufnehmen und die Qualitäten von Suburbia wahren. Die Funktionalität der Gewerbecluster kann im Zuge der Digitalisierung weiter optimiert werden und zu neuen identitätsstiftenden Strukturen des metropolitanen Raums werden. Im ländlichen Raum können die jeweiligen Ortschaften ihren Charakter wahren und durch behutsame Stimulierungen, erweiterte Kooperationen und neue Mobilitäten kann die Lebensqualität erhöht werden. Durch die Stärkung der dörflichen Identität und von alltäglichen Nutzungen können die Gräben zwischen Alt- und Neubewohnern langfristig geschlossen werden. Insbesondere den Rückkehrern fällt hier ein großes Potenzial zu.
3. Synergien und Kreisläufe der Landschaften. Um eine weitere Zersiedelung zu vermeiden, müssen Grünräume und landwirtschaftliche Strukturen gegenüber der Bauwirtschaft durch eine Inwertsetzung der landschaftlichen Territorien gestärkt werden. Lokalspezifische programmatische und institutionelle Schwerpunkte (Magnete) bilden Synergieeffekte zwischen Forschung, Landwirtschaft und Ökonomie. Magnete der Hybride – Landschaften. Ein Netzwerk aus Wirtschaftskreisläufen, funktionalen Verflechtungen und Produktionslandschaften bildet den hybriden Landschaftsraum, bestehend aus einer Vielzahl von Spannungsfeldern, die inter- und transdisziplinär aktiviert und nutzbar gemacht werden. Durch bessere Vernetzung, Wissenstransfer, den Einsatz neuer digitaler Technologien und eine klimaangepasste Bewirtschaftung wird die Wertschöpfung der nichtmenschlichen Akteure erhöht. Durch diese Mehrfachnutzungen können diese Landschaften etwa auf klimatische oder ökonomische Veränderungen reagieren und entwickeln einen resilienten Charakter. Landschaftsräume: Die verdichtete Produktivmachung der Landschaft erfolgt im Zusammenspiel mit der räumlichen Dramaturgie und den identitätsstiftenden lokalen Merkmalen. Der Übergang zwischen kontrastierenden Nutzlandschaften bietet großes Potenzial für neue Konzepte und die Sicherung der landschaftlichen Qualitäten der gesamten Region. Die ökonomische Aufwertung der Landschaft geht einher mit einer ästhetischen Instandsetzung und einer gesteigerten ökologischen Funktionsfähigkeit der Naturräume Brandenburgs.